"Saints Row" Scheinheiliger Bandenkrieg

Mit "Saints Row" versucht Publisher THQ der "GTA"-Reihe an die Karre zu fahren, und setzt dabei neue Maßstäbe in puncto Grafik, Handlungsfreiraum und Geschmacklosigkeiten.

Um eine möglichst hohe Identifikation des Spielers mit seinem Pixel-Alter Ego zu fördern, kann man dieses vor dem Spiel nach eigenen Wünschen formen. Die Möglichkeiten des optischen Tunings des Protagonisten sind derart vielfältig, dass selbst RPG-Fans neidisch werden: Von der Hautfarbe und dem Haarschnitt über die Augenbrauen, Stirnform, Kopfform bis zur Figur und dem Ohrenwinkel lässt sich das Aussehen individuell gestalten. Später darf der eigene Vorzeige-Pimp zusätzlich gestylt werden - durch teure Klamotten und jede Menge Bling-Bling. Doch aller Anfang ist schwer ...

Man startet als Mitglied der 3rd Street Saints. Wenn L.A. die Stadt der Engel ist, ist Stilwater die Stadt der gefallenen Engel. Schnell wird klar, dass die Saints ihrem Namen zum Trotz allenfalls zu Scheinheiligen taugen: Drogenhandel, Zuhälterei und Mord sind die Haupt-Geschäftsfelder der Damen und Herren, die sich durch ihre violette Kleidung von den anderen Gangs unterscheiden, welche die Metropole mit Waffengewalt und HipHop-Lifestyle tyrannisieren.

Das langfristige Ziel in "Saints Row" ist die Übernahme der gesamten Stadt Stilwater. Mit jeder erfolgreich abgeschlossenen Mission erhöht sich der Respekt des Spielers und damit der Machtgewinn über ganze Stadtteile. Zu den schlagkräftigen Argumenten des Spielers gehört neben einem Baseballschläger auch reger Schusswaffengebrauch. Jedem Pimp eine Pistole, später stehen sogar Panzerfäuste und Rohrbomben zur Verfügung. Unbewaffnet hat man gegen die Polizei keine Chance - zumal die Cops sogar mit Hubschraubern und gepanzerten SWAT-Fahrzeugen zur Jagd auf den Spieler blasieren, wenn der zu viel auf dem Kerbholz hat. Wird man erwischt, muss man einen Teil seiner geklauten, erpressten, durch Versicherungsunfälle erschwindelten Kohle abgeben und vor dem Revier neu loslegen.

Die offene Missionsstruktur der "GTA"-Reihe wurde übernommen: In geklauten Autos kann man nicht nur seinen Lieblings-Radiosender einstellen - und damit zwischen Klassik, HopHop, Electro, Reggae, Easy Listening und Indie-Rock wählen - sondern auch eine Mission auswählen, indem man an den entsprechenden Ort fährt. Damit man in der riesigen Stadt (die Datenmengen werden unbemerkt nachgeladen) dabei nicht die Orientierung verliert, ist einem genialen Navigationssystem zu verdanken! Warum ist auf diese Idee nicht schon eher jemand gekommen?

Warum sollte man sich den Klon kaufen, wenn man das Original haben kann? Die Antwort ist einfach: Schon allein, weil es für die Xbox 360 bis Ende 2007 keine eigene Version der "GTA"-Reihe gibt. Die Grafik von "Saints Row" ist zwar kein historischer Meilenstein, aber dennoch der neuen Konsolentechnik angemessen und nicht nur in den Zwischensequenzen deutlich aufgemotzt im Vergleich zur "GTA"-Optik, was natürlich auch in der Natur der Sache liegt: Take2s Gangster-Reihe wurde für die ältere PS2-Konsolengeneration konzipiert. Hinzu kommt die verwendete Havok-2-Engine, die Autos etwa spektakulär in die Luft fliegen lässt und für Trümmerregen sorgt.

Der vielseitige Soundtrack bietet Ohrenschmaus vom Feinsten für jeden Geschmack und sorgt dafür, dass die Autofahrt zum nächsten Ziel nicht langweilig wird. Die Steuerung ist dem Spielprinzip angemessen, darf aber nicht mit der Präzision eines Rennspiels oder Ego-Shooters verglichen werden. Dafür lassen sich - wieder so eine geniale Neuerung - über ein Ringmenü schneller denn je die Waffen wechseln.

Dass "Saints Row" keine Jugendfreigabe erhalten hat, verwundert angesichts der strengen moralischen Maßstäbe an Computerspiele in Deutschland kaum: Wer unschuldige Passanten verprügelt oder überfährt, wird belohnt, weil diese Dollar-Noten verlieren. Wäre das Game eine Rap-CD, würde es mit Sicherheit einen "Explicit Lyrics"-Warnaufkleber bekommen. Kostprobe gefällig? Wer mit einem zweisitzigen Cabrio drei Prostituierte vom Straßenstrich abwerben will, wird aufgeklärt: "So viele Nutten passen nicht in dein Auto!" Aha.

Saints Row

Hersteller/Vertrieb

Volition/THQ

Genre

Action-Adventure

Plattform

Xbox 360

Preis

ca. 65 Euro

Altersfreigabe

ab 18 Jahren

Publisher THQ hat in der deutschen Version auf Blut, permanent sichtbare Leichen und sogar auf zwei ganze Missionen verzichtet. Den Moralhütern war dies dennoch nicht genug. Darunter müssen auch erwachsene Spieler leiden. Der Haken an der Sache wird beim Multiplayer-Modus besonders deutlich: Käufer der deutschen Version dürfen keine virtuellen Bandenkriege gegen den Rest der Welt austragen, sondern nur gegen andere Besitzer der beschnittenen Version.

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Michael Eichhammer/Teleschau

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