Kolumne - Neulich im Netz Hohe Kunst: Finnland und die Besten der Welt

Vor rund dreißig Jahren war die Geburtsstunde einer der durchgeknalltesten Disziplinen der Neuzeit: Luftgitarre spielen. Was damals Attraktion akkurater Partys war, ist heute der Menschheit eine Weltmeisterschaft wert.

Langhaarige Wichtigtuer. Zu nichts gut, nur dummes Zeug im Kopf, das die Jugend verwirrt. Beispielsweise vor rund dreißig Jahren anlässlich der Geburtsstunde einer der durchgeknalltesten Disziplinen der Neuzeit: Luftgitarre spielen. Was damals Attraktion akkurater Partys war, ist heute der Menschheit eine Weltmeisterschaft wert.

Und zwar im finnischen Oulo. Vom 27. bis 31. August diesen Jahres finden dort im Rahmen des zehnten Musik Video Festivals die achten Air Guitar World Championships statt. Nach Darstellung der Veranstalter sind die Chancen zum Erringen des Titels nun so gut wie schon lange nicht mehr. Grund: Der zweifache Weltmeister Zac Monro, ein Architekt aus London, hat nach der Verteidigung der Krone seinen Rücktritt erklärt – und sitzt nun in der Jury.

In einigen Länder offizielle Kulturdisziplin

Glücklich, wer Australier, Neuseeländer, Norweger, Österreicher, Holländer, Belgier oder Ami ist. Denn in diesen Nationen genießt das Spielen der Luftgitarre nicht nur einen ausgezeichneten Ruf, sondern ist offizielle Kulturdisziplin. Deswegen nehmen die nationalen Sieger auch automatisch an der Endrunde teil. Der Rest der Luftgitarre spielenden Weltbevölkerung kann sich in diversen Vorausscheidungen ab dem 28. August im örtlichen Rock Club 45 Special mit anderen Größen der Bewegung messen. Auf dass das dramatischste Solo mit angehängtem Rock-Pantomimen gewinnt.

Thomas Hirschbiegel

Kolumnist für stern.de seit 1997 - und das H der H&A medien: Redaktion, Public Relations und Online-Konzepte.

"Schüttel' Dein Harr für mich, Baby!"

Typen wie Jimmy Page, Ritchie Blackmore und Angus Young sind übrigens Schuld, dass junge Menschen rund um den Globus vor rund drei Dekaden mit dem Unsinn begannen. Anstatt beim klassischen Blues der in engen Blusen wartenden Schönheiten des Abends näher zu kommen, warfen heranwachsende Männlein ihr Haupthaar durch die Nacht und würgten mit den Fingern die Luft. Eben so oder so ähnlich wie es die Gitarristen von Led Zeppelin, Deep Purple und AC/DC damals auch taten. Mit dem Unterschied, dass sich zwischen deren Daumen und den übrigen Fingern tatsächlich ein Dings aus Holz und Metallsaiten befand. Mit dem Unterschied auch, dass sie sich nicht im Kreis auf der Tanzfläche zusammenrotteten, sondern ihr Tagwerk nächtens und allein im Licht der Scheinwerfer vollbrachten.

Heutzutage heißen die Gitarristen zwar anders, orientieren sich aber immer noch an den Idolen aus der Steinzeit des Rock'n'Roll mit offenen Hemden und schweißverklebten Haaren, die es so niemals in eine Haarspray-Werbung geschafft hätten. Und weil es die Virtuosen im Rampenlicht so machen, tun es ihre Epigonen mit nichts als Nichts in der Hand genauso nach. Was wahrlich nicht verwerflich ist. Wenn darüber nicht die Damen vergessen werden.

DPA
<a class="link--external" href="mailto:stern@ha-net.de">Thomas Hirschbiegel</a>

PRODUKTE & TIPPS