BMW 5er Münchner Edelfalte

Man könnte sich an dieser Stelle ausgiebig über gutes und schlechtes Design unterhalten. Geschenkt. BMW-Chefdesigner Chris Bangle hat bisher für jeden seiner Entwürfe Prügel eingesteckt.

Man könnte sich an dieser Stelle ausgiebig über gutes und schlechtes Design unterhalten. Geschenkt. BMW-Chefdesigner Chris Bangle hat bisher für jeden seiner Entwürfe Prügel eingesteckt. Das wird ihm auch beim neuen 5er nicht anders gehen. Geschadet hat dies der Marke mit der Niere nicht. Stecken doch unter der Blechhülle beeindruckend gute Autos.

Gespannte Flächen pflastern Chris Bangles Weg. Das Spiel mit Formen und Linien sowie deren ungewöhnliche Kombination sind ein Markenzeichen des BMW-Chefdesigners. Berühmt berüchtigt: sein Erstlingswerk BMW 7er, erstaunlich zurückhaltend: der offene Z4. Jetzt der 5er. Eines der Modelle, das den Bayerischen Motorenwerken durch große Stückzahlen auch in Zukunft viel Geld in die Kasse bringen soll. "Brot und Butter"-Autos, nennt man solche Modell im Fachjargon.

Modernes Auto, moderner Look

Mit radikalen Änderungen sind die Hersteller deshalb vorsichtig. Nicht selten stünde bei einem Misserfolg das Wohl der ganzen Firma auf dem Spiel. So sind im Laufe der Jahre schöne, sichere und komfortable, zugleich aber auch gesichtlose Fahrzeuge entstanden. BMW geht seit der Vorstellung des großen 7ers andere Wege. Ein moderner BMW soll auch modern aussehen. Da macht die Neuauflage des 5ers keine Ausnahme.

Dellen hier und Falten da

Eine wuchtige Motorhaube mit extremen Kanten und Falten, beeindruckende Scheinwerfer, deren "Schlitzaugen" fast bis in die Kotflügel fließen, und eine üppig dimensionierte Frontschürze lassen den 5er ebenso unverwechselbar wie absonderlich wirken. Dynamisch zwar, aber eben auch aufgequollen. Selbst die Seitenlinie polarisiert. Wie beim Z4 verläuft knapp über den Seitenschwellern eine "Delle", die je nach Lichteinfall unterschiedlich dramatisch wirkt. Oberhalb der konventionellen Bügel-Türgriffe spannt sich eine deutliche Lichtkante von den Frontscheinwerfern bis zu den Heckleuchten. Allerdings schließt der Falz nicht mit dem oberen Ende der Heckleuchten ab, sondern findet in den roten Bereichen der Rücklichter seine Fortsetzung. Die hellen Rückfahrlichter stehen über und greifen die Form des großen Kofferraumdeckels auf, der die eigentliche Fahrzeugkante überlappt.

Design-Ansichten

Die Heckansicht dominiert der in den Kofferraumdeckel integrierte Spoiler. In einer scharfen Kante ragt die Abtriebshilfe über das Fahrzeugheck hinaus. Optisch werden die mandelförmigen Heckleuchten zwischen dem Kofferraumdeckel und dem ausladenden hinteren Stoßfänger zusammengequetscht. Von der Klappe über dem Tankdeckel abgesehen, kann man über jede Linie, jede Sicke und jede Kante des neuen 5ers reden, diskutieren, streiten oder ein Buch schreiben. "Ein Auto ist eine dynamische Skulptur", haben sich die BMW-Designer auf die Fahnen geschrieben. Eine Skulptur ist Kunst, und darüber lässt sich trefflich streiten.

