Meine Hausschlüssel brauche ich nicht mehr. Ich lege einfach meinen Finger auf das Display neben der Eingangstür und aktiviere über die Körpertemperatur den Scan. Der vergleicht die Hautrillen in meiner Daumenkuppe mit seinem gespeicherten Raster. Mit einem lauten "Klack" schieben sich die sechs Stahlbolzen wieder in die Tür zurück.
"Willkommen zurück, Meister Scheibe", säuselt eine Stimme, die verdammt nach einem englischen Butler klingt. Den Wortlaut habe ich selbst in den Hauscomputer eingespeist. Ich habe auch die Stimme ausgewählt. Obwohl ich die leicht devote Stimme eines dummen Blondchens ja schöner gefunden hätte. Aber meine Frau war dagegen: "Was sollen denn die Leute denken?"
Freunde besser kennen lernen...
Kaum im Haus angekommen, kicke ich die Schuhe in die Ecke und gehe erst einmal auf die Toilette. Wie gut, dass ich mich damals durchgesetzt und ein Pinkelbecken eingebaut habe. Das lässt die ganze Diskussion ums Hinsetzen oder nicht gegenstandslos werden. Ich bin fertig und trete einen Schritt zurück. Automatisch aktiviert die freigegebene Lichtschranke die Spülung. Gleichzeitig leuchtet ein grünes Lämpchen über der Spültaste auf. Die Urinanalyse hat ergeben, dass alles im grünen Bereich ist. Ich habe den Standardscan übrigens auch noch auf Drogen erweitert. Es ist doch schon sehr interessant zu sehen, welcher Freund und Bekannte heimlich Ecstasy nimmt. Das im Hauscomputer abrufbare Pinkelprotokoll führt da sehr genau Buch.
Ein reinlicher Kühlschrank
In der Küche möchte ich mir einen Yoghurt aus dem Kühlschrank nehmen, aber es ist kein Becher mehr da. Aha, das Haltbarkeitsdatum war abgelaufen, und der Kühlschrank hat die letzten Becher automatisch mit dem Greifarm durch die Müllklappe geschoben. Die abgelaufenen Biokulturen mit der linksdrehenden Milchsäure müssten jetzt schon draußen in der Mülltonne liegen. Im Display des Kühlschranks lese ich die Frage, ob neue Yoghurts auf die nächste Einkaufsliste zu übernehmen sind. Ich bestätige und lasse die aktuelle Liste auch gleich ausdrucken, weil auch noch Milch und Butter fehlen. Ein Blick auf den Einkaufszettel zeigt mir, dass der geplante Einkauf in den Läden unserer Nachbarschaft 65 Euro kosten wird. Naja, da kommen für die Spontankäufe wohl noch ein paar Euro mehr dazu.
Im Speicherraum stehen die Getränkekästen. Ich hole mir ein Mineralwasser aus dem elektronischen Kasten und sehe ein rotes Licht im Kastengehäuse aufblinken. Oh weh, nur noch drei Flaschen im Kasten. Der Cola- und der Sprudelkasten leuchten auch schon. Da wird mein Lieferant wohl bald eine neue automatisch generierte E-Mail erhalten, damit er weiß, was er mir wieder alles ins Haus liefern muss.
Wenigstens die Geräte hören auf mich
Mit der Flasche in der Hand setze ich mich im Wohnzimmer auf die Couch. Ganz leise beginnt Bryan Ferry sein gehauchtes "As Time Goes By" zu singen. Der Hausrechner hat erkannt, dass sich jemand im Wohnzimmer aufhält. Ich sage laut und deutlich "Musik aus" und dann "Fernseher an". Umgehend befolgt der Computer meine Anweisung. Auf dem Fernseher erscheint ein Auswahlmenü. Er hat automatisch meine Favoriten aufgezeichnet und nennt mir jetzt die Titel der einzelnen Sendungen, die auf der Festplatte vorliegen. Soll ich Ankes Late Night von gestern schauen oder doch lieber TV Total mit Stefan Raab? Ich entscheide mich stattdessen für eine verpasste Folge von "Familie Dr. Kleist" und mache es mir gemütlich. Der Festplattenrekorder musste nicht einmal die Werbung aus der Sendung schneiden, denn am Abend kommt in der ARD ja eh keine Werbung.
Es klingelt an der Tür. Ich sage laut "Türklingeln" und schon stoppt der Fernseher die Aufzeichnung und zeigt mir stattdessen das Bild der billigen Webcam, die ich in den Gartenzaunpfeiler eingebaut habe. Ein Typ mit einer Teppichrolle über dem Arm steht vor dem Tor. Ein Vertreter - das hat mir gerade noch gefehlt. Ich sage laut "Abweisen" und der Mann hört nun erstaunt, wie der Pfeiler mit ihm redet: "Dies ist eine Aufzeichnung. Es ist niemand zuhause. Möchten Sie eine Nachricht hinterlassen?" Möchte der gute Mann nicht. Er sucht lieber das Weite. Und findet es auch. Gut so. Bei Dr. Kleist war es nämlich gerade richtig spannend.
Eine Glosse von Carsten Scheibe, Typemania