Damals im Werner-von-Siemens-Gymnasium in Berlin-Zehlendorf wussten die meisten Abiturienten absolut nicht, was sie werden wollen - sobald die Schulzeit einmal vorbei war. Die meisten wollten eine Banklehre machen, um Geld zu scheffeln. Ein Freund wollte zum Theater, das war wenigstens etwas Ambitioniertes. Und ich wusste schon immer, dass meine Bestimmung mich entweder in die Wissenschaft oder in eine Redaktion führen würde.
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In seiner Freizeit geht Carsten Scheibe golfen - und arbeitet daran, dass der Golfball auf der selben Bahn ankommt, von der er abschlägt. Wenn's mit dem Spielen nicht so gut klappt, schreibt er lieber - für das eigene, kostenfrei in den Golf-Clubs ausliegende Magazin "Mein Golf-Heft". Das gibt's mit allen Artikeln auch im Internet. Natürlich ist der PC auch hier ein Thema.
Ich probierte es dann nach meiner Schule zunächst mit dem Biologiestudium. In den wunderschönen Villenhäusern der FU Berlin absolvierte ich die spannenden Anatomiekurse, die mir verhasste Botanik ("Botanik ist die Lehre vom Tierfutter"), die öde Systematik, die aufregende Zoologie und am Ende auch die unglaublich faszinierenden Grundkurse in Mikrobiologie. Dabei geht es um Bakterien, Genetik und jede Menge stinkenden Schleim. Wie sagte doch noch der Besuch vom Robert-Koch-Institut: "Junger Mann, an dieser Nährbodenplatte würde ich nicht so gierig riechen. Da ist die Syphilis drauf. Erklären Sie mal Ihrer Freundin, dass Sie sich die im Labor geholt haben."
Fenster einladen - zum Kindergeburtstag?
Nebenbei hörte ich aber nicht mit dem Schreiben auf. In der Zeit, als ich mit meiner Diplomarbeit in der Mikrobiologie anfing und knapp ein Jahr lang jeden Tag von morgens bis spät abends im weißen Kittel im Labor des zweiten Stocks der Pflanzenphysiologie verbrachte, um Schwermetallresistenzen beim Bakterium Alcaligenes eutrophus zu untersuchen, schrieb ich bereits erste Artikel für die DOS Shareware und die PC Praxis. Eines Tages erwischte mich dann Stefan Wischner von der PC-Zeitschrift WIN, die damals im Vogel-Verlag veröffentlicht wurde. Ihm sei der Autor abhanden gekommen, der jeden Monat immer die vier Seiten mit einem Workshop zur "Shareware des Monats" verfasst hatte. Er hätte von mir gehört und würde mir den vakanten Job gern als feste Einnahmequelle anbieten. Die einzige Bedingung: Der erste Vierseiter müsste bereits am nächsten Morgen fertig geschrieben und an die Redaktion übermittelt sein.
Deadlines gab es auch schon damals
Damals gab es noch kein allgegenwärtiges Internet. Aber Deadlines, die gab es schon. Ich setzte mich also abends um neun nach einem langen, langen Tag im Labor an meinen Rechner und tippte den Vierseiter herunter, so gut und schnell ich nur konnte. Ich sicherte die Textdatei und nahm sie am nächsten Morgen auf einer Floppy-Diskette mit in die Uni. Dort überredete ich meinen Laborkumpel Oliver, man kurz eine Stunde blau zu machen und mit ihm nach Hause zu fahren. Oliver hatte als einer der ersten ein richtiges Modem an seinem Heim-PC, sodass wir die Datei zur WIN in München beamen konnten. Bislang hatte ich meine Texte und Bilder immer auf Diskette (lieber die kleinen 3,5-Zoll-Dinger, die waren stabiler als Floppies) per Schneckenpost oder Expresspost in die Redaktionen geschickt.