Länger, Höher, Breiter

BMWs Vertreter in der oberen Mittelklasse hat bei allen Messdaten zugelegt. Der 5er ist nun 4.841 Millimeter lang. 6,6 Zentimeter länger als sein Vorgänger. In der Breite kamen 4,8 Zentimeter hinzu (1.846 Millimeter), die Höhe wuchs um vier Zentimeter auf 1.468 Millimeter. Dadurch war es möglich, den Radstand um mehr als sechs Zentimeter zu verlängern. Eine bauliche Veränderung, die vor allem den Passagieren im Innenraum die Freiheiten bringen sollte, die im 5er-Vorgänger besonders im Fond knapp bemessen waren.

Head-up Display

Für 1.300 Euro Aufpreis darf man zukünftig durch die wichtigsten Fahrdaten gucken. Tachostand, Warnmeldungen und Informationen werden ins Sichtfeld des Fahrers gespiegelt.

Platz da

Mission erfüllt. Schon beim Einstieg fühlt sich der 5er erstaunlich "luftig" an. Kaum ein Teil der Inneneinrichtung sucht Körperkontakt - ein Raumgefühl, das sich locker mit dem Klassenprimus Mercedes E-Klasse messen kann. Das gilt auch für die Rücksitze. Bei einem mittelgroßen Beifahrer haben selbst Fond-Gäste über 1,85 Meter kaum Probleme, ihre Extremitäten zu verstauen. Obwohl der 5er ohne ein ausgeprägtes Kuppeldach auskommt, bleibt auch in Sachen Kopffreiheit kein Grund zur Klage.

Die Sache mit den Bügelbrettern

5er-Piloten sind Selbstfahrer. Dementsprechend großen Aufwand haben die BMW-Entwickler betrieben, um den Aufenthalt auf den vorderen Sitzen so angenehm wie möglich zu gestalten. Der Einstieg beginnt mit einer Überraschung. Vom konservativen BMW-Cockpit des Vorgängers und anderer aktueller Modelle ist wenig geblieben. Die ganz auf den Fahrer ausgerichteten Taster, Schalter und Displays sind verschwunden. Sie mussten einer Armaturentafel weichen, die auch vom Beifahrer ideal einzusehen ist. Formen und Linien sind auf das Wesentliche reduziert, Schnörkel sucht man vergebens. Diese kühle Interpretation eines Armaturenbretts kennt man vom Z4, wobei der Armaturenträger des 5ers mehr Knöpfe und Schalter aufnehmen muss und an ineinander verschachtelte Bügelbretter erinnert.

"iDrive" me crazy...

Der Ergonomie tut das Umdenken in Sachen Design kaum einen Abbruch. Knöpfe und Schalter sind gut erreichbar und intuitiv zu bedienen. Zentraler Bereich des 5er-Cockpits ist ein großer Multifunktionsbildschirm, der eingefasst in eine schuhkartongroße Hutze vom Fahrer ohne Ablenkung einzusehen ist. Je nach Ausstattungsvariante ist der Bildschirm bis zu sechs Zoll groß und natürlich in Farbe. Damit hat man von der Klimaanlage über das Audio-System bis hin zum optionalen Telefon alle Komfort-Funktionen im Blick. Gesteuert werden die Systeme über den "iDrive"-Knubbel, der seine Premiere in der oberen Mittelklasse feiert. Vor seinem Start im 5er wurde das als "intuitiv" gepriesene Bediensystem entrümpelt und überarbeitet. Anders als im 7er sind die wichtigsten Funktionen tatsächlich einfach zu erreichen und logisch angeordnet. Was bleibt ist ein großer "Dreh-Drück-Steller", wie der "iDrive"-Knubbel korrekt heißt, der sich noch immer sehr ungenau schieben, drücken und drehen lässt. Immerhin gibt es nun eine "Menü"-Taste, mit deren Hilfe man bei allzu großer Verwirrung direkt zurück zur Gesamtübersicht flüchten kann.

