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Gefühlsechtes Internet Hühner streicheln für die Zukunft

Ingenieure einer Uni in Singapur basteln an der Übertragung von Berührungen per Internet. Wichtigster Helfer bei der Forschung: ein Huhn mit einer lila Jacke.
Von Michael Lenz

Hühner haben in diesen Tagen ein kurzes Leben. Zwischen Rügen und Indien werden sie zu Hunderttausenden gekeult in der Hoffnung, einer weiteren Ausbreitung der Vogelgrippe Einhalt zu gebieten. Ausgerechnet ein Huhn hat jetzt David Cheok zum Star seiner Experimente im "Mixed Reality Lab" an Singapurs chinesischer "Nanyang Technological University" (NTU ) zur Übertragung von Körperlichkeit über das Internet gemacht. Cheok und sein Team arbeiten nämlich am "next big thing": dem gefühlsechten Internet.

Durch Cyber-Petting (in diesem Zusammenhang ungefähr mit "Fernstreicheln" zu übersetzen) wollen der Direktor des "Interaction and Entertainment Research Center" an der NTU und sein junges Team die virtuelle Internetwelt gefühlsecht machen. Der Prototyp zur Übertragung von Berührungen im Cyberspace ist bereits fertig. Allerdings wollte das noch etwas klobige System beim meinem Besuch Anfang Januar in dem Unigebäude, das mitten in einem tropischen Garten liegt, nicht auf Anhieb funktionieren. Vor dem ganz realen Vorführeffekt sind eben auch die Computerfreaks im Labor für gemischte Realitäten nicht gefeit.

Vom Kampfhahn zum Forschungsassistenten

Bei dem Federvieh im "Poultry Project" (Geflügel-Projekt), wie Cheok seine Arbeit getauft hat, handelt es sich um ein indonesisches Bantamhuhn. Diese Spezies wird in Asien als Kampfhähne gehalten, aber auch ihrer besonders schönen Federn wegen gezüchtet. "In der modernen Gesellschaft werden Hühner schlecht behandelt. Deshalb wollen wir mit unserem 'Poultry Project' auch zum Wohlergehen von Hühnern beitragen“, lächelt der Entwickler.

Einen Namen hat das Huhn in der gelben Holzkiste, die in dem weiten, lichtdurchfluteten Labor aus Glas und Stahl irgendwie deplatziert wirkt, übrigens nicht. Zerknirscht gibt der Verfechter der Hühnerehre zu: "Irgendwie haben wir einfach vergessen, dem Huhn einen Namen zu geben."

Huhn im Haus, Puppe im Büro

Das System für die mitfühlende Cyberwelt von Morgen besteht aus zwei Teilen: dem “Home-Set-Up” und dem “Office-Set-Up”. Zur Installation im Büro gehören ein Computer und ein Huhnmodell. Wenn der Huhnbesitzer, getrieben von Sehnsucht nach seinem lieben Gockel, das mit Sensoren bestückte Avatar-Huhn drückt und streichelt, werden die Berührungen in elektronische Signale umgewandelt und über den Laptop drahtlos zu dem Huhn zu Hause übertragen.

Der namenlose Versuchshahn trägt eine lilafarbene Jacke, in der eingearbeitete Vibratoren die Signale empfangen und in Vibrationen umwandeln, die dann auf der Hühnerhaut eine Berührungsempfindung auslösen. Eine Kamera überträgt Bilder aus dem Hühnerstall. Der Streichler im Büro kann auf seinem Monitor sehen, wie doll sich sein Huhn über die Zuwendung aus der Ferne freut. Zusätzlich bewegt sich das künstliche Modelhuhn des Office-Set-Up so, wie es sein lebendiges Gegenstück tut. Gemischte Realitäten eben.

Das Ziel sind anziehbare Computer

Zugegeben, das Geflügelprojekt erscheint reichlich abgedreht. Wer will schon ein Huhn streicheln? Und überhaupt: Wer hält sich ein Huhn als Haustier? Im geschäftstüchtigen Singapur aber passiert nichts einfach so. Das Bantamhuhn im Sensorenmantel ist nur die erste Stufe zum anziehbaren Computer. "Menschen haben schon immer durch Kleidung ihre Persönlichkeit und Gefühle ausgedrückt", sagt Cheok und fügt hinzu: "In Zukunft wird Kleidung der neue Typ interaktiver Medien sein."

Eine zweite Stufe ist bereits mit dem "Pajama Project" für den Cybertouch von Mensch zu Mensch erreicht, eine Weiterentwicklung der Hühnerjacke. "Das wird es in Zukunft zum Beispiel Eltern im Urlaub oder auf Geschäftsreisen ermöglichen, ihre daheimgebliebenen Kinder aus der Ferne zu umarmen“, strahlt Cheok. Noch gibt es aber Probleme mit dem "Schlafanzugprojekt". Ungelöst ist nämlich die Frage, ob die Berührungen am Besten durch ein Luftdrucksystem im Schlafanzug, ein Schwellgel oder durch einen Aluminiumstoff, der durch thermische Reize reagiert, vermittelt werden sollen.

Der Markt ruft

Klar sind aber zwei Dinge: Spätestens im Sommer 2007 soll der Computerschlafanzug marktreif sein und mehr können, als nur eine Umarmung zu vermitteln. Durch Farbveränderungen werde zum Beispiel angezeigt, wie weit Papi oder Mami noch weg sind. "Je heller er wird, desto näher sind die Eltern am Zuhause und umso glücklicher ist das Kind", sagt Cheok. Die Intensität der Umarmung werde durch Temperaturänderungen im Anzug fühlbar, und ein Panel im Ärmel könne gefühlsunterstützende Emoticons und Animationen anzeigen. Mehr noch: "Durch neue Mobilfunkstandards wie UMTS und andere mobile Technologien der Zukunft können die Eltern auch per Video zu sehen sein.“

Cybersex gefühlsecht

Niedliche Haustiere hin, süße Kinder her - es wird wohl die Sexindustrie sein, die im großen Stil auf das gefühlsechte Internet abfahren wird. Was dem gebürtiger Australier Cheok nicht wirklich Kopfzerbrechen bereitet: "Wir als Universität, vor allem hier in Singapur, arbeiten natürlich nicht darauf hin. Aber es ist in Ordnung, wenn die Sexindustrie das nutzen will." Dem 34-jährigen ist jede Anwendung seiner Forschung recht, solange sie Menschen glücklich macht und niemandem schadet. Rettungshunde könnten durch die Cyberberührungstechnik ferngesteuert werden, nennt er als ein Beispiel für Anwendungsbereiche jenseits von Kinderzimmer und Hühnerstall. Cheok betont aber auch: "Wir wollen nicht, dass diese Technik zur Folter benutzt wird."

Der Hühnermantel inklusive Avatar und seine geplanten Variationen für Hund und Katz wird umgerechnet etwa 170 Euro kosten. Ein kleines Start-Up-Unternehmen in Singapur werde ab Mitte diesen Jahres die Streicheleinheiten in zunächst kleiner Stückzahl produzieren, freut sich Cheok. Was aber werden Eltern für den High-Tech-Schlafanzug ausgeben müssen? Cheok zuckt mit den Schultern und sagt: "Das hängt davon, welche Technik wir letztlich benutzen werden. Dieses Schwellgel zum Beispiel ist noch im Entwicklungsstadium. Deshalb können wir die Kosten noch nicht abschätzen."

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