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Soziale Netzwerke Was darf die Polizei bei Facebook und Co.?

Wer denkt, er sei in sozialen Netzwerken vor Strafverfolgung sicher, irrt. Mittlerweile nutzt die Justiz alle Möglichkeiten der Verbrecherjagd im Web 2.0 - stößt dabei aber auf einige Probleme.
Von Malte Arnsperger

Ob es die Kinderschänder sind, die in sozialen Netzwerken ihre perversen Fotos austauschen oder Drogenhändler, die via Facebook und Co. ihr Geschäft abwickeln. Dass Verbrecher das Web 2.0 für ihre Zwecke missbrauchen, ist seit Jahren bekannt. Ein Fall aus Reutlingen wirft nun ein Schlaglicht darauf, dass die Justiz auch nicht im digitalen Steinzeitalter stehengeblieben ist. Aber er zeigt gleichzeitig, wie heikel und schwierig die Arbeit für Polizei, Staatsanwälte und Richter im Spannungsfeld zwischen Verbrechensaufklärung und Datenschutz ist.

Eigentlich will der Reutlinger Amtsrichter Sierk Hamann nur seine Arbeit machen und herausfinden, ob ein junger Mann tatsächlich seinem Kumpel dabei geholfen hat, ein Haus auszurauben. Deshalb interessierte sich der Richter dafür, was die beiden in den Tagen und Wochen vor und nach der Tat so alles bequatscht haben. Wie fast jeder in ihrem Alter haben die 20-Jährigen Profile bei Facebook. Was läge da näher für einen gründlichen Richter, als mal einen Blick auf die Nachrichten zu werfen, die sich die Kumpane über das soziale Netzwerk geschrieben haben. Hamann forderte also Facebook per richterlichen Beschluss auf, den gesamten Chatverkehr des Angeklagten mit seinem mutmaßlichen Komplizen offenzulegen.

Mit diesem Beschluss zog Hamann bundesweite Medienaufmerksamkeit auf sich. Diverse Journalisten belagerten seinen Gerichtssaal. Denn zum ersten Mal, so die Darstellung, habe es ein deutscher Richter gewagt, so umfassende Nutzerdaten von den Social-Media-Giganten aus den USA zu verlangen. Facebook wollte auf stern.de-Anfrage nicht mitteilen, wie oft die Justiz tatsächlich schon um Auskunft gebeten hat.

Bis zu 20 Anfragen pro Woche von der Polizei

Für die Facebook-Konkurrenz ist der Umgang mit der Justiz zur Routine geworden. "Wir bekommen mittlerweile zehn bis 20 Anfragen pro Woche von der Polizei", sagt Kai Hummel. Er ist Sprecher und Justiziar bei "kwick.de" , einer Social Community, die vor allem in Baden- Württemberg viele junge Mitglieder hat. Hummel hat eine einfache Erklärung für die Tatsache, dass sich die Ermittler verstärkt für die Daten der Nutzer interessieren. "Immer mehr Leute sind Mitglied in den sozialen Netzwerken, und viele von ihnen kommunizieren mittlerweile nur über deren Nachrichtenfunktionen und nutzen nicht mehr die klassischen E-Mail-Konten."

Genau diesen Umstand will Richter Hamman für seinen Fall ausnutzen. Doch Facebook stellt sich quer. Die Hamburger Dependance verwies auf die irische Europazentrale, dort verweigert man den deutschen und irischen Behörden die Herausgabe. Die Daten seien in den USA und deshalb nicht ohne weiteres verfügbar. Facebook wollte sich auf Anfrage zu dem Fall nicht äußern und teilte lediglich mit, als "ein verantwortungsvolles Unternehmen" halte man sich an die Gesetze, verlange eine "detaillierte Beschreibung für jede Anfrage" von Justizbehörden und gebe "falls es angemessen ist, nur das Minimum an Informationen heraus".

Der Reutlinger Richter hielt im Prozess mit seiner Meinung nicht hinterm Berg: Die "alte Dame Justitia" werde sich "nicht mit einem Jugendlichen aus den USA prügeln", sagte Hamann und fügte hinzu: "Facebook ist im Moment nicht dabei, die Wahrheitsfindung zu fördern." Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, lud er kurzerhand die Facebook-Chef-Lobbyistin Erika Mann zum nächsten Verhandlungstermin Ende März ein.