Kleine Macken

Alles bestens? Nicht ganz. Kleinigkeiten trüben das Gesamtbild. So soll der durchgestylte Innenraum scheinbar nicht durch den alltäglichen Krimskrams eines Autofahrers entstellt werden. Entscheidet man sich für einen 5er mit integriertem Telefon, bleiben im Bereich des Armaturenbretts nur zwei brauchbare Ablagen, und die sind denkbar klein. Kleine Patzer auch bei der Materialwahl. Unterhalb der Mittelkonsole sorgt ein heller Keil für die optische Verbindung zwischen Armaturenbrett und Mitteltunnel. Ein auffälliges Teil, das allerdings durch einen billig wirkenden Kunststoff entstellt ist. Aus dem gleichen Material besteht auch ein Teil der Türverkleidung. Die hat einen weiteren Haken. Der alufarbene Haltegriff sieht schick aus, ist aber zu weit vorne angebracht. So wird das lässige Zuziehen der Tür zum Kraftakt. Ohne viel Schwung geht nichts.

Sitzenbleiben!

Neues Design, gewohnter Komfort. Die Suche nach der idealen Sitzposition ist schnell beendet. Die serienmäßig elektrisch einstellbaren Sitze sind ideal dimensioniert und weisen große Verstellbereiche auf. Das Lenkrad ist horizontal und vertikal einstellbar. Wer 1.950 Euro mehr anlegt, bekommt zwei mit Elektromotoren und aufblasbaren Polstern vollgestopfte Multifunktionssitze in den 5er geschraubt. Den Rücken freut's, die Finger weniger. Um das High-Tech-Gestühl unter Kontrolle zu behalten, wären zehn Finger an einer Hand nicht schlecht.

Mein Kampf mit den Knöpfen des Multifunktionssitzes endete abrupt. "Pumpen Sie die Seitenwangen ruhig etwas stärker auf", riet ein BMW-Mitarbeiter. "Sie werden den Seitenhalt brauchen!". Er sollte Recht behalten.

Modell540i530d
BauartReihen-Sechzylinder BenzinmotorReihen-Sechszylinder Dieselmotor mit Common-Rail-Direkteinspritzung
Hubraum2.979 ccm2.993 ccm
Leistung170/ 231 kW/PS160/ 218 kW/PS
0-100 km/h6,9 Sekunden7,1 Sekunden
Höchstgeschwindigkeit250 km/h245 km/h
Durchschnittsverbrauch9,5 Liter6.9 Liter
BremsenScheibenbremsen rundum, ABS, DSC, DTC, Bremsassistent, TraktionskontrolleScheibenbremsen rundum, ABS, DSC, DTC, Bremsassistent, Traktionskontrolle
GetriebeSechsgang-SchaltgetriebeSechsgang-Schaltgetriebe
Länge/ Breite/ Höhe4.841/ 1.846/ 1.468 Millimeter4.841/ 1.846/ 1.468 Millimeter
Gewicht1.570 Kilo1.670 Kilo
Grundpreis40.600

Wedeln für Fortgeschrittene

Unter der Haube einen Reihen-Sechszylinder (Diesel 218 PS, Benziner 231 PS) und im Kopf die Gewissheit, dass man von einem 1.570 Kilo schweren Fahrzeug keine Wunderdinge erwarten darf, ging es auf Sardiniens Landsträßchen. Tiefe Bodenwellen, brutale Schlaglöcher und waghalsige Kurvenradien - Rahmenbedingungen, mit denen schwere Limousinen üblicherweise Probleme haben. So kann man sich täuschen. Der 5er prescht um die Ecken, wie ein heißes Messer durch die Butter. Angstschweiß? Nur beim Beifahrer. Ganz ohne Pedalerie und Lenkrad fühlt man sich ausgesprochen hilflos.

