Auf den ersten Blick war es ein kurioses Bild. Eine deutsche Fußballmannschaft, die vor einem Bundesligaspiel auf die Knie geht und eine Trainerbank an der Außenlinie, die es ihnen nachmacht. Auf den zweiten Blick war es jedoch ein wichtiges und mutiges Zeichen, das das Team von Hertha BSC am Samstag vor dem Kick gegen Schalke 04 gesetzt hat – ein Zeichen der Solidarität mit den Sportlern in den USA, die seit Wochen und Monaten gegen die Ungleichbehandlung schwarzer und weißer Amerikaner und gegen oft rassistisch motivierte polizeiliche Übergriffe demonstrieren.
Philipp Köster: Kabinenpredigt
Philipp Köster, Jahrgang 1972, ist Gründer und Chefredakteur des Fußballmagazins "11 Freunde". Er sammelt Trikots und Stadionhefte, kennt den rumänischen Meister von 1984 und kann die Startelf von Borussia Dortmund im Relegationsspiel 1986 gegen Fortuna Köln auswendig aufsagen: Eike Immel, Frank Pagelsdorf, Bernd Storck, ... Außerdem ist er Autor zahlreicher Fußballbücher, unter anderem über die Geschichte der Fußball-Bundesliga, und wurde 2010 als "Sportjournalist des Jahres" ausgezeichnet. Vor allem ist er Anhänger der ruhmreichen Arminia aus Bielefeld.
Es war deshalb wichtig und mutig, weil es immer noch keine Selbstverständlichkeit ist, dass europäische Profivereine ihre Stimme in gesellschaftlichen Prozessen erheben. Klubs, die das regelmäßig tun – wie etwa der FC St. Pauli – gelten als etwas wunderliche Exoten, ansonsten wird politische Neutralität gerne wie eine Monstranz vorangetragen. Und es gibt immer noch viel zu viele Menschen, die glauben, dass Politik nichts im Stadion zu suchen hat. Das sind dann genau diejenigen, die Fußball lediglich als Teil der Entertainmentbranche begreifen und gesellschaftliches Engagement nur so lange gut finden, bis es die Geschäfte behindert.
Wer wäre besser geeignet, als Fußballklubs?
Dabei ist es ungemein wichtig, dass Fußballklubs Position beziehen. Nicht im parteipolitischen Sinn, Gott bewahre. Aber als entschiedene Streiter für die Grundpfeiler unserer demokratischen, offenen und liberalen Gesellschaft. Das bedeutet konkret eine klare Abgrenzung und Gegnerschaft zu rechtsnationalen und ausländerfeindlichen Tendenzen und ein dauerhaftes und kämpferisches Engagement für das friedliche Zusammenleben verschiedener Kulturen. Wer wäre dafür besser geeignet als die Fußballklubs, in denen jeden Tag die unterschiedlichsten Menschen miteinander Fußball spielen?
Viele Klubs engagieren sich vorbildlich an der Basis. Bisweilen braucht es aber auch Aktionen von hoher Symbolkraft. Es gibt in der Sportgeschichte unzählige Beispiele dafür, wie Sportler durch eben solches mutiges Engagement gesellschaftliche Prozesse anschoben. Sei es die schwarze Leichtathletin Wilma Rudolph, die nach ihrem Olympiasieg 1960 nur an ihrem Siegerbankett in Tennessee teilnehmen wollte, wenn an diesem Abend die Rassentrennung aufgehoben werden würde. Sei es die Läuferin Karen Switzer, die 1971 am Boston Marathon teilnahm, obwohl Frauen nicht mitlaufen durften. Oder sei es eben Colin Kaepernick, der sich im letzten Jahr als Quarterback der San Francisco 49ers geweigert hatte, während der US-Hymne aufzustehen, um so gegen die Rassendiskriminierung und Polizeigewalt zu demonstrieren.
Gut, dass sich Hertha BSC solidarisiert hat
Aus Kaepernicks trotzigem Protest ist mittlerweile eine wichtige und landesweite Protestbewegung geworden, die maßgeblich den politischen Diskurs in den Vereinigten Staaten und darüber hinaus prägt. Denn die Frage, wie wir das Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen und Religionen gestalten, ist eine der wichtigsten Fragen des 21. Jahrhunderts und sie betrifft auch unsere Gesellschaft.
Gut also, dass sich die Hertha solidarisiert hat. Nicht jeder, der da das Knie beugte, wird es mit voller Überzeugung getan haben. Und natürlich sind solche Aktionen durch das etwas klebrige Pathos immer auch ein bisschen peinlich. Aber darauf kommt es auch nicht an. Sondern darauf, dass da endlich mal wieder ein Profiklub den Hintern hochbekommen hat.