Spezialbrille Wenn Blicke googeln könnten

Von Anna Christina Massing
Finnische Forscher tüfteln am Wunschtraum aller notorischen Schwatztanten: einer Spezialbrille, die automatisch Informationen über andere Leute einblendet.

Zugegeben: Bislang sieht die Zukunft eher beknackt aus. Eine übergroße Spiegelsonnenbrille im Look der späten Neunziger, mit Ohrstöpseln am Bügel und einer duplosteingroßen Kamera über der Nase - das ist der Prototyp, den Forscher am Helsinki Institute for Information Technology entwickelt haben. Eine Spezialbrille, die unseren Blick auf die Welt verändern könnte - oder zumindest die Art, wie wir Cocktailpartys feiern.

Denn was die merkwürdige Konstruktion verspricht, ist eine Art Suchmaschine fürs menschliche Auge. Nur durch Blicke gesteuert, zeigt das System Informationen an über Personen, Gebäude, Produkte oder andere Objekte - und zwar direkt auf der Innenseite der Brillengläser. Das Gerät erkennt also, was der Benutzer gerade anschaut und verschafft ihm automatisch Daten dazu.

Was das für klassische Small-Talk-Situationen wie Sektempfänge oder Stehpartys bedeuten könnte, kann man sich leicht ausmalen: Ohne jemals mit einer Person gesprochen zu haben, könnte man sich über ihren Namen, ihren Beziehungsstatus oder über ausgefallene Hobbys erkundigen - und das alles innerhalb von Sekunden. "Die Brille soll helfen, Informationen einfacher zu finden, und zwar genau dann, wenn sie auch gebraucht werden", sagt Samuel Kaski, Professor an der Aalto University Helsinki und Leiter der Entwicklungsgruppe.

"Augmented Reality" nennen IT-Experten das Prinzip der erweiterten Realitätswahrnehmung. Neu und aufregend ist im Fall der finnischen Brille vor allem die Art der Steuerung. Ausschließlich durch Augenbewegungen werden die Informationen abgerufen - ein bisschen also wie beim "Terminator" im gleichnamigen Schwarzenegger-Film.

So funktioniert es

Die Grundidee dabei ist simpel: Was einen interessiert, das schaut man an. Ein integriertes Eye-Tracking-System verfolgt die Bewegungen der Augen. Wirft man nun auf eine Person oder einen Gegenstand etwas mehr als nur einen flüchtigen Blick, erscheint im Sichtfeld ein transparentes Fenster, in dem Wörter oder kurze Sätze stehen. Je nachdem, wie genau man diese Einträge betrachtet, erkennt das System, ob Interesse daran besteht oder nicht.

Dabei ist die Brille sogar lernfähig: Eingeblendete Informationen, die nicht angeschaut werden, scheinen für den Betrachter nicht relevant zu sein und werden beim nächsten Mal nicht mehr gezeigt. "Das System folgert ohne direkte menschliche Befehle, was für den Betrachter interessant ist", sagt Kaski.

Gefunden in ...

... der Onlineausgabe der Financial Times Deutschland"

Bisher funktioniert das Ganze freilich nur in einer sehr kontrollierten Umgebung - der Prototyp benutzt eine vorgegebene Datenbank und arbeitet nur auf dem Campus in Helsinki. Wer dort mit der Brille über die Flure spaziert, erfährt manches über die Mitarbeiter und Räumlichkeiten. Wildfremde Menschen dagegen kann die Brille nicht erkennen. Langfristig aber könnte sie ihre Auskünfte direkt aus dem Internet beziehen, etwa über Google oder Facebook.

Fünf bis zehn Jahre, so schätzen die Forscher, könnte es bis zur Marktreife dauern. "Bis dahin liegt noch eine Menge Arbeit vor uns", sagt Entwickler Jorma Laaksonen. Studienleiter Kaski jedenfalls freut sich jetzt schon: "Ich hätte gerne so ein Display in meiner Brille, das wäre viel einfacher als die derzeitige Kombination von Handy, Laptop und Schlagwortsuche", sagt er. Bis es so weit ist, muss man bei Sektempfängen wohl noch auf die altmodische Variante zurückgreifen - und mit Menschen sprechen, wenn man sie genauer kennenlernen möchte. Googeln kann man sie ja später. Zu Hause am Rechner.

FTD

PRODUKTE & TIPPS