Top Level Domains Virtuell existierender Sozialismus

Während Russland ein Parlament wählt, stehen im Internet sowjetische Webadressen mit der Domain .SU zum Verkauf bereit. Kehrt die Sowjetunion virtuell zurück – oder war sie nie ganz verschwunden?

Obwohl die Russische Föderation seit längerer Zeit die Rechtsnachfolge der Sowjetunion angetreten hat, sind sowjetische Domain-Namen nicht gelöscht worden. Ganz im Gegenteil. Was in Deutschland DE ist, ist in Russland nicht zwangsläufig RU. Die Domain-Endung SU erfreut sich seit neuester Zeit nie gekannter Beliebtheit. Und die Umwandlung des geschichtsträchtigen Kürzels in neue RU-Adressen gestaltet sich schwierig: die User wehren sich.

Domain-Löschung aussichtslos

Die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers, kurz Icann, hatte eine Liquidation der alten Adress-Endung in Aussicht gestellt. Über den genauen Termin machte sie dabei jedoch wohlweislich keine Angaben. Denn obwohl neue SU-User nach dem Ende der Sowjetunion offiziell nicht mehr hinzukommen konnten, erhöhte sich die Zahl der Neuregistrierungen auf geheimnisvolle Art beträchtlich. Irgendwann war die Zahl von 35.000 registrierten Domains erreicht – woraufhin das russische "Institut zur Förderung gesellschaftlicher Netzwerke" und die "Stiftung für die Entwicklung des Internet" energisch für eine Wiederbelebung der Domain eintraten. Was man nicht besiegen kann, dass macht man sich zum Freunde.

Björn Brückerhoff

ist 24 Jahre alt, studiert zurzeit in Münster und gibt seit 1998 das Online-Magazin Die Gegenwart heraus.

Kampagnen gegen Löschung

15.000 Dollar wollten das Institut und die Stiftung für eine Domain kassieren, die für wohltätige Zwecke eingesetzt werden sollten. Offizielle Begründung: Der illegale Handel mit den Adressen könne auf diese Weise unterbunden werden. Die Initiative stieß auf ein kritisches Echo. SU-User warfen den Initiatoren vor, die Domains unrechtmäßig privatisieren zu wollen. Sie fühlten sich in ihren Rechten beschnitten und pochten auf eine Weiterführung des Sowjet-Kürzels. Kampagnen für die Domain wurden ins Leben gerufen. Darunter auch "Save our SoUls", die auf einer Homepage eigens Unterschriften sammelte und eifrig positive Umfrageergebnisse im Sinne der Betreiber veröffentlichte. Die Endung habe ohnehin nichts mit politischen Ansichten zu tun. Dies mag man gerne glauben, denn inzwischen sind die ehemals sowjetischen Adressen längst vom Klassenfeind unterwandert worden: McDonalds.su und Rolex.su haben treffsicheres Gespür für gute Erreichbarkeit kapitalistischer Errungenschaften im Netz bewiesen. Inzwischen stehen die Sieger fest: seit Ende Juni 2003 gehört jedem eine SU-Domain, der bereit ist, 100 Dollar im Jahr zu bezahlen. Das ist - verglichen mit den ursprünglichen Plänen - ein echtes Schnäppchen.

Domain als Symbol des Zusammenbruchs

Wundern mag man sich darüber, dass die Sowjetunion überhaupt über eigene Domainnamen verfügen konnte. Ihr Niedergang 1991 erfolgte in der Steinzeit des Internet. Doch Perestrojka und Glasnost sorgten auch in den Wissenschaften für Tauwetter - so bildeten sich zahlreiche Forschungseinrichtungen für ein russisches Internet - und registrierten am 19. September 1990, also in den letzten Monaten des Sowjetreiches, die Domain SU. Dies wäre vermutlich ohnehin der Anfang vom Ende gewesen, denn als geschlossene Gesellschaft hätte die Sowjetunion wohl jene Autoritätsprobleme bekommen, die sich heute in China ablesen lassen. Durch das Internet werden westliche Werte zunehmend in chinesische Haushalte transportiert – trotz technisch eingeschränkter Verbreitung und staatlicher Kontrolle.

Im März 1994 löste RU die alte SU-Domain offiziell ab. Georgien (GE), Estland (EE), Litauen (LT) und die Ukraine (UA) haben bereits 1992 eigene Adressen erhalten. Über Interessenten an der neuen alten Domain müssen sich die Betreiber freilich keine Sorgen machen, sind die Nutzungsmöglichkeiten wie bei jeder neuen Domain-Endung zunächst sehr vielfältig. Auch die SU-Domains bieten noch Möglichkeiten, die man in Sowjetzeiten wohl niemals für möglich gehalten hätte. Tirami.su ist zum Beispiel noch frei.

Björn Brückerhoff

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