P. Köster: Kabinenpredigt Zwischen dünnhäutigen Pöbeleien und modischen Extravaganzen: Nagelsmanns Aus ist nur konsequent

Julian Nagelsmann dürfte eine üppige Entschädigung kassieren
Julian Nagelsmann dürfte eine üppige Abfindung kassieren
© Marius Becker / DPA
Nagelsmann weg, Tuchel vor der Unterschrift: Der Rauswurf des Bayern-Coachs überrascht, ist aber zwangsläufig. Findet stern-Stimme Philipp Köster.

So viel Vertrauen war selten. Als Julian Nagelsmann im Sommer 2021 als neuer Coach des FC Bayern vorgestellt wurde, da erhielt der 33-Jährige nicht nur einen Vertrag mit unüblich langer Laufzeit von fünf Jahren bis 2026, sondern wurde auch mit stolzen 25 Millionen Euro von RB Leipzig ausgelöst und mit hymnischen Lobeshymnen der Bayern-Bosse eingeführt.

Eineinhalb Jahre später ist die Ära Nagelsmann schon wieder vorbei. Trotz des langjährigen Vertrages und einer sicher üppigen Abfindung entschloss sich die Bayern-Führung in der Länderspielpause zu einem harten Schnitt, der selbst alteingesessene Begleiter des Klubs überraschte. Schließlich hatte Präsident Hainer Nagelsmann noch vor ein paar Tagen ausdrücklich gelobt, zudem schien ein Trainerwechsel so kurz vor dem vielleicht vorentscheidenden Spitzenspiel gegen Tabellenführer Borussia Dortmund wenig opportun.

Der Rauswurf ist konsequent

So unwahrscheinlich ein solcher Rauswurf auch vorher schien, so konsequent mutet er in der Retrospektive an. Es war nämlich eine Amtszeit voller Pleiten, Pech und Pannen, voller Irritationen über einen Coach, den sich die meisten beim FC Bayern anders vorgestellt hatten: viel souveräner, selbstbewusster und strukturierter. All das ließ der Coach jedoch vermissen. Er trug seinen Teil dazu bei, dass der erfolgreichste Stümer der Bayern-Geschichte, Robert Lewandowski, ohne Not den Klub verließ. Er ließ Konflikte wie den um Torwarttrainer Topalovic auf unnötige Weise eskalieren.

Und es verging kaum eine Woche, in der sich Nagelsmann nicht dünnhäutig über die stets etwas zu aufgeregte Münchner Medienlandschaft echauffierte, über die klassischen Wellenbewegungen zwischen Euphorie und harter Kritik. Er habe sich nicht vorstellen können, "was für ein extremes Schwarz-Weiß-Denken es mitunter gibt“, moserte er unlängst. Seine Vorgänger von van Gaal bis Ancelotti allerdings waren ebenfalls in den Himmel gehoben und in die Hölle geschickt worden, ohne sich in Dauerschleife darüber zu beschweren.

Nagelsmann hatte sich oft nicht im Griff. Zwischendurch musste sich der immer mal wieder für Entgleisungen wie das wüste Gepöbel an die Schiedsrichterkabine nach dem Kick gegen Gladbach entschuldigen. Und schließlich irritierten diverse modische Extravaganzen ebenso wie der kuriose Einfall, mit einem elektrischen Rollbrett aufs Trainingsgelände zu kurven, als sei er ein 15-jähriger Gymnasiast auf dem Weg zum Betriebspraktikum.

Thomas Tuchel ist für jeden Klub ein echter Hauptgewinn

Das alles wäre ihm aber verziehen worden, hätte er die Truppe auf konstant hohem Niveau kicken lassen. Doch Weihestunden des modernen Fußballs wie dem souveränen Heimsieg gegen PSG in der Champions League folgten Offenbarungseide wie die Auswärtspleite in Leverkusen, nach der Sportchef Salihamidzic nicht zu Unrecht wütete: "Das war das nicht das, was Bayern München bedeutet. Haben uns von einer Mannschaft, die am Donnerstag noch gespielt hat, überrennen lassen."

Schon da war Beobachtern klar, dass die Länderspielpause eine unruhige Zeit für Nagelsmann werden würde. Zumal in den letzten Wochen die viel tiefgreifendere Führungskrise des FC Bayern offensichtlich wurde. Es war nämlich zuletzt völlig unklar, wer eigentlich bei den Münchnern was zu sagen hat. Der blasse Vereinspräsident und Strippenzieher Herbert Hainer? Der stoische Vorstandsvorsitzende Olli Kahn? Oder doch der irrlichternde Alterspräsident Uli Hoeneß, der seit Monaten die Medien mit Stammtischparolen versorgt. Der Rauswurf von Nagelsmann ist nun ein klares Zeichen des Duos Kahn-Salihamidzic, die Machtverhältnisse beim FC Bayern wieder geradezurücken.

Ob das allerdings gelingen wird, hängt sehr am neuen Mann, an Thomas Tuchel, der seit Jahren immer mal wieder im Gespräch beim FC Bayern war. Tuchel ist im Spitzenspiel gegen Dortmund und in der Champions League gegen Manchester City zum Siegen verdammt, um die Personalrochade nach innen und außen rechtfertigen zu können. Soll heißen: Eine solche Wette ist riskant, macht aber Sinn. Denn Tuchel ist für jeden Klub ein echter Hauptgewinn. Zur fachlichen Exzellenz hat sich in den letzten Jahren eine gereifte Persönlichkeit gesellt, die Schärfe und Unerbittlichkeit, die manch einem Spieler in Mainz und Dortmund das Leben schwer gemacht hat, ist einer weltläufigen Gelassenheit gewichen. Wer Stationen wie PSG und Chelsea erfolgreich absolviert hat, muss die Journalisten in München nicht fürchten und interne Machtspielchen genauso wenig.

Das unterscheidet ihn von Julian Nagelsmann. Könnte also sein, dass nun in München eine Ära beginnt, die diesen Namen wirklich verdient.

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