Die alte Polaroid aus den 80ern. Die Carl-Zeiss-Spiegelreflex aus der DDR. Die gerade erst gekaufte Fuji-Kleinbildkamera. Vier von fünf deutschen Haushalten besitzen einen funktionierenden Fotoapparat. Ganz normal mit Film, einfach und bewährt, Dia oder Negativ, Farbe oder Schwarzweiß. Abzüge gibt es im Laden, Format 10 x 15, neun Cent das Stück.
Trotzdem werden sich auch in diesem Jahr wieder Millionen Deutsche in den High-Tech-Märkten drängen, um einen neuen Fotoapparat zu kaufen. Sie werden sich über Pixel informieren, über Tintenstrahldrucker, Speicherkarten, Online-Fotoalben und Digitalzoom. Mehr als acht Millionen Kameras dürften in diesem Jahr in Deutschland verkauft werden, schätzt der Photoindustrie-Verband, so viele wie noch nie. Es ist, als wäre die Fotografie eben erst erfunden worden. Ist sie ja auch irgendwie. Denn von diesen gut acht Millionen Apparaten werden etwa sieben Millionen mit Digitaltechnik ausgestattet sein.
Preise fallen, Technik verbessert sich
Der Umstieg von Analog auf Bits und Bytes, von Film auf Bildsensor ist die größte Umwälzung in der Geschichte der Fotografie seit ihrer Erfindung Anfang des 19. Jahrhunderts. Das Zeitalter der chemischen Bildentwicklung geht unwiderruflich zu Ende. Noch immer fallen die Preise, noch immer verbessert sich die Technik in einem atemberaubenden Tempo. Allein in den ersten vier Monaten dieses Jahres haben die Hersteller 210 neue digitale Modelle auf den Markt gebracht, bis Ende des Jahres rechnen Experten mit 600 Neuerscheinungen - durchschnittlich 50 pro Monat!
Die gesamte Industrie wird von dem digitalen Beben umgewälzt: Kleine Fotogeschäfte müssen schließen, während sich große Elektronikmärkte um die verbleibenden Mini-Margen prügeln. Geld verdient wird verstärkt mit Zubehör: In diesem Jahr wird der Umsatz mit Speicherkarten nach Expertenschätzungen den von analogen Filmen übersteigen. Die Druckerhersteller, einst piefige Bürolieferanten, bieten vermehrt Lifestyle-Produkte an und freuen sich über den immensen Tintendurst der Digitalfoto-Ausdrucker. Internetdienste wie T-Online wollen am Austausch von Bilddateien mitverdienen. Und die Handy-Hersteller bauen schon in jedes zweite neue Mobiltelefon eine Kamera ein. 2004 werden in Deutschland sogar mehr Kamera-Handys verkauft als Digitalkameras - 13 Millionen Stück insgesamt, dreimal so viele wie 2003.
Drei Trends
Drei große Trends bestimmen die Neuerscheinungen zur diesjährigen Photokina, der weltgrößten Messe rund um die Fotografie, die am 28. September in Köln beginnt. Da sind zum einen die superflachen Modelle: Durch immer kleinere Chips und Optiken können Kameras beinahe im Scheckkartenformat gebaut werden. Auch der Trend zu immer mehr Pixeln hält weiter an: Neue Kompaktkameras kommen nicht selten mit einer 6- oder 7-Megapixel-Auflösung daher. Drittens boomen Superzoom-Kameras, mit denen man weit entfernte Motive wie mit einem Fernglas heranholen kann - und die trotzdem in jede Jackentasche passen. Gerade für solche Geräte sind technische Innovationen wie optische Bildstabilisatoren entwickelt worden, die in immer mehr Amateur-Kameras stecken.
Erst 2008 soll der digitale Foto-Boom seinen Höhepunkt erreichen, schätzen Experten, erst danach ist mit einer allmählichen Marktsättigung zu rechnen.
Für dieses Jahr plant nach einer Untersuchung des stern schon jeder vierte Deutsche die Anschaffung einer Digitalkamera. Sie haben gute Gründe: |
Wer digital fotografiert, fotografiert mehr. Anders als früher kostet das Knipsen nichts. Deshalb machen Digitalfotografen vom selben Motiv nicht zwei oder drei Aufnahmen, sondern zehn oder zwölf. Und löschen dann eben wieder acht oder neun davon - entweder gleich in der Kamera oder später am PC, ganz in Ruhe, damit nur das Beste übrig bleibt. |
Wer digital fotografiert, fotografiert anders. Digitalfotografen kontrollieren ihr Motiv über den Kleinbildschirm auf der Kamerarückseite. Sie knipsen mit ausgestrecktem Arm, aus ausgefallenen Positionen, und sehen dabei viel besser, was außerhalb des Suchers passiert. |
Wer digital fotografiert, macht bessere Bilder. Gute Kameras stellen sich auf jede Lichtsituation optimal ein. Ob Kunstlicht oder Tageslicht: Anders als bei Kleinbildfilmen sind authentische Farben garantiert. Und zur Not können die Bilder später am PC nachbearbeitet werden. |
Wer digital fotografiert, schaut seine Bilder anders an. Der weitaus größte Teil aller digital fotografierten Fotos wird nie ausgedruckt. Viele Digitalfotografen haben sich daran gewöhnt, ihre Fotos auf dem Bildschirm zu präsentieren. Das ist nicht nur preiswert, sondern macht auch Spaß: Die digitale Fotoshow am Fernseher ist ein genauso schönes (oder langweiliges) gemeinsames Erlebnis wie früher der Dia-Abend. |
Wer digital fotografiert, kann seine Bilder auf CD oder DVD brennen, per Mail verschicken und ins Internet stellen. So kann jeder, der auf einer Hochzeit war, die Hochzeitsfotos später ansehen und auf seinen PC herunterladen - und übers Netz sogleich Papierabzüge bestellen. - Wer digital fotografiert, hat immer auch eine Videokamera dabei. Fast alle Digitalkameras können auch kleine Filme aufnehmen (mit Ton). Deren Qualität kann sich zwar mit der von echten Filmkameras nicht messen, außerdem passen immer nur wenige Sekunden auf die Speicherkarte. Doch für den Schwenk über den Urlaubsstrand reicht das ebenso wie für das Festhalten der ersten Schritte eines Kindes. |