Um eine vorzeitige Neuwahl des Bundestages durchzusetzen, kann der Bundeskanzler im Parlament die Vertrauensfrage stellen. Artikel 68 des Grundgesetzes sieht Wahlen vor Ablauf der Legislaturperiode dann vor, wenn der Bundeskanzler im Parlament die Vertrauensfrage stellt und verliert. "Findet ein (solcher) Antrag ... nicht die Mehrheit der Mitglieder des Bundestags, so kann der Bundespräsident auf Vorschlag des Bundeskanzlers binnen einundzwanzig Tagen den Bundestag auflösen." Entscheidend ist das Wort "kann", das dem Präsidenten einen Ermessensspielraum einräumt. Er muss entscheiden, ob die Absicht des Kanzlers im Sinne des Grundgesetzes ist. Wird der Bundestag vorzeitig aufgelöst, muss die Neuwahl innerhalb von 60 Tagen stattfinden.
Will das Parlament aber den Regierungschef gegen seinen Willen ablösen, so ist ein konstruktives Misstrauensvotum nötig. Nach Artikel 67 des Grundgesetzes kann der Bundestag dem Kanzler das Misstrauen nur dadurch aussprechen, dass er mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen Nachfolger wählt. Der Bundespräsident ist dann verpflichtet, den abgewählten Kanzler zu entlassen und den gewählten Nachfolger zu ernennen. Aus diesem Grund wird das Verfahren als "konstruktiv" bezeichnet.
Bislang zwei konstruktive Misstrauensvoten
In der Bundesrepublik hat es bislang zwei konstruktive Misstrauensvoten gegeben. Das erste gegen Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) scheitert 1972 knapp. Seinem Gegenkandidaten Rainer Barzel (CDU) fehlten damals zwei Stimmen zur erforderlichen absoluten Mehrheit. Zehn Jahre später löste Helmut Kohl (CDU) den amtierenden Regierungschef Helmut Schmidt (SPD) dagegen durch ein konstruktives Misstrauensvotum als Bundeskanzler ab. Die FDP hatte sich von der SPD ab- und der Union zugewandt, so dass die Mehrheit der Mitglieder des Bundestages zu Stande kam.
Am 17. September 1982 hatte Schmidt die sozial-liberale Koalition aufgekündigt. Die FDP-Minister traten zurück, noch am selben Tag stimmte die Mehrheit der FDP-Fraktion für die von Parteichef Hans-Dietrich Genscher geforderte "Wende" und die Koalition mit der CDU/CSU. In den Koalitionsgesprächen vereinbarten Union und FDP, Bundeskanzler Schmidt durch ein konstruktives Misstrauensvotum zu stürzen. Der Bundestag sprach Schmidt schließlich das Misstrauen aus und wählte den CDU-Vorsitzenden Kohl mit 256 zu 235 Stimmen zum neuen Bundeskanzler. Dieser führte dann im Frühjahr des kommenden Jahres Neuwahlen durch eine Vertrauensfrage herbei, bei der sich Unionsabgeordnete enthielten.
In der neuen Situation rückt damit Köhler ins Zentrum, der als Kandidat von Union und FDP gewählt wurde und dem mehrfach aus der rot-grünen Koalition vorgeworfen wurde, er verletze das Gebot parteipolitischer Neutralität und stelle sich eher auf Seiten von Union und FDP.