Scheibes Kolumne Gepflegte E-Mail-Kultur

Alle Welt redet nur über Spam und über die wertvolle Zeit, die mit der Durchsicht der Mails vertan wird. Was für ein Jammer. Der Blick ins elektronische Postfach ist doch ein echtes Happening, findet Kolumnist Scheibe.

Damals, vor gut zwanzig Jahren, als die Pubertät noch durch unsere Adern brannte, haben wir uns immer Briefe geschrieben. Lange persönliche Schreiben in bunten Kuverts. Fast jeden Tag lagen zwei oder drei neue Briefe im Briefkasten, mal von Ute, mal von Anja, mal von Petra. Und auch Goldi schrieb mal ein paar Zeilen. Das war völlig harmlos, weit von den klassischen Liebesbriefen entfernt und machte einfach Spaß. Vor allem, als uns die Themen ausgingen und die Briefe kreativer wurden. Anja schickte mir etwa täglich einen Brief auf die Klassenfahrt hinterher. In jedem Umschlag steckten an die hundert mit der Schere zerfetzter Papierschnipsel. Zusammengelegt ergaben sie immer eine neue Seite aus dem Playboy. Sie wissen schon - die Ausklappseite mit der doppelten Falz. Mit zittrigen Fingern legten wir Jungs die Schnipsel zusammen und hofften darauf, das begehrte Puzzelteil mit den Nippeln zu ergattern. Dann malten wir für Anja schweinische Bilder und schickten sie ihr zurück.

Wie war das mit dem Bihuhn?

Das mit dem Briefeschreiben kultivierte sich noch eine ganze Weile, bevor es langsam an Reiz verlor. Spannend waren höchstens noch die Spaßbriefe von Viktor, der große Firmen anschrieb und mit einer künstlichen Kinderschrift nachfragte, ob denn das Huhn in der Bihuhnsuppe wirklich bisexuell sei. Die bemüht sachlichen Antworten der Firmen wurden dann in den Schulpausen lachend von einem zum anderen gereicht.

Überraschungen sind garantiert

Heute finde ich in der normalen Post nur noch Rechnungen, Kontoauszüge und die Aufforderung vor, Lose der deutschen Klassenlotterie zu kaufen. Nichts Spannendes also. Dafür geht aber in meinem elektronischen Mail-Account die Post ab. Kein Spam-Filter sorgt dafür, dass missliebige Nachrichten ausgefiltert werden. Und so gleicht jeder Blick ins Postfach dem Griff in die Wundertüte: Niemand weiß so genau, was sich in einem neuen E-Brief verbirgt. Da gibt es etwa herrliche Beschimpfungen von rüden Lesern meiner Kolumne: "Vielleicht sind Sie auch noch aus dem Osten Deutschlands (DDR), 40jahre im freien Zuchthaus gelebt, dann mal Freiheit schnuppern und so abdrücken. Falls Sie ein Journalist sind, haben Sie von tuten und blasen keine Ahnung,und Ihnen gehört das Handwerk gelegt!"

Die Welt wird zum Dorf

Eine Firma bedankt sich über den wunderschön gestalteten Bericht über moderne Vibratoren, den wir veröffentlicht haben. Ein anderer Brief stammt aus Mauritius. Hier veranstalten deutsche Auswanderer Ausflüge mit dem Boot zum Zwecke der Hochseefischerei. Eben dieses Pärchen hat eine Frage zu einem Computer-Programm und richtet sich dabei ausgerechnet an mich. Am liebsten würde ich dieses Problem direkt vor Ort klären, mit einem kühlen Bierchen an Bord ihres Bootes, den Schwertfisch bereits am Haken. Eine andere Leserin meldet sich aus Hawaii und lädt mich zum süffigen Mai Tai an, wenn ich mal wieder in der Gegend bin. Ich hatte in irgendeiner Kolumne erwähnt, dass Maui mein liebster Flecken auf der Erde ist. So rückt die ganze Welt per Mail zusammen.

Nigeria-Connection und Jobwunder

Auch an der Spam-Mail kann ich mich erfreuen. Richtig einfallsreich finde ich die Einfälle der Nigeria-Mafia, die immer wieder neu versuchen, mich via Mail um mein Geld zu betrügen. Aus immer neuen afrikanischen Staaten melden sich virtuelle Frauen und Männer, um mir auf mehreren Bildschirmseiten eine abenteuerliche Lebensgeschichte aufzutischen. Am Ende bitten sie aber doch immer wieder unisono um meine Mithilfe dabei, ein paar Millionen Dollar außer Landes zu schmuggeln - gegen zehn Prozent Beteiligung. Ich kenne das schon: Ich soll erstmal 30.000 Euro vorstrecken. Lustig finde ich auch immer noch die Versuche völlig fremder Menschen, mir einen neuen Job zu verschaffen. Mit dem könnte ich 8.000 Euro im Monat verdienen. Akribisch wird mir ausgemalt, was ich mit dem Geld alles anfangen kann. Nur: Was ich eigentlich tun soll, wird nicht verraten, dafür soll ich erst für teures Geld ein Starter-Pack kaufen. Wer ist eigentlich noch so blöd, auf so etwas reinzufallen?

Freunde in aller Welt

Da freue ich mich doch lieber über die Mails meiner Freunde aus aller Welt, die jeden Blick in eine Illustrierte ersetzen. Patrick mailt mir sein erstes großes Paper, das er in einer namhaften Wissenschaftszeitung veröffentlicht hat. Er arbeitet als Genetiker in der Harvard University. Klaus ist wieder durch Afrika getrampt und hat dabei ein Tagebuch geschrieben, das ein verrücktes Abenteuer an das andere reiht. So steckt er mir, dass man die Grenzbeamten in den afrikanischen Provinzen am besten mit deutschen Pornoheftchen bestechen kann. Ansonsten verstaubt man stundenlang in den Warteschlagen am Grenzpfosten. Wahnsinn - eine echt heiße Lektüre. Ute schreibt mir derweil ganz bodenständig, was die Rennmäuse anrichten, die ich ihr letzte Woche geschenkt habe. Und Gerd aus Bayern schickt mir ein Foto, um zu zeigen, wie dick er geworden ist. Dabei war er doch früher immer ein echt dünner Hering, fast ein Spargeltarzan.

Leider sind E-Mails für viele Anwender noch immer ein lästiges Werkzeug zum Zweck. Vor allem in der Computer-Branche zeigt sich, dass viele ihre Mails überhaupt nicht oder nur mit großer Verspätung lesen und beantworten. Andere reduzieren den Schriftverkehr auf wenige sachliche Wörter. Schade. Ich könnte inzwischen gut und gerne auf das altgediente Telefon verzichten. Zu Schweißausbrüchen kommt es bei mir nur immer dann, wenn die DSL-Dauerverbindung mal wieder zusammenbricht und ich eine Stunde oder länger von meinen neuesten Mails abgeschnitten bin.

<a class="link--external" href="mailto:scheibe@typemania.de">Carsten Scheibe</a>

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