So ein Wechsel der E-Mail-Adresse tut gut. Auf einmal bekomme ich keine Spam-Post mehr und muss mich nicht mehr länger mit der Aschenbrödel-Arbeit abgeben: Die guten Mails ins Postfach, die schlechten in den Papierkorb. Doch irgendwie vermisse ich den Spam-Flurfunk schon jetzt.
Die Verbindung zur Außenwelt
Knapp zehn Jahre lang hatte ich ein und dieselbe E-Mail-Adresse. Treu begleitete sie mich durch gute wie schlechte Zeiten und wurde immer wieder in Online-Formulare eingetragen oder unter verschiedenen Artikeln abgedruckt. Ich möchte auch gar nicht wissen, wie oft meine Online-Adresse von irgendwelchen Adressen-Raubrittern im Netz weiterverkauft wurde. Schließlich habe ich mich nie in eine Robinson-Liste eintragen lassen, die vorgibt, mich vor Spams zu schützen. In der Folge freute ich mich rund um die Uhr über neue Post. Zwar waren von 20 Mails immer nur zwei wichtig, aber das Aussortieren und Löschen der überflüssigen Briefe gehörte eben auch irgendwie mit zum Alltag dazu. Dann kam der Tag, an dem der Mail-Account zwei Tage lang nicht richtig funktionierte. Ich sitze hier tagein tagaus in meinem dunklen Keller in Falkensee bei Berlin. Nimmt man mir die Mail-Connection, dann ist das so, als würde man mich vom Rest der Welt abkabeln. Also habe ich mir sofort einen neuen Mail-Account besorgt - und zum ersten Mal Outlook Express benutzt anstelle des antiken Mail-Clients, den der alte Account verlangte. Was für ein Unterschied.
Irgendwie fehlt einem was
Mein neuer Mail-Account ist noch ganz jungfräulich. Hier kommen keine Spams an. In der Folge ist das Abfragen neuer Post aber auch zur Zitterpartie geworden. Über Stunden hinweg bleibt das Postfach leer: »Please, Mr. Postman, bring me a letter.« Und am Wochenende ist völlig Schicht. Das ist schwer zu ertragen für jemanden, der absolut postsüchtig ist. Bleibt die Post zu lange aus, dann aktiviere ich einfach den alten Account, um den Flurfunk abzuhören. Der Flurfunk - das sind für mich die einzelnen Mails. Auch wenn die Spams absolut belanglos sind, so geben sie einem doch ein gutes Gefühl für den Status Quo. Spams abzufragen ist so, als würde man in der Kantine die Gespräche der Mitarbeiter am Nebentisch belauschen. Es geht einen nichts an, aber interessant ist es trotzdem.
Und so freue ich mich über die Meldung, dass Jobsandjobs.de jetzt »alle Stellenmärkte im ÜberKlick« (haha, gutes Wortspiel) hat, während der »Ashampoo Illuminator JETZT noch pfiffiger« ist - weil er Musik und Videos spielt. Irgendeiner meint »It is time to replace your PC«, während ein US-Unternehmen tatsächlich ungefragt meldet: »There is a cure for Spam!«. CNET meldet: »Paul McCartney Takes Toshiba's Mobile Office on the Road«. Interessanter ist: »Ihr 5-Euro-Gutschein von myToys wartet noch«. Das zeigt, dass ich als Kunde ernst genommen und nicht vergessen werde. Ein Mädchen namens Jaiden bietet mir eine »free invitation« zur »outdoor sex party« an. Und die Chispa y Los Cómplices holen derweil Cuba nach Hamburg. »Nick Nolte Volunteers for Rehab Back East« heißt es derweil aus Amerika. Und wenn ich nicht zur Outdoor Sexparty möchte, dann kann ich ja dem Pink4Free-Newsletter Folge leisten und mir das ansehen: »Super Hot Latex Teens Doing The Wildest Things«. Ein anderer funkt Lebensweisheiten ins Netz: »variety is the spice of life«. Außerdem gibt es noch eine Marktanalyse zum »Europamarkt für integrierte Systemarchitektur im militärischen Bereich«. Wichtig für mich ist auch zu wissen, dass die Firma Attachmate Adapter Builder Partner von Microsoft geworden ist und dass fabao101.de die »Haarwuchs-Mittel Sensation aus China« zu bieten hat - und das mit zwei Ausrufezeichen. Interessant ist am Ende immerhin noch die Pressemitteilung »Kann Stroh Kunststoff ersetzen?«
Trennungsschmerz
Keine Frage: Spam ist Unterhaltung pur. Die Lektüre allein der Mail-Überschriften hat etwas Dadaistisches und fügt unsinnige Textfetzen zu einem Kunstwerk aus Worten zusammen. Vielleicht sollte man die »Subjects« der Mails verwenden, um avantgardistische Gedichte zu schreiben? Ich denke drüber nach, während ich die neuesten Mails lösche. Den alten Account behalte ich lieber noch eine Weile. Ich kann mich von meinem Flurfunk noch nicht trennen.
Carsten Scheibe