Der Job ist stressig genug. Zur Entspannung gönne ich mir abends eine Runde Poker im Internet. Mal passen sechs Fremde an einen Tisch, mal sind es acht. Wichtig ist nur, dass man Zeit mitbringt. Denn Pokern ist kein Glücksspiel, sondern pure Strategie. Es kann schon einmal eine halbe Stunde ständiger Verluste dauern, bis die richtigen Karten kommen. Wer dann klug taktiert, kann seine Mitspieler richtig arm machen.
Ich habe mit BL-Spielen angefangen, die Blind-limitiert sind. Hier kann jeder immer nur einen Einsatz in Höhe des Blinds geben, also des Mindesteinsatzes. Das führt dazu, dass die Mitspieler in jeder Bietrunde wie irre Chips in die Mitte schmeißen - noch ehe man absehen kann, wie sich das eigene Pokerblatt entwickelt. In der Folge kann man bei diesem Spiel übel gewinnen und auch übel verlieren. Kommen keine guten Karten, raucht sich das eigene Spielgeld schnell auf.
No limit: Ich setze alles!
Deswegen bin ich zum No-Limit gewechselt. Hier kann jeder Spieler jederzeit sein ganzes Kapital auf den Tisch donnern. Ich spiele an 5/10-Cent-Tischen, muss also im optimalen Fall nur 10 Cent bezahlen, um den Flop mit drei Karten sehen zu können. Die bezahle ich gern. Die anderen Spieler haben das noch nicht gerafft, dass sie nie wieder einen Flop so billig zu sehen bekommen - und passen viel zu schnell. Das ist dumm. Aus einer schlechten 2 und 4 auf der Hand kann doch blitzschnell noch eine Straße werden, wenn im Flop As-3-5 aufgedeckt werden.
Beim No-Limit wartet man, bis sich ein richtig gutes Blatt entwickelt hat und wirft dann schnell ein paar Dollar auf den Tisch. Geht jemand mit und das eigene Blatt ist besser, wächst das eigene Konto gleich deutlich an. Nach einigen Wochen der Übung bin ich deutlich besser beim Pokern geworden. Habe ich anfangs auf lange Sicht doch immer nur verloren, halte ich jetzt mein Spielgeld-Kapital in der Waage. Vielleicht werde ich irgendwann so gut, dass ich auch mal regelmäßig gewinne.
Kamikaze mit den letzten Dollars
Spannend ist es, die Strategien der anderen Pokerspieler zu beobachten. Da gibt es die Experten, die ein Superblatt in den Händen halten, aber selbst keinen Einsatz provozieren, sondern immer nur auf andere Einsätze reagieren. Ihnen mutet man kein gutes Blatt zu, weil sie viel zu passiv spielen. Und wenn dann nach mehreren Bietrunden jeder schon ordentlich Geld im Pott hat, dann erhöhen sie nach dem River auf einmal den Einsatz deutlich - und überreden so viele Spieler zum Mitziehen, weil sie ja schon viel zu viel Geld einbezahlt haben, um jetzt noch zu kneifen.
Andere Spieler sind zu aggressiv und verlieren ihren Einsatz, bis sie nur noch einen kleinen Rest übrig haben. Mit dem gehen sie dann gern All-in, kaum dass sie ihre beiden Karten gesehen haben. Alles oder nichts. Oft genug lassen sich andere Mitspieler dazu verleiten, da mitzuziehen - und schon gibt es ein packendes Spiel, bei dem erst die beiden Karten der Kontrahenten aufgedeckt werden und dann die fünf Karten in der Mitte. So mancher Spieler kann sich mit einer solchen Kamikaze-Aktion durchaus wieder zurück ins Spiel bringen. Oder er verabschiedet sich eben, um neue Chips zu holen.
Darth Vader und die Kurnikowa
Aber auch jenseits des Pokertisches lerne ich dazu. Erst durch die Kommentare der Mitspieler im Online-Chat, dann durch Recherchen im Internet. So neigt der Pokerspieler dazu, seinem Blatt Namen zu geben. Die schwarze 4 etwa ist die Darth-Vader-Karte. AA gelten als "American-Airlines"-Kombo, KJ (König und Bube alias Junge) sind Vater&Sohn und QT (Dame-Zehn) wird gern auch als "Quentin Tarantino" gehandelt. Wer einen "John Travolta" in den Händen hält, hat einen Buben und eine Zehn - JT, während man unter einem "Dolly Parton" die Kartenkombo 95 versteht - analog zu ihrem Hit "nine to five". 66 ist die Satans-Karte, und in den USA gelten die Karten 55 als "Speed limit", also als Geschwindigkeitsbegrenzung.
Ich persönlich finde die Namen am besten, die auch etwas über die Gewinnchancen der betroffenen Karten aussagen. AK wird als Ass-König immer sehr hoch bewertet. Nur wird man als Pokerspieler schnell feststellen, dass diese Kombo eine echte "Anna Kurnikowa" ist: sieht gut aus, gewinnt aber nur selten.
Die Q7 ist die Computer-Hand. Sie gilt als die mathematisch bewertete Durchschnittshand, also die, die man am häufigsten in der Hand hält. Die T2 (Zehn und Zwei) ist die "Doyle Brunson" Hand. Sie gilt eigentlich als besonders schwaches Pokerblatt. Trotzdem hat eben der genannte Brunson mit ihr gleich zwei Mal in Folge die Weltmeisterschaft gewonnen.
Miese Karten: Hol dir lieber ein Bier!
Cool finde ich die "Beer Hand" aus 7 und 2. Hier sagt der Poker-Volksmund: Spiel das nicht, geh dir lieber ein Bier holen. Die 7 und die 2 gelten als schlechtestmögliche Hand. Klar, daraus kann man ja nicht einmal eine Straße bauen. Also weg damit. Obwohl die 7 meine Glückszahl ist. Oft habe ich eine in der Hand und treffe dann noch zwei weitere im Flop.
Gruselig ist die Kartenkombo A8, also ein Ass und eine Acht. Diese Kombo wird "Dead man's hand" genannt. Zwei Asse und zwei Achten hielt der Westernheld Wild Bill Hickock anno 1876 in den Händen, als er in einem Saloon von hinten erschossen wurde. Wer's genau sehen möchte, holt sich die erste Staffel der TV-Serie "Deadwood". Da wird 's gezeigt.
So, das Wochenende wartet. Vielleicht treffe ich ja den einen oder anderen Leser online wieder - zum freundlichen Duell um Spielgeld.
Eine Glosse von Carsten Scheibe, Typemania