Schlag 12 - der Mittagskommentar aus Berlin Die Kirche ist ein ungerechter Arbeitgeber

Verliebt, ein zweites Mal verheiratet, gekündigt: Als Arbeitgeber schreibt die Kirche den Mitarbeitern vor, wie sie zu leben haben. Sie maßt sich einen Einfluss an, den sie längst verloren hat.

Ich war bei der Kommunion meiner eigenen Mutter. Meine Mutter war Mitte 40. Sie wollte nicht katholisch werden. Sie glaubt nicht einmal an Gott. Aber sie wollte eine Festanstellung als Altenhelferin bei einem großen katholischen Verband. Sie heuchelte, gläubig zu sein, um für ihre Kinder sorgen zu können. Der Pfarrer und ihr katholischer Arbeitgeber gaben sich damit zufrieden.

Kollegen meiner Mutter blieben verheiratet, obwohl sie nicht mehr glücklich mit ihrem Partner waren. Längst teilten sie ihre Betten mit anderen. Aber scheiden ließen sie sich nicht, um ihren Job nicht zu gefährden. Dagegen durfte eine der besten Lehrerinnen, die ich je hatte, nicht weiter Religion unterrichten. Die Kirche hielt sie nicht mehr für geeignet, nachdem sie sich von ihrem Mann hatte scheiden lassen. Das kirchliche Arbeitsrecht zwingt Menschen zum Lügen. Und es bestraft sie dafür, wenn sie ihrem Glück nachgehen. Das Bundesverfassungsgericht hat nun entschieden, dass dies so rechtens ist.

Die Kirche muss die Realität anerkennen

Ein Arzt hatte geklagt, dem die Liebe wichtiger war, als der Job. Sein Krankenhaus hatte ihm gekündigt, weil er nach seiner Scheidung ein zweites Mal geheiratet hat. Wer "sündig" lebt, kann kein guter Chefarzt sein, so die Logik der Kirche. Das Gericht gab dem Krankenhaus recht und verwies auf das Selbstbestimmungsrecht der Kirche. Kirchliche Arbeitgeber dürfen die Grundsätze, nach denen sie ihre Mitarbeiter auswählen, selbst festlegen, so das Gericht. Für die Kirche ist es ein Scheinsieg. Denn immer weniger Menschen können die Regeln der Kirche nachvollziehen - geschweige denn wollen sie ihr Leben danach richten. Wenn die Kirche als Arbeitgeber überleben will, muss sie diese Realität anerkennen.

Die Kirche: ein ungerechter Arbeitgeber

De facto können Kirchen gar nicht auf muslimische Altenpflegerinnen, neu verheiratete Kindergärtnerinnen oder schwule Krankenpfleger verzichten. Gerade in Pflegeberufen mangelt es an qualifizierten Kräften. Kirchliche Einrichtungen können es sich nicht leisten, zu streng auf das Privatleben ihrer Angestellten zu schauen. Deswegen setzt die Kirche ihre Grundsätze inkonsequent durch. Zwangsläufig führt das zu weiterer Ungerechtigkeit.

Die Kirche muss als Arbeitgeber akzeptieren, dass sie weder die Autorität, noch die Durchsetzungskraft hat, ihre Mitarbeiter im Privatleben zu frommen und gottgefälligen Christen zu erziehen. Du sollst nicht lügen, heißt es sinngemäß im 8. Gebot. Aber die Kirche sollte sich auch nicht selbst in die Tasche lügen.

Meine Mutter übrigens ist, sobald sie in Rente war, wieder aus der Kirche ausgetreten. Meine frühere Lehrerin unterrichtet statt Religion nun Philosophie. Sie hat wieder geheiratet und trägt nun einen neuen Doppelnamen.

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