Es sieht aus wie eine Erfindung aus dem Labor von Daniel Düsentrieb. Ovales Heck, spitze Schnauze und an den beiden hinteren Seiten zwei Speichenräder. Vorne stützt sich das Gefährt auf ein kleineres Rad. Lackiert ist die Verkleidung in schwarz-weiß, durch eine Plexiglasscheibe kann der Fahrer geradeaus auf die Strecke blicken. Anscheinend federleicht schnurrt das stromlinienförmige Dreirad über den Asphalt auf dem Verkehrsübungsplatz der Hamburger Verkehrswacht.
Entwickelt hat den "Pingu", wie der Flitzer aufgrund seiner Ähnlichkeit mit einem schwimmenden Königspinguin heißt, aber nicht der Comic-Tüftler aus Entenhausen sondern 18 Hamburger Studenten. Fünf von ihnen sind an diesem Tag bei der dritten und letzten Testfahrt dabei. Vom 22. bis 24. Mai wird es dann ernst. In der französischen Stadt Nogaro nehmen die Hamburger am so genannten Shell-Eco-Marathon teil. Ziel der Veranstaltung ist es, ein Fahrzeug zu entwerfen, das mit einem Liter Kraftstoff die größtmögliche Entfernung zurücklegt und dabei so wenig Schadstoffe wie möglich ausstößt. Der derzeitige Rekord liegt bei 3.836 Kilometern. Dies entspricht der Strecke von Berlin nach Moskau und retour oder einem Verbrauch von nur 0,026 Litern pro 100 Kilometern.
"Vorlesungen, Pingu, schlafen"
Ganz so sparsam ist der Pingu noch nicht. Angetrieben wird er von einem 500-Watt-Radnabenmotor, die Energie liefert eine 1,2 Kilowatt-starke Niedrigtemperatur-Brennstoffzelle. "Das ist ungefähr vergleichbar mit der Leistungsfähigkeit eines Staubsaugers", erklärt Benjamin Wölfel. Rechnet man den Energieverbrauch um, käme man auf etwa 1 Liter Super-Benzin pro 1000 Kilometer. Doch statt CO2 kommt beim Pingu hinten nur destilliertes Wasser heraus.
Rund zehn Monate hat es gedauert, bis der Pingu flügge wurde. An dem fachübergreifenden Projekt waren Flugzeug- und Fahrzeugbau-Studenten sowie Informatiker der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW) beteiligt. "Rund 20 Stunden pro Woche, in der heißen Phase zuletzt sogar das Doppelte, haben wir daran gearbeitet", erzählt Wölfel. Hinzu kamen die Lehrveranstaltungen. Von Freunden, Freundinnen und Familie war viel Verständnis gefragt. "Vorlesungen, Pingu, schlafen", beschreibt Wölfel den typischen Tagesablauf während der vergangenen Monate.
Die Arbeit hat sich aber gelohnt. "Nach den ersten Tests ist uns ein Stein vom Herzen gefallen. Wir waren alle euphorisch und überglücklich", beschreibt Wölfel die Reaktion auf die ersten "Gehversuche" des skurrilen Vehikels. Eine Schrecksekunde galt es allerdings noch zu überstehen. Beim ersten Probelauf auf dem Parkplatz vor der Hochschule verzog sich die Lenkung. "In einer Nach- und Nebelaktion mussten wir das Fahrwerk komplett überarbeiten und verstärken", erzählt Lutz Gundlach.
Daten per W-Lan direkt aus dem Cockpit
Jetzt läuft es jedoch rund beim Pingu. Bis zu 38 Kilometer pro Stunde kann man in dem rund 70 Kilogramm leichten Geschoss zurücklegen. Der Luftwiderstand liegt mit 0,1 CW um ein zehnfaches unter dem eines Lastwagens. Alle Daten werden per W-Lan direkt aus dem Cockpit auf einen Laptop übertragen. Die Software haben die Studenten ebenfalls selbst entwickelt. Insgesamt stecken in dem Pingu Materialkosten von rund 50.000 Euro, die zum einen von der Hochschule, größtenteils aber von Sponsoren übernommen wurden. "Alleine die Karosserie hat 30.000 Euro gekostet", sagt Wölfel.
Alternative Antriebsmöglichkeiten
Nur der Fahrkomfort lässt noch einiges zu wünschen übrig. Platz ist nur für eine Person, die sich liegend in den Pingu quetschen muss. Pilotin Claudia Thomas, die in Nogaro am Steuer sitzen wird, ist mit 1,60 Meter und rund 55 Kilogramm ein echtes Leichtgewicht. Bis die Technik serienreif ist und auch mehrere Personen bequem Platz nehmen können, werde es noch bis zu 20 Jahre dauern, schätzt Wölfel.
Siegchancen rechnen sich die Hamburger Studenten bei ihrer ersten Teilnahme am Shell-Eco-Marathon übrigens nicht aus. Doch das stört sie nicht. Die Tüftler aus der Hansestadt definieren ihre Leistung über andere Kriterien. Sie sind stolz darauf, dass sie es innerhalb kürzester Zeit geschafft haben, ein Fahrzeug am Computer komplett neu zu erfinden und später zu bauen. Mit ihrer Arbeit wollen sie einen Beitrag zur Erforschung von alternativen Antriebsmöglichkeiten leisten. "Die Erdölvorkommen sind irgendwann aufgebraucht. Daher muss man schon frühzeitig anfangen, sich Gedanken über Alternativen zu machen", sagt Gundlach. Die Hybrid-Technologie könne nur der Übergang sein.
"Dabei sein ist alles"
Das Rad neu erfunden haben die schlauen Köpfe aus Hamburg allerdings nicht. Brennstoffzellen gibt es bereits seit dem 19. Jahrhundert. In U-Booten kommen sie zum Beispiel schon lange zum Einsatz. "Das Neue bei uns ist aber, dass der Verbrauch durch das Zusammenspiel von Antrieb und Energiegewinnung weiter gesenkt werden kann", erläutert Wölfel.
Mit dem Pingu haben Wölfel und Kollegen in Zukunft noch viel vor. "Das soll ein langfristiges Projekt werden, an dem Studenten unserer Hochschule kontinuierlich weiterarbeiten." Noch stecke jede Menge Entwicklungspotenzial in dem Energiesparwunder. So könne man laut Wölfel beispielsweise das Gewicht noch weiter um bis zu 30 Kilogramm senken, wenn man für die Verkleidung Kohlenstofffasern statt Glasfaserverstärkten Kunststoff verwendet sowie die Stahl- durch eine Aluminiumlenkung ersetzt. Bis dahin heißt es für die Hamburger Erfinder in Frankreich aber: "Dabei sein ist alles."