"Code Red? Ich hörte ihn Code Red sagen!" Paul Pritchard weiß, was das bedeutet: Unter Code Red versteht man einen medizinischen Notfall. Der 25-jährige hat in den frühen Morgenstunden des 14. Oktobers mit seiner Kamera brutale Szenen am Flughafen Vancouver eingefangen: Die letzten Augenblicke im Leben von Robert Dziekanski, einem 40-jährigen Bauarbeiter. Er wurde von der Polizei mit einer sogenannten Taser-Waffe, einer Elektroschockpistole, niedergestreckt. Vor wenigen Tagen gelang das Video an die Öffentlichkeit.
Der Einsatz der Waffe ist umstritten. Die Wirkungsweise eines Tasers ist denkbar einfach: Das Plastikgerät schleudert zwei Metallharpunen in das Fleisch des Opfers, die mit Drähten verbunden sind. Sie sorgen für eine Spannung von bis zu 50.000 Volt, die in Abständen von wenigen Millisekunden für Muskelkrämpfe sorgen. Die Waffe soll Verdächtige kampfunfähig machen - aber nicht schwerwiegend verletzen oder sogar töten.
Dennoch starben Medienberichten zufolge in Kanada seit 2003 bislang 18 Personen nach einem Taser-Einsatz. Amnesty International zählt seit 2001 sogar schon 150 Todesopfer. Ob auch Dzienkanski dazugezählt werden muss, wird noch geklärt. Aber der schockierende Vorfall hat in Kanada eine Debatte über den Einsatz der Elektroschockpistolen entfacht. Denn das verstörende Video zeigt, wie sorglos die Beamten mit der brutalen Waffe umgehen.
Er wollte seine Mutter besuchen
Als Pritchard die Video-Aufnahme startet, zeigen die Bilder Robert Dzienkanski, verschwitzt und offensichtlich verwirrt, im Warteraum des Flughafens, in dem er auf und ab geht. Schon zehn Stunden davor soll er einem BBC-Bericht zufolge gelandet sein, um seine Mutter zu besuchen.
Er nimmt einen kleinen Klapptisch in die Hand, hält ihn wie einen Schutzschild vor sich, während die anderen Wartenden auf ihn einsprechen. "Beruhigen Sie sich", "alles ist in Ordnung", versuchen die Umstehenden Dzienkanski zur Vernunft zu bringen. Der gebürtige Pole versteht sie aber offenbar nicht, und antwortet nur einige unverständliche Worte in seiner Heimatsprache. Die Passanten glauben, er sei Russe.
Danach verschanzt sich Dzienkanski wieder hinter den Glastüren, die die Wartezone von der Sicherheitszone am Flughafen trennt. "Er dreht durch", sagt ein Mann, als Dzienkanski plötzlich mit dem Tisch und einem Computer um sich wirft. Kurz darauf kommen vier Polizisten auf Dzienkanski zu. Für kurze Zeit scheint es, als hätte er sich beruhigt. Es folgt ein kurzer Wortwechsel, Dzienkanski gestikuliert heftig und dreht danach den Beamten den Rücken zu.
Schüsse, Zucken und lautes Schreien
Dann hört man den Taser abfeuern, Dzienkanski taumelt kurz, fällt zu Boden und krümmt sich vor Schmerzen laut schreiend auf den Boden. Sein Körper zuckt, immerhin fließen in millisekundenkurzen Abständen zehntausende Volt durch ihn. Es folgt ein zweiter Schuss aus der Elektrowaffe, inzwischen knien vier Beamte auf Dzienkanski. Sie wollen ihm Handschellen anlegen. Doch dann bewegt er sich nicht mehr. "Code Red" sagt offenbar einer der Beamten. Kurz darauf ist Dzienkanski tot.
Laut BBC war Dzienkanski einen Tag zuvor in einem Flieger von Deutschland nach Vancouver gestiegen. Er verabredete sich mit seiner Mutter am Gepäckband. Was aber beide nicht wussten: Das Gepäckband ist nicht öffentlich zugänglich, Dzienkanski flog überhaupt zum ersten Mal in seinem Leben.
Sechs Stunden wartete seine Mutter am Flughafen, bis sie wieder nach Hause fuhr. Währenddessen irrte Dzienkanski umher. Anscheinend hat kein Wachpersonal, kein Angestellter vom Flughafen und keiner der Fluggäste den beiden geholfen. Das sagt zumindest der Anwalt der Mutter.
Die Todesursache ist noch unklar, Drogen oder Alkohol wurden aber nach der Autopsie nicht gefunden.