Schon die Fahrt im "klassischen Messe-ICE" um 8.05 Uhr von Hamburg nach Hannover zeigte, dass sich die Cebit verändert hat: Der Sitzplatz nebenan blieb leer. So was hätte es früher nicht gegeben.
Sinkende Aussteller- und Besucherzahlen setzen die Cebit-Macher unter Druck. Von den Hochzeiten der Messe um das Jahr 2000 herum ist mit 434.000 Besuchern im vergangenen Jahr weniger als die Hälfte übrig geblieben. Immerhin - nach dem ersten Tag dieses Jahres meldet ein Sprecher der Deutschen Messe AG: "Wir sind mit dem Besuch am ersten Tag sehr zufrieden, er liegt auf Vorjahresniveau", allerdings ohne Zahlen zu nennen.
Für den Messerundgang hat diese Entwicklung spürbare Auswirkungen - und zwar positive. Das höllische Geschiebe und Geschubse gehört endgültig der Vergangenheit an. In diesem Jahr tragen nicht nur die ausbleibenden Besucher, sondern auch viele freien Flächen, die durch fehlende Aussteller entstanden sind, zur entspannten Gedrängelage bei. Die Ausstellungsfläche sank von 300.000 auf 280.000 Quadratmeter, und der verbleibende Raum wurde außerdem noch verschwenderischer genutzt. Manchmal sollen Ständer mit Cebit-Eigenwerbung oder unmotiviert herumstehende Kleinflugzeuge ein Gefühl des Verlassenseins verhindern.
Aussterbende Spezies
Es wäre also genug Platz für die berüchtigten Jäger der verschenkten Kugelschreiber. Doch Jugendliche, die im Rudel und bepackt mit einem Dutzend riesiger Tragetaschen systematisch die Stände abklappern, sind eine aussterbende Spezies. Kein Wunder: ihr Lebensraum verschwindet. Jedes Jahr werden weniger Give-aways unters Volk geschmissen, in diesem Jahr hat dieser Trend seinen Tiefpunkt erreicht. Oder seinen Höhepunkt, je nach Sichtweise. Überhaupt: Sein ist mehr als Schein. In den rein Business-orientierten Hallen 1 und 3-8 regiert strenge Ernsthaftigkeit, und auch die üblichen Partypeople aus der Spiele-, Unterhaltungs- und Mobilfunkbranche halten sich überraschend zurück: Knapp gekleidete Messemodels? Sehr selten. Marktschreier, die ihr Publikum für ein Schlüsselband zehn Mal den Namen der Firma brüllen lassen? Kaum zu finden. Ohren betäubende Dauermusik, um den Krach vom Nachbarstand zu übertönen? Nur in Ausnahmefällen. Wie sagte ein Messebesucher beim Verlassen des Geländes ganz richtig: "So ganz ohne Ummta-ummta ist es wirklich angenehmer als früher."
Highlights fehlen
Ohne "Ummta-ummta", aber auch ohne Highlights muss der Cebit-Besucher auskommen: Premieren, gar Sensationen sucht man vergebens. Die meisten Produkte für Normalverbraucher sind schon bekannt. Wichtige Firmen wie Nokia, Motorola und Apple fehlen ganz. Die größten Menschentrauben bilden sich überraschenderweise vor Windows Vista und der Playstation 3, obwohl sich beide Produkte auch im Elektronikmarkt angucken lassen.
Allerdings kann man einiges lernen: Vielleicht ist es eine Folge der neuen Zurückhaltung, dass mehr erklärt wird als früher. Wer sich ein wenig umschaut, kann viele interessante Kurzvorträge entdecken. Seien es eine Live-Hacking-Show, Sicherheitstipps für Anfänger oder Antworten auf die Frage: "Wie funktioniert ein RSS-Feed." Lohnenswert sind auch Einblicke in Medizintechnik, Elektronik im Auto und "kluge Kleidung" - kurzum: der "Future Parc" in Halle 9.
Letzte Chance
Im kommenden Jahr wird das Konzept der Cebit mit hoher Wahrscheinlichkeit komplett umgekrempelt - in Richtung Profis. Ob sich dann noch ein Besuch für Normalverbraucher lohnt, kann bezweifelt werden. Insofern besteht jetzt die letzte Möglichkeit, die Messe in dieser Form zu besuchen. Die entspannte Atmosphäre macht Aufenthalt angenehmer als je zu vor. Man muss nur genau wissen, was es zu sehen gibt - und vor allem: was nicht.