Kurzum: Ich bekam meinen Job und konnte mehrere Jahre lang die "Shareware des Monats" schreiben. Mein Redakteur war ein Glücksfall. Er nahm sich noch die Zeit, an meinem Stil zu feilen und schickte mir die korrigierten Manuskripte mit vielen launigen Anmerkungen zurück. Wenn ich etwa von "Fenstern einladen" schrieb, dann kritzelte er daneben: "Wozu denn? Zum Kindergeburtstag?" Einmal musste ich einen ganzen Vierseiter ohne die Wörter "hatte", "werden" und "können" schreiben. Das zwang mich, das langweilige Passiv sein zu lassen und mehr im Aktiv zu arbeiten. Heute ist die Zeit in vielen Redaktionen so stressig geworden, dass diese Art der Arbeit mit den Frischlingen leider flachfallen muss.
Bakterien züchten, Artikel verkaufen
Während ich tagsüber Bakterien züchtete, Gene mutierte, Schwermetalle abmaß und jeden Tag aufs Neue DNA extrahierte (Ach, dieses weiße Pellet in den zentrifugierten Eppendorf-Reaktionsgefäßen, sie fehlen mir noch immer!), machte ich als PC-Autor immer mehr Furore. Damals war der ganze PC-Markt nicht nur am Wachsen, sondern überhaupt erst am Entstehen. So konnte ich für immer mehr neu gegründete Magazine schreiben - für die PC Life, die Computer Persönlich und wie sie alle hießen. Wenn man nun aber keine E-Mail-Anbindung hat und tagsüber in der Uni weilt, dann gibt es zwangsläufig Probleme mit der Erreichbarkeit zwecks Abstimmung der Artikel. Handys gab es auch noch keine. Um dem ersten Ärger mit den Redaktionen aus dem Weg zu gehen, beantragte ich bei der Uni-Leitung ein eigenes Telefon mit einer eigenen Rufnummer. Das wurde mir dann tatsächlich mitten im Sicherheitsstufen-Labor auf meinem Schreibtisch montiert. Ich sehe es noch genau vor mir - es war so ein klassisches schwarzes mit einer runden Wählscheibe und einem Hörer, der über ein Ringelkabel mit dem Telefon verbunden war.
In der Folge klingelte den halben Tag mein Telefon. Für mich war das nur gut, denn so konnte ich neben der Bakterienzüchterei weiter an meiner Schreibkarriere feilen. Aber mein Betreuer fand das sicherlich nicht so toll - er sagte aber nichts. Und so kam es, dass mich der eine oder andere Kollege wegen eines klingelnden Telefons auch schon einmal aus dem Radioaktivlabor holen musste, in dem ich oft mit dem wirren Frankie hockte, um genetische Markierungen mit radioaktiven Schwefel zu setzen. Franke murmelte dann immer monoton vor sich hin "Ich werde nie wieder Kinder zeugen können", während der Geigerzähler ruhig tickte. Nicht, dass er es je zuvor getan hatte.
Doktorarbeit oder Schreiberling?
Am Ende hatte ich eine Doktorstelle in Halle in Aussicht und zugleich einen bunten Strauß lukrativer PC-Schreibaufträge sicher - und musste mich entscheiden. Ich entschied mich gegen den Doktor und für das Schreiben und hängte meine Uni-Karriere mit dem ergatterten Diplomzeugnis an den Nagel. In der eigenen 3-Zimmer-Wohnung in Berlin richtete ich damals ein erstes Büro ein. Kurz darauf ereile mich dann auch schon ein Anruf aus Eschwege vom Tronic-Verlag: Ob ich mir vorstellen könnte, ein ganzes PC-Magazin mit dem Namen "Inside Shareware" selbst zu koordinieren und zu schreiben - oder nicht. Natürlich setzte ich mich sofort ins Auto, um das Angebot persönlich anzunehmen. Aber das ist wieder eine ganz andere Geschichte.