"Heavy Rain" Spiel mit den Emotionen

In "Heavy Rain" verschmelzen die Grenzen zwischen Videogame und Film. Der Thriller für die Playstation 3 zeigt eine neue Art des Geschichtenerzählens. Nie war Spielen so emotional.
Von Nina Ernst

Ethan Mars holt seinen Sohn Shaun ab. Der Himmel ist grau, schon seit Tagen prasselt der Regen auf die Stadt. Angekommen in der tristen Wohnung rennt Shaun direkt zum Fernseher. Mit müden, traurigen Augen sieht Ethan seinen Sohn an. Beide schweigen, wirken einsam. Die Atmosphäre ist beklemmend. Was nun? Wird sich Ethan in seine depressive Stimmung fügen und einfach nur dasitzen? Oder tut er etwas für die schwierige Beziehung zu seinem Sohn, fängt eine Unterhaltung an, hilft bei den Hausaufgaben? Es ist der Spieler in der Rolle des Vaters, der entscheiden muss.

In "Heavy Rain" liegt es am Spieler, welchen Verlauf die Geschichte nimmt. Durch die Handlungsfreiheit und geschickt inszenierte Kameraeinstellungen wirken selbst kleine Szenen wie die Ankunft von Vater und Sohn ergreifend. Hier dreht sich alles um Emotionen. Um die der Charaktere und die des Spielers, der deren Gefühle nachempfinden soll. Das gelingt so gut wie selten zuvor in einem Videospiel. Seit Jahren erzählen Entwickler, dass Games mehr Möglichkeiten bieten als Filme. Dass der Spieler durch die Interaktion stärker ins Geschehen gezogen werden solle und sich wie der Hauptdarsteller fühlen kann. Doch trotz immer realistischerer Grafik blieben die großen Emotionen beim Zocken meist aus. Dass ein Spiel wie "Heavy Rain" sogar Mitleid und Traurigkeit erzeugt, ist neu. "Emotionen sind ein großer Trend bei Games", sagt Guillaume de Fondaumière französischen Spieleentwicklers Quantic Dream. Er ist Produktionsleiter von "Heavy Rain". "Wir haben diesen Trend auf unsere Weise interpretiert und wollen das Mitgefühl des Spielers wecken. Dazu nutzen wir eine neue Art des Geschichtenerzählens". Die wirkt mit all den Nahaufnahmen, Kamerafahrten und Videosequenzen fast wie ein Film, ein Thriller.

Herbst, Zeit zu sterben

Ein Serienmörder geht um. Der so genannte Origamikiller entführt seine Opfer stets im Herbst bei starkem Regen. Er tötet sie wenige Tage später und legt die Leichen mit einer Orchidee und Origamifigur ausgestattet im Schlamm ab. Als plötzlich ein kleiner Junge verschwindet, beginnt für den Spieler die Jagd auf den Mörder. Er steuert abwechselnd den Vater des Jungen, den Privatdetektiv Scott Shelby, die Journalistin Madison Page und den FBI-Agenten Norman Jayden. Alle Spielfiguren haben zwei Dinge gemein: Jede besitzt eine tragische Vergangenheit und ein Motiv, nach dem Täter zu suchen.

Nachdem das Spiel sich anfangs Zeit lässt, die Figuren einzuführen, gewinnt die Geschichte immer mehr an Fahrt, bis alle Beteiligten schließlich aufeinander treffen. Die Hinweise auf den Täter sind so geschickt gestreut, dass das Rätseln über dessen Identität und seine Beweggründe bis zum Schluss anhält. Selbst nach dem Ausschalten der Konsole kann einen das Zusammenfügen der Puzzlestücke noch beschäftigen.

