Marcel Eris kennt sich mit Shitstorms aus. Er gilt als Bad Boy der Streamerszene, nicht nur optisch dank seiner vielen Tattoos, sondern auch durch sein Auftreten. Eris ist aufbrausend, emotional und nimmt kein Blatt vor den Mund. Das macht ihn angreifbar, aber auch interessant für viele Menschen. Auf Twitch und Youtube, wo Eris als "MontanaBlack" auftritt, folgen ihm zusammen mehr als acht Millionen Menschen. Bekannt wurde Eris als Gamer, der sich beim Spielen im Internet zeigt. In die Kritik geriet Eris unter anderem, weil er dabei immer wieder Glücksspiele streamte.
Seit anderthalb Jahren ist das anders. Monte, wie seine Fans ihn nennen, hatte Online-Casino-Streams aus seinem Programm verbannt, seitdem hat die Kritik abgenommen. Und wie wichtig ihm die Ruhe und das neue Image ist, zeigte er in der vergangenen Woche. Eris hatte ein lukratives Angebot bekommen: Für eine zweistellige Millionensumme sollte er fortan auf Kick streamen, einer neuen Plattform, die aktuell weltweit für Furore sorgt. Doch Eris lehnte das Angebot ab, weil Kick sein Geld maßgeblich mit Online-Glücksspielen verdient.
Größter Streamer der Welt bereits gewechselt
Viele Jahre galt der Streaming-Markt als aufgeteilt, zu groß schien die Marktmacht von Youtube und Twitch, die den Tech-Riesen Alphabet und Amazon gehören. Dass jemand wie Eris nun allerdings ein derart riesiges Angebot von einem aufstrebenden Konkurrenten erhält, zeigt, wie viel Bewegung auf einmal im Markt ist. Kick hat Twitch den Kampf angesagt – und macht bisher erstaunliche Fortschritte. Ninja, der größte Streamer der Welt, ist bereits gewechselt – Ablöse unbekannt. xQc wechselte für kolportierte 100 Millionen US-Dollar. Und Aushängeschild Adin Ross soll nun knapp 75 Millionen Dollar pro Jahr bekommen.
Dass die gesamte Streamer-Gemeinde bei diesen Summen nicht längst zu Kick umgezogen ist, hat vor allem zwei Gründe. Der eine hat mit der Reichweite zu tun: Die Streamer müssten auf Kick noch einmal bei null anfangen. Der zweite Grund hat mit dem Geschäftsmodell von Kick zu tun – die Plattform wurde unterstützt und aufgebaut durch Casino-Geld. Justiziabel ist das nicht – weil aber viele Zuschauerinnen und Zuschauer minderjährig sind, machen sich die Streamer mindestens moralisch angreifbar, was wiederum potenzielle Werbepartner abschrecken könnte. Der Wechsel könnte also langfristig von Nachteil sein.
Eris formuliert es auf Twitch in seinen Worten: "Wenn Onkel Monte von Twitch auf Kick wechseln würde – puh, holy shit – vertraut mir, das würde so Wellen schlagen. […] Ich habe keinen Bock, der Sündenbock zu sein und mich wieder volllabern zu lassen, dass ich auf eine Plattform wechsele, die durch Casino-Geld unterstützt und aufgebaut worden ist." Langfristig, so meint Eris, zahle das weder auf seine Marke noch auf sein Wohlbefinden ein. "All die Brand Safeness – und das ist auch wichtig für künftige Projekte – all das gute Image, mein positiver Wechsel vom Charakterlichen, vom Auftreten in meinem Stream. Seit anderthalb Jahren habe ich keine Kopfschmerzen mehr, keinen großen Shitstorm", sagt Eris – und das wolle er auch nicht mehr haben.
Die Kritik teilen auch andere Streamer. Papaplatte, der immerhin 1,8 Millionen Twitch-Follower hat, nannte Kick-Streamer "Gesindel". Die weltgrößte Streamerin Pokimane (9,3 Millionen Follower) kritisierte: "Warum sollte ich meine Moral und Ethik für Geld aufgeben, wenn ich Geld habe? Irgendwas daran ist so cringe für mich persönlich."
Hinter Kick steckt Stake.com
An der technischen Umsetzung der Plattform gibt es dabei wenig Kritik. Das liegt auch daran, dass sie sich kaum von Twitch und Co. unterscheidet. Das macht einen Wechsel für Nutzer leichter. Die Kritik bezieht sich in erster Linie auf das Unternehmen: Kick hat seinen Sitz im australischen Melbourne und ist im Dezember 2022 an den Markt gegangen. Hinter Kick steckt die Entwicklerfirma Easygo Entertainment, die sich vor allem auf Casino- und Glückspiele spezialisiert hat. Easygo wird von Brais Pena Sánchez geleitet, das Unternehmen gehört jedoch zu zwei Drittel Bijan Tehrani und zu einem Drittel einer Firma namens Ashwood Holdings, die komplett Edward Craven gehört. Tehrani und Craven haben gemeinsam das Glücksspielunternehmen Stake.com gegründet und gelten als jüngste Selfmade-Milliardäre Australiens. Über Stake werden täglich etwa 400 Millionen US-Dollar umgesetzt. Nach eigenen Angaben erzielte das Unternehmen so etwa eine Milliarde Dollar Gewinn in 2022. Genügend Kapital besitzen Therani und Craven also.
Dass auch deutsche Streamer wie OrangeMorange oder Scurrows zuletzt zu Kick gewechselt sind, liegt nicht nur an den vielen Millionen, sondern auch an strengeren Richtlinien bei Twitch. Zuletzt haben mehrere Kreatoren dort Sperren erhalten, weil sie Casino-Spiele gestreamt haben. Das ist bei Kick kein Problem. Außerdem hadern viele mit den hohen Gewinnbeteiligungen, die bei Twitch anfallen. Streamer erhalten dort lediglich 70 Prozent ihrer Einnahmen, und, falls diese irgendwann über 100.000 Dollar liegen, sogar nur noch 50 Prozent. Bei Youtube sind es immerhin mindestens 70 Prozent und bei Kick sogar 95 Prozent.
"Kann verstehen, dass Leute den Sabbel halten"
Diese Frustration unter Streamern nutzt Kick jetzt aus. "Je erfolgreicher du auf Twitch wirst, desto weniger Motivation hast du, noch erfolgreich zu sein, weil du dann einfach 20 Prozent mehr abdrücken musst", kritisiert auch Eris. Je mehr Twitch für sich selbst einbehalte, desto mehr müsse er, MontanaBlack, zudem aufpassen, was er sage. Schließlich sei er damit umso abhängiger von externen Partnern, die auf seine Aussagen achteten. "Ich kann verstehen, dass Leute den Sabbel halten", sagt Eris. Letztlich führe das aber zum schleichenden Niedergang der Plattform.
Dieser Artikel erschien zuerst bei Capital.