Wenn der Briefträger morgens zu Patricia Twellmann kommt, hat er meist ganz schön was zu schleppen. An manchen Tagen sogar so viel, dass er für sie eine zusätzliche Tasche mitnehmen muss. Es sind große, schwere Briefe und kleine Päckchen, die er da anschleppt, sie kommen aus ganz Deutschland und haben immer den gleichen Inhalt: Bücher.
Es sind Geschichten für Patricia Twellmanns Kinder, es sind Großdruckbücher für ihre Mutter und Romane für sie selbst. Ungefähr 300 Bücher hat sie seit dem vorigen April auf diese Weise bekommen, bestellt hat sie sie im Internet, und für kein einziges hat sie Geld bezahlt.
Tauschticket als Währung
Patricia Twellmann macht bei der Internet-Börse www.tauschticket.de mit. Dort bieten registrierte Nutzer Bücher, CDs, DVDs und Videospiele an, die sie nicht mehr benötigen. Fordert jemand aus der Gemeinschaft eines davon an, schickt man es ihm und bekommt dann dafür ein virtuelles "Tauschticket", sozusagen die Währung der Tauschgemeinschaft. Für jedes Ticket kann man sich dann etwas anderes aus dem riesigen Tauschangebot aussuchen: Hat man also zum Beispiel ein Buch verschickt, kann man sich ein beliebiges neues Buch aussuchen. "Billiger kommt man an Lesestoff nicht heran", sagt Twellmann, die sich selbst schon als "tauschsüchtig" bezeichnet. Jeden Tag lädt die 43-Jährige aus Velbert neue Angebote hoch, guckt, was andere frisch reingestellt haben, liest und schreibt im Forum - oftmals stundenlang. "Mein Mann hat mich schon für verrückt erklärt."
Verrückt klingt zunächst auch die Idee von www.tauschticket.de. Denn jedes Buch kostet hier prinzipiell ein Ticket und ist damit gleich viel wert - ein nagelneuer Bestseller genauso viel wie ein abgegriffener Arztroman, ein Band mit Mao-Zitaten genau- so viel wie ein "Lustiges Taschenbuch" von Disney. Ebenso verfährt www.tauschticket.de mit DVDs, CDs und Videospielen. Kosten entstehen keine, außer natürlich Versandkosten, wenn man ein Buch an einen anderen Nutzer verschicken muss. Wie bei Ebay können sich die Mitglieder nach jedem Tausch gegenseitig bewerten, 0 bis 5 Sterne kann man vergeben.
Schon mehr als 35.000 Tauschwütige
Mit dieser einfachen Idee hat die Firma Internext, die die Webseite betreibt, einen Überraschungshit im Internet gelandet. Etwa 35 000 Nutzer machen schon mit, mehr als eine Million Bücher, DVDs, Cassetten, Musik-CDs und Videospiele haben über die Seite schon den Besitzer gewechselt. Mehr als 330000 Bücher stehen zurzeit zur Auswahl. Kein Wunder, denn das Anbieten ist auch für Anfänger sehr leicht: Wenn man die ISBN-Buchnummer eingibt, erkennt die Seite normalerweise von selbst, welches Buch angeboten werden soll. Dann muss man noch den Zustand beschreiben und eine Kategorie auswählen - schon ist das Angebot online. "Natürlich könnte ich meine Bücher auch bei Ebay oder Amazon verkaufen", sagt Patricia Twellmann. "Aber da muss man ständig dem Geld hinterherlaufen. Tauschen ist viel praktischer."
Treffpunkt für Gleichgesinnte
Zumal www.tauschticket.de längst viel mehr ist als ein reiner Warenumschlagsplatz. Es hat sich zu einem Treffpunkt für Literatur-, Musik- und Filmfreunde gemausert, die einander per Mail und in Foren Lesetipps geben - und auch sonst näher kennen lernen. Gerade erst hat sich Twellmann mit anderen Büchertauschern in einer Wuppertaler Kneipe getroffen. Auch Sonja Ströhlein aus Nürnberg war schon bei so einem Tauschstammtisch. Längst kann die 40 Jahre alte Anwältin nicht mehr alles lesen, was sie durch tauschticket.de geschickt bekommen hat. Oder, wie es im Tauscher-Jargon heißt: Sie hat nicht nur einen SUB und ein RUB, sondern ein ganzes ZUB, wobei SUB für "Stapel ungelesener Bücher", RUB für "Regal ungelesener Bücher" und ZUB für "Zimmer ungelesener Bücher" steht. "Ich habe jetzt Lesestoff für die nächsten Jahre", sagt Ströhlein, die in Buchläden nur noch ab und zu, in die Bücherei so gut wie gar nicht mehr geht.
Bevor sie www.tauschticket.de kannte, hat Ströhlein mit Computern nichts anfangen können, inzwischen verbringt sie eine halbe Stunde täglich allein für ihre Tauschgeschäfte vor dem Bildschirm. Sie hat Scannen gelernt, um die Buchcover auf ihrer Angebotsseite zu veröffentlichen, und weiß inzwischen ganz genau, was gefragt ist und was nicht: "Simmel und Konsalik kann man vergessen, aktuelle Romane und Klassiker wie Astrid Lindgren sind dagegen ganz schnell weg", sagt Ströhlein. Viele Nutzer haben nämlich permanente Suchaufträge eingerichtet: Sobald das gewünschte Buch von irgendwem neu angeboten wird, wird man per E-Mail benachrichtigt und kann gleich zugreifen.
Ein wahrer Boom entsteht
Der Erfolg der Tauschseite hat inzwischen viele Nachahmer gefunden, die das Konzept auch auf andere Waren und sogar Dienstleistungen übertragen. Bei swabba.com, derzeit noch in der Testphase, gibt es zum Beispiel Rubriken wie "Arbeitskraft" oder "Klamotten". Schnell wächst die Seite hitflip.de, die sich aufs DVD-Tauschen spezialisiert hat. Zwar muss man dort 99 Cent pro Tauschvorgang bezahlen, aber dafür gibt es durchaus hochwertige Filme. Bei tauschmonster.de kann man Kinderkleidung und -spielzeug loswerden und bekommen. Andere Seiten heißen zum Beispiel tausch-dir-was.de, boogg.de oder tauschrausch.de. Noch haben viele dieser Sites relativ wenig im Angebot, doch Leute wie Patricia Twellmann sorgen dafür, dass die Auswahl rasch wächst. Auf Flohmärkten, in Buchläden oder bei Ebay sucht sie inzwischen gezielt nach gebrauchten oder heruntergesetzten Büchern, nur um sie in der Tauschbörse anzubieten und dafür dann neue Gutscheine zu bekommen. "Nur meinen Harry Potter", sagt Twellmann, "den gebe ich nicht her."