Facebook für Fahndung Gold wert

Kwick kann und will gegenüber den Behörden nicht so störrisch auftreten. "Wir sind natürlich daran interessiert, dass auf unserer Plattform nichts Unrechtmäßiges passiert", sagt Kai Hummel. "Und die Polizei darf in den sozialen Netzwerken genau das, was sie im realen Leben auch darf." Die allermeisten Anfragen der Polizei bei Kwick betreffen Anzeigen von Nutzern, deren Bilder ohne Einverständnis von anderen Mitgliedern genutzt wurden oder die sich von anderen Usern beleidigt fühlen. Im realen Leben würden die Beamten etwa Nachbarn über die Identität eines Tatverdächtigen ausfragen. Im Web 2.0 wollen sie wissen, welche reale Person sich hinter den anonymen Kwick-Namen verbirgt. Hummel: "Diese Auskunft müssen wir laut Telemediengesetz geben. Dafür braucht die Polizei noch nicht mal einen richterlichen Beschluss."

Diesen brauchen die Ermittler allerdings, wenn sie tiefer einsteigen wollen. So wie im Reutlinger Fall, wenn es um die Nachrichten von Nutzern geht oder wenn sich Fahnder anonym in Chatrooms aufhalten wollen, um Tatverdächtigen auf die Spur zu kommen.

Wie wichtig diese Ermittlungen in den sozialen Netzwerken geworden ist, unterstreicht Rainer Wendt, Chef der Polizeigewerkschaft. Er nennt das Beispiel der Facebook-Partys, bei denen sich teilweise Abertausende von Nutzern an einem Ort verabredet und damit für große Polizeieinsätze gesorgt haben. "Dieser Trend hat nachgelassen, seitdem die Leute wissen, dass wir ihre Kommunikation in den sozialen Netzwerken beobachten und dann den Verantwortlichen die Kosten für den Einsatz in Rechnung stellen." Und auch bei Großereignissen wie den Protesten gegen die Castor-Transporte verfolgen die Beamten Seiten wie Twitter, auf denen die Demonstranten Informationen über bevorstehende Aktionen austauschen. "In diesen Fällen sind die Erkenntnisse aus den sozialen Netzwerken entscheidend für unsere Lagebeurteilung", sagt Wendt.

Datenschützer in Sorge

Aber die schöne neue Ermittlerwelt hat auch Grenzen. Dort nämlich, wo es zu Konflikten zwischen Datenschutz und Strafverfolgung kommt. Das musste vor Kurzem die Polizei in Hannover erfahren. Sie hatte in einem bundesweit einmaligen Projekt öffentliche Fahndungen auf ihre Facobook-Seite veröffentlicht. Acht Fälle seien über Facebook geklärt worden, hieß es. Doch das Projekt wurde gestoppt. Denn Datenschützer hatten große Bedenken geäußert. So sei die Weitergabe von Daten an ein im Ausland tätiges Unternehmen wie Facebook mit deutschem Recht unvereinbar.

Selbst die Polizei sieht die Probleme solcher Maßnahmen. "Wenn wir dabei Fotos etwa von vermissten Personen veröffentlichen, bekommt man die Bilder hinterher natürlich nie wieder aus dem Netz", gibt Rainer Wendt zu. Datenschützer sind auch die anonymen Hinweise an die Polizei per Facebook ein Dorn im Auge, da sie von den Firmen-Administratoren gelesen werden könnten. "Wir lösen diese Probleme, indem wir hohe Anforderungen haben", versichert Wendt. "So wurde mit Facebook vereinbart, dass die Bilder nur noch auf deutschen Servern gespeichert werden." Niedersachsen hat den "Kommissar Facebook" nun wieder aktiviert und leitet hinweiswillige Nutzer auf Polizeiserver um.

Datenschützer haben trotzdem noch große Bauchschmerzen mit einigen Aspekten der Polizeiarbeit in den sozialen Netzwerken. Sie beschäftigen sich derzeit deshalb auf einer Tagung in Potsdam genau damit. Der bayerische Datenschützer Thomas Petri sagt: "Noch immer weiß niemand genau, wo die Grenzen verlaufen. Es gibt viele Grauzonen, auch weil sich das Internet und die sozialen Netzwerke schnell weiterentwickeln. Deshalb ist es ganz schwer zu sagen: Das darf die Polizei und das darf sie nicht."

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