Die Autos der Zukunft werden größere Batterien brauchen: für den elektronischen Beifahrer. Mit seinen Radar-, Kamera- und Laser-Augen, die überall am Fahrzeug angebracht sind, beobachtet er Verkehr und Fahrer. Droht Gefahr, dann übernimmt der virtuelle Kopilot das Steuer, gibt Gas oder bringt das Fahrzeug sicher zum Stehen. Diese Entwicklung, die von vielen Autofahrern noch kritisch als