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"Webdoc" aus der Schweiz Facebookli für Diskussionsfreudige

Der Schweizer Neuling "Webdoc" verspricht lebendige Unterhaltungen, wo angestammte soziale Netze kaum mehr als Kommentare bieten. Hat der David aus den Alpen eine Chance gegen die Goliaths der Netzwelt?
Von Karsten Lemm

Können 600 Millionen Menschen irren? Mehr als eine halbe Milliarde Erdenbürger, die Facebook inzwischen in seinen Bann gezogen hat? Für viele von ihnen dreht sich täglich, stündlich, sekündlich die halbe Welt um die neuesten Nachrichten aus dem Kreis der 50 bis 500.000 engsten Freunde. Und da kommt nun ein Neuling aus den Alpen und behauptet: Das geht besser! "Bei Facebook stellen Sie Informationen ins Netz - aber Sie führen keine Unterhaltungen", sagt Vincent Borel, Mitgründer der Jungfirma "Webdoc" aus Lausanne. Zwar erlaubt es Facebook, Kommentare zu schreiben, und auch bei anderen Diensten wie Twitter und Xing haben Nutzer Wege gefunden, Informationen auszutauschen. Doch das genügt den Schweizern nicht. Sie versprechen lebendige Diskussionen, an denen sich alle gleichermaßen beteiligen können.

Webdoc setzt auf Fotos, Videos, Musik und vieles mehr, wo andere sich mit "Daumen hoch", "Daumen runter" oder ein paar Zeilen Text begnügen: Die Gründer, die aus dem Umfeld der Universität Lausanne stammen, haben eine Technologie entwickelt, mit der sich Multimedia-Inhalte aus dem ganzen Netz in ihren Dienst mit einbauen lassen. Oft genügt es, diese Inhalte - ob YouTube-Film, Google-Maps-Landkarte oder Fotos vom eigenen PC - in das Webdoc-Fenster zu ziehen. Dort erscheinen sie als Teil der laufenden Unterhaltung zwischen den Nutzern. Wer will, kann auf diese Weise etwa mit Freunden diskutieren, welcher Film für den Kinoabend der beste wäre - und gleich die Trailer als Anschauungsmaterial dazustellen. "Wir wollen, dass die Inhalte Teil der Unterhaltung werden, ohne dass Links immerzu anderswo hinführen", erklärt Borel.

Alles soll rein

Lebendigen Gedankenaustausch sollen auch kleine Web-Programme, sogenannte Widgets, bringen, die es Nutzern erlauben, mit wenigen Klicks eine Diaschau zu basteln oder eine eigene Umfrage zu starten. Webdoc stellt für den Anfang eine Handvoll solcher Widgets selbst zur Verfügung, hofft aber darauf, dass sich weitere Entwickler finden, die mit eigenen Ideen das Angebot erweitern. "Wir sind noch nicht soweit, dass alles, was sich im Netz findet, bei uns integriert werden kann", räumt Borel ein, "aber wir sind offen für Erweiterungen." Schon jetzt ist es auch für Laien kein Problem, ganze Webseiten in ein Webdoc-Dokument einzubauen: Kopieren der Internet-Adresse genügt.

Bei jeder Unterhaltung, die Nutzer starten, können sie per Mausklick festlegen, wer das Webdoc zu sehen bekommt und sich an der Diskussion beteiligen darf: alle Welt, sämtliche Freunde oder lediglich - ganz gezielt - einige wenige. Das erlaubt es, beim einen Thema die ganze Öffentlichkeit anzusprechen, beim nächsten nur eine Handvoll Nutzer aus dem engsten Umkreis. "Wir finden, es sollte einfach sein, Informationen mit unterschiedlichen Gruppen von Menschen auszutauschen", sagt Borel.

Auch Facebook- und Twitter-Konten erwünscht

Doch kann ein Team aus 15 Entwicklern, die fernab vom Silicon Valley werkeln, tatsächlich hoffen, millionenschweren Netzgiganten wie Facebook und Twitter Konkurrenz zu machen? "Wir sehen Webdoc nicht als Ersatz für solche Dienste", wiegelt Borel ab, "sondern als Ergänzung." Entsprechend können Nutzer sich mit ihren Facebook- oder Twitter-Konten anmelden, damit nicht jeder, der bei Webdoc mit diskutieren möchte, eigens ein Konto anlegen muss. Was ihr Dienst bietet, glauben die Firmengründer, setzte sie dennoch klar genug von anderen ab, um auf eigenen Beinen stehen zu können. "Bei uns dreht sich alles um die Inhalte", erklärt Borel, "nicht um die Menschen, die sie ins Netz stellen." Unter Ich-Verliebten mögen die Schweizer mit dieser Einstellung wenig Freunde finden - bei anderen, die mehr möchten, als Kommentare auf virtuelle Mauern zu schreiben, vielleicht schon eher. Es müssen ja nicht gleich 600 Millionen sein.

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