Komplexe Handlungsstränge

Rund 15 Monate haben die Entwickler gebraucht, um das Drehbuch zu verfassen. Da die Geschichte je nach Handlungen des Spielers einen anderen Verlauf nimmt, bekommt man beim einmaligen Durchspielen nur einen Teil des Scripts zu sehen. Darüber hinaus umfassen die 2300 Seiten Drehbuch Hintergrundgeschichten der Figuren, die nicht zur Spielhandlung gehören. So wollte Autor David Cage es den Schauspielern erleichtern, sich in ihre Rollen einzufühlen. Denn alle 90 virtuellen Figuren wurden von echten Schauspielern gespielt. Per Motion-Capturing-Verfahren wurden deren Bewegungen in 170 Tagen eingefangen, so dass der Spieler selbst winzige Regungen der Mimik erkennt. Dadurch wirkt alles fast so lebensecht wie im Kino.

Ohne die neuen, grafischen Möglichkeiten der aktuellen Spielkonsolen wäre ein Spiel wie "Heavy Rain" nicht möglich gewesen, meint Fondaumière. Ein Spiel, das von der Mimik und den Emotionen der Figuren lebt. Wahrscheinlich ist das einer der Gründe, warum im Jahr 2005 der erste Versuch von Quantic Dream, einen emotionalen Thriller zu veröffentlichen, noch unausgereift wirkte. Die grafischen Möglichkeiten waren bei "Fahrenheit" eingeschränkt, und die neuartige Spielsteuerung richtungsweisend, aber noch nicht gut genug.

Bei "Heavy Rain" passt nun alles zusammen. "Der Spieler soll durch die Bedienung des Controllers in denselben Zustand wie der Spielcharakter versetzt werden", sagt Fondaumière. So drückt er abwechselnd die Schultertasten, damit die Figur sich bei einem Schwächanfall schleppend vorwärts bewegt. Er zieht den Controllerstick langsam nach oben, um Kaffee zu trinken oder vom Stuhl aufzustehen. Solch banale Tätigkeiten gehören genauso zum Spiel wie Kämpfe. Fondaumière meint, dass durch die Alltagshandlungen die Identifikation mit den Figuren leichter fällt. Ob diese mit Obst jonglieren und beim Warten die Beine verschränken, hat allerdings keine Auswirkung auf das Spielgeschehen.

Handlungen und Konsequenzen

Anders bei Entscheidungen zum Schießen oder Flüchten, Helfen oder Nichtstun. Während kleiner Filmsequenzen muss der Spieler oft nur mit einem Tastendruck über das Schicksal seiner digitalen Schützlinge entscheiden. "Wir können keine extremen Gefühle wecken, ohne den Spieler in extreme Situationen zu versetzen", sagt Fondaumière. So ringt manch einer vor dem Bildschirm mit sich, kommt in einen Gewissenskonflikt. Abspeichern und erneutes Versuchen sind nicht vorgesehen. "Normalerweise lernt der Spieler aus Fehlern und macht nur das, was der Designer im Kopf hatte", meint Fondaumière. "Bei 'Heavy Rain' gibt es kein Richtig oder Falsch. Es gibt nur Handlungen und Konsequenzen". Und die können folgenschwer sein und manchen Spielcharakter das virtuelle Leben kosten.

Diese Art des Spielens und Mitleidens wirkt ungewohnt. Fondaumière hofft, dass er so Menschen für Games begeistern kann, die sonst lieber Filme ansehen als virtuelle Abenteuer zu bestreiten. In Zukunft will er weitere emotionale Spiele machen: "Wir haben mit 'Fahrenheit' und 'Heavy Rain' ein neues Format erforscht und besitzen nun das digitale Vokabular, mit dem wir jede Art von Geschichte erzählen können", sagt Fondaumière. "Es wäre zum Beispiel interessant, auf diese Art eine Komödie zu erzählen".

Heavy Rain

Hersteller/Vertrieb

Quantic Dream/SCE

Genre

Adventure

Plattform

Playstation 3

Preis

65 Euro

Altersbeschränkung

ab 16 Jahren

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