Leichtfuß

Es zahlt sich aus, dass die BMW-Ingenieure viel Zeit damit verbracht haben, die ideale Diät für den neuen 5er zu finden. Je nach Motorisierung und Ausstattungsvariante ist der Neue um die 50 Kilo leichter als sein Vorgänger - bei gleichzeitigem Größenwachstum. Viel Karosserie und wenig Gewicht? Ein klarer Fall für Aluminium. Erfahrungen mit dem Leichtmetall hat man in München seit der Entwicklung des neuen 7ers. Dessen Vollaluminium-Fahrwerk findet im 5er seine Fortsetzung. Damit nicht genug. Der komplette Vorderwagen des 5ers besteht aus Alu, während die restliche Karosserie aus Stahlblech verschweißt, verklebt und vernietet wird. Neben den purzelnden Pfunden hat die Leichtmetall-Schnauze positive Auswirkungen auf die Gewichtsverteilung. Jede der Achsen hat die Hälfte der Fahrzeug-Kilos zu tragen. Sportwagenwerte...

Technik vom 7er

Alu-Fahrwerk statt Luftfederung? Auf den ersten Blick hat der 5er gegen das High-Tech-Geläuf der E-Klasse echte Nachteile. Nur so lange, bis man dem luftgepolsterten Klassenprimus um die Ohren fährt. Das 5er-Fahrwerk bügelt Fahrbahn-Falten und Bodenwellen ebenso souverän platt wie der Mercedes, vermittelt gleichzeitig aber mehr Kontakt zur Straße. Gleichzeitig legt sich der 5er praktisch nicht in die Kurve. "Dynamic Drive" (2.300 Euro Aufpreis) heißt das aktive Fahrwerk, das bisher nur im großen 7er erhältlich war. Das hydraulische System gleicht die Seitenneigung (Wankneigung) in Kurven aus und erlaubt so wesentlich höhere Kurvengeschwindigkeiten. Von BMWs zweistufigem Schleuderverhinderer DSC einmal abgesehen, der nicht nur deaktiviert werden kann, sondern im DTC-Modus leichte Drifts verkraftet.

Lenken in seiner einfachsten Form

Der kontrollierte Schwenk mit dem Heck fällt wesentlich leichter, wenn im Budget noch Platz für 1.200 Euro ist. Dafür bekommt man die neue Aktivlenkung, die nicht nur in der oberen Mittelklasse Maßstäbe setzen wird. Anders als bei herkömmlichen Servolenkungen, ist die Lenkübersetzung hier variabel. Je nach Fahrzustand verstärkt oder dämpft ein Elektromotor die Lenkbewegungen des Fahrers. Der Effekt: Bei geringen Geschwindigkeiten genügt ein vergleichsweise kleiner Dreh am Lenkrad, um die Räder voll einzuschlagen. Das genaue Gegenteil auf der Autobahn. Hier verringert der Motor in der Lenksäule die Unterstützung und verbessert so den Geradeauslauf. Der Kontakt zur Fahrbahn ist hervorragend.

Das System kann noch mehr. In Verbindung mit den DSC-Sensoren steuert die Aktivlenkung unbemerkt mit. Droht das Heck auszubrechen, beginnt das System gegenzusteuern - weit schneller, als man es als Durchschnittsfahrer könnte. Die Lenkeingriffe sind so gering, dass man sie nur dann bemerkt, wenn man auf eine kritische Situation bewusst falsch oder gar nicht reagiert. Unheimlich...

Fazit

High-Tech-Land Bayern? Auf jeden Fall. Der 5er setzt neue Maßstäbe in seiner Klasse. Die Kombination aus agilem Fahrwerk, komfortabler Abstimmung und Aktivlenkung macht ihn auf der Straße zur Nummer eins. Ob ihm in der Verkaufsstatistik die gleiche Karriere winkt, hängt davon ab, wie die Kunden das neue Design annehmen. Zumindest sollte man als Käufer mit seinem Bankkonto ähnlich agil umgehen, wie der 5er mit Landstraßen. Los geht's mit 35.100 Euro. Wer allerdings Aktivlenkung, Sechszylinder-Motor, aktives Fahrwerk (Dynamic Drive) und das eine oder andere Komfort-Extra haben möchte, sollte 50.000 Euro einplanen.

Jochen Knecht