Andenken-Forschung Plastik-Kitsch für die Wissenschaft

Muscheln, Marienbildchen und bemalte Kacheln - Souvenirs sind selten schön, und doch hängt unser Herz an ihnen. Forscher untersuchen nun, warum das so ist.

Sie erinnern an vergangene Liebschaften, an Reisen, Freundschaften und schmerzliche Erfahrungen. Sie finden sich in fast allen Haushalten: Souvenirs, allgegenwärtige Stücke der Erinnerung. Für die meist naiv-kitschigen Mitbringsel interessiert sich auch die Wissenschaft. Forscher der Gießener Justus-Liebig- Universität, der Universität Basel sowie des Frankfurter Museums für Angewandte Kunst und des Museums für Kommunikation wollen ergründen, was auf den ersten Blick schwer verständlich ist: Warum sammelt jemand Souvenirs und hebt kistenweise Plastik-Kitsch auf?

"Wir glauben doch alle, dass Dinge mehr sagen als alle Worte", meint der Gießener Literaturwissenschaftler Günter Oesterle, "daher sammeln wir Objekte der Erinnerung." Gleichgültig, ob es die Muschel vom Mittelmeerstrand ist, der Gipsabdruck der Betenden Hände oder das vermeintlich goldgefasste Marienbildchen aus Rom - der Grund für das Mitnehmen, so die Erkenntnis der Wissenschaftler, ist die Suche nach einem Anlass zurückzudenken.

Milchzahn als Symbol schlafloser Nächte

"Andenken sind immer Dinge, die auf etwas verweisen, das eine Geschichte hat - auf ein Nicht-Ding gewissermaßen", sagt Oesterle. Selbst im ärgsten Kitsch könne eine "unglaublich starke Erinnerung" liegen. Christiane Holm, Mitglied des Gießener Sonderforschungsbereichs "Erinnerungskulturen", geht noch weiter. Jedes Andenken habe eine eigene Geschichte. Nur wer diese Geschichte kenne, könne auch die Bedeutung eines Andenkens verstehen. So wie ein Milchzahn für einen Außenstehenden lediglich ein Zahn, für die Mutter des Kindes aber das Symbol schlafloser Nächte sein kann.

Nach Erkenntnissen der Wissenschaftler sind Andenken keinesfalls eine Erfindung der reisefreudigen Romantiker oder der Aufbruch-Generation der 1960er Jahre. Souvenirs sind viel älter - und in ihrer Bedeutung und Aussage starken Wandlungen unterworfen. Die ersten Andenken wurden nach Angaben von Ulrich Schneider, Direktor des Museums für Angewandte Kunst, schon von frühmittelalterlichen Pilgern von ihren Reisen mitgebracht.

MMS als digitales Souvenir

Die Ergebnisse der Forscher sollen unter dem Titel "Der Souvenir - Erinnerung in Dingen. Von der Reliquie zum Andenken" von Juni bis Oktober 2006 in einer großen Ausstellung in Frankfurt gezeigt werden. Zu sehen sind dann in den Räumen des Museums für Angewandte Kunst Objekte von den frühchristlichen Pilgerfahrten bis zum Kitsch der globalisierten Gegenwart. Ergänzend dazu ist im Museum für Kommunikation eine Ausstellung dem digitalen Souvenir gewidmet.

Denn dies ist nach der Erfahrung des Direktors des Kommunikationsmuseums, Helmut Gold, der neueste Trend: "Leute schicken heute oftmals keine Postkarte mehr, bringen keine Kitschfiguren mit, sondern schicken aus dem Urlaub ein Bild mit ihrem Handy oder eine SMS." Hat also das Souvenir endgültig ausgedient? Das nicht, meint Gold. "Aber durch die digitalen Medien werden Urlaubsgrüße in Zukunft persönlicher. Es findet so etwas wie die Individualisierung der Postkarte statt." Einen Trost für leidenschaftliche Sammler gibt es immerhin: Auch elektronische Urlaubsgrüße lassen sich aufheben - sie stauben nicht mal ein.

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Christian Rupp/DPA

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