Vor zehn Jahren erschien das erste Mal Whatsapp, seitdem führen wir alle auf dem Smartphone Dauerchats. In vielerlei Hinsicht hat der Messenger persönliche Gespräche in Kneipe, Büro und unter Freunden ersetzt. Kommunizieren wir dadurch mehr oder weniger?
Es hat sich am ehesten verlagert. Viele persönliche Gespräche, Telefonate gehen jetzt eben über Whatsapp. In der Menge hat es klar zugenommen. Damit meine ich aber nicht substanziell: Wenn man über etwas diskutierte, hat man sich früher schnell geeinigt, jetzt gehen 50 Whatsapp-Nachrichten hin und her. Die Zahl der Buchstaben hat sicher zugenommen, aber nicht die eigentliche Kommunikation.
Das Mittel der Kommunikation prägt ja auch die Art des Umgangs. Reden wir durch Whatsapp anders miteinander?
Man gibt härter Feedback, sagt einfach mal "Ja" und "Nein", ist undifferenzierter. Man hält sich knapper, schreibt in Abkürzungen. Die Rechtschreibung ist weniger wichtig, man nimmt es wegen der hohen Geschwindigkeit nicht mehr so genau. Und langsam wird diese Whatsapp-Kultur dann auch in den anderen Kanälen sichtbar.
Es wird unmittelbarer?
Genau. Wenn man früher mit Kindern an der Autobahnraststätte hielt, hieß es, sie wollen eine Cola und ein Eis. Heute wollen sie den Wlan-Login. Zwei Stunden ohne Essen geht, eine ohne Whatsapp nicht.
Aber das direkte Gespräch leidet. Dass Smartphones telefonieren können, ist für Jugendliche völlig egal – sie verschicken lieber Sprachnachrichten.
Telefonieren ist ein unglaublich stressiges Medium. Ich spreche, ich muss zuhören – dann wenn der andere spricht – und dann muss ich sofort reagieren, hab nicht mal ein paar Sekunden Zeit nachzudenken. Das ist unangenehmer Druck. Die Sprachnachricht kann ich mir im Kopf zusammenstellen, schicke sie ab - und der andere hat dann Spielraum, sie anzuhören und selbst zu antworten. Das nimmt den Stress heraus.
Aber zu lange sollte man nicht warten.
Es sollten lieber drei Sekunden als drei Stunden sein. Wenn man so lange nicht reagiert, kommt die Frage, "Liebst du mich nicht mehr?" Also schnell genug sollte es schon sein. Aber diese kleine Bedenkzeit hört man im Gespräch mit Jugendlichen oft als Grund, dass sie Sprachnachrichten bevorzugen. Sie fühlen sich Telefonaten nicht gewachsen, haben Angst, nicht schlagfertig genug zu sein.
Liegt das auch am hohen Druck der Generation Instagram, sich immer perfekt präsentieren zu müssen?
Sicher. Man kann sich da keine Blöße geben.
Wenn man eine SMS schrieb, wollte man früher nicht stören. Bei Whatsapp erwartet man quasi sofort eine Antwort.
Bei SMS spielte sicher auch eine Rolle, dass die bezahlt werden musste. Nochmal nachzufragen, ging also gleich ins Geld. Als Messaging mit Whatsapp und anderen kostenlos wurde, spielte es keine Rolle mehr, wie oft man zurückfragt. Die technische Entwicklung hat da auch eine Änderung im Verhalten erzeugt.
Sind wir auch einfach ungeduldiger geworden?
Unsere Gesellschaft ist schlicht schneller geworden. Früher meckerte man bei der Bahn nach fünfzehn Minuten Verspätung, jetzt sind drei inakzeptabel. In Filmen und Serien sind die Schnitte schneller geworden, das Tempo für unsere visuellen Impulse nimmt immer weiter zu. Das ist in einer gewissen Form auch ein Suchtverhalten. Nicht nur bei Jugendlichen.
Verändern die Messenger auch den Anfang von zwischenmenschlichen Beziehungen?
Natürlich lernt man sich heute auch darüber kennen – mit ganz eigenen Chancen und Gefahren. Man kann sich schnell wissen lassen, dass man aneinander denkt. Ich schicke meiner Frau einfach mal zwischendurch einen Gruß, ich weiß, dass sie sich freut, sie macht es genauso. Die Gefahr ist, dass man sich viel schneller missversteht. Geschriebene Worte ohne die nonverbale Kommunikation sind ein Seuchenherd für Missverständnisse. "Warum heute nur ein Herz? Was ist los?"
Sind die Emojis ein wichtiger Faktor für den Erfolg von Whatsapp?
Sicher. Sie machen einfache Kommunikation noch einfacher. Die Gefahr für Missverständnisse steigt aber noch weiter. Jetzt kann man ja auch noch selbst Emojis basteln. Endlich verstehen wir uns gar nicht mehr.
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Sorgt diese immer einfache Kommunikation dafür, dass sie auch unverbindlicher wird?
Da bildet sie auch unsere Gesellschaft ab. Fernab der Kommunikation legen wir uns ja immer weniger gerne fest, man hält sich möglichst lange alle Optionen offen. Das findet sich dann auch in dieser Kommunikationsform wieder. Das Medium passt da genau in die Zeit.

Früher wäre es auch undenkbar gewesen, während eines persönlichen Gesprächs nebenbei ein weiteres Gespräch zu führen. Heute chatten die Leute selbstverständlich, während ihnen andere gegenübersitzen.
Da hat sich auf jeden Fall etwas in unserem Verhalten geändert. Das hat aber auch generell mit Smartphones zu tun. Man ist so an die ständigen Impulse gewöhnt. Wenn eine Weile keiner kam, holt man ihn eben selbst und schaut aufs Handy. Wenn das Gespräch nicht extrem spannend oder fordernd ist, passiert das ganz automatisch. Nach zehn, zwölf Minuten braucht man Stoff. Ich stelle aber auch fest, dass es da eine bewusste Gegenbewegung gibt, dass man sich immer öfter daran stört, Handys draußen lässt oder bewusst abstellt.
Schaffen die Whatsapp-Gruppenchats, wie Fan-Gruppen oder politisch orientierte, Gesprächsräume, die es so vorher nicht gab?
Es treffen sich auf jeden Fall mehr Menschen, die sich vorher nur selten oder nie gesehen haben, täglich zu Gesprächen. Das nimmt zu. Der Ärger über die Gruppen nimmt aber auch zu, wenn dann nämlich alles nur noch über Whatsapp läuft. Irgendwann muss dann doch einer Spielregeln aufstellen, moderieren, was in die jeweilige Gruppe gehört und was nicht.
Hat die Dauerkommunikation über bestimmte Themen wie Politik auch die Debatte verändert?
Zum einen ist sicher das Tempo gestiegen, zum anderen gibt es auch ein Aussortieren. Am Anfang können sich in Gruppen noch alle beteiligen, dann beginnt es zu nerven, einige verlassen die Gruppe, andere werden herausgeworfen.
Früher wurde Politik oder Fußball mal bei der Arbeit, mal am Stammtisch kurz besprochen, heute sind es durch Whatsapp-Gruppen ständig verfügbare Dauerdebatten. Befeuert der Messenger so auch bestimmte Bewegungen?
Die politische Diskussion wird klar immer intensiver, das liegt aber nicht nur an Whatsapp, sondern auch an Facebook und der Internetkultur. Beim Fußball und der Politik will man ja seine Entrüstung öffentlich zeigen, da machen die geschlossenen Gruppen weniger Spaß.
Auch im Arbeitsleben ändert sich über Whatsapp etwas. Die Arbeits-Chatgruppen gehen nach Feierabend weiter – weil man ohnehin die App offen hat und die Chats mit der Frau und der Firmenchat quasi gleichberechtigt nebeneinander stehen.
Ich sehe, dass es sich eher wieder zu einer klareren Trennung entwickelt. In der Buchhaltungsgruppe ist dann der Chef nicht dabei. Oder es gibt eben zwei Gruppen, eine offizielle und eine, in der man sich offen austauschen kann. Es ist dann eher wie ein privates Gespräch zwischen Kollegen in einem neuen Medium, es pendelt sich wieder ein.
Würden Sie Unternehmen generell die Nutzung von Whatsapp empfehlen, etwa um mit Kunden zu sprechen?
Grundsätzlich ja, man erreicht die Kunden so dort, wo sie sich wohlfühlen. Ich benutze auch lieber die Chat-Funktion, statt 25 Minuten in der Warteschleife zu hängen. Aus Sicht der Absicherung bei rechtlichen Problemen sind E-Mails natürlich sicherer als Chats oder Telefonate – für Kunden wie für die Firmen.
Chatprogramme gab es auch schon früher. Warum ist Whatsapp ihrer Einschätzung nach so eingeschlagen?
Es kam zur richtigen Zeit. Die Nachrichten waren kostenlos, es wurde gleichzeitig mit dem Smartphone-Boom groß. Und am Ende hat es sich einfach gegen andere durchgesetzt. Es hat einfach funktioniert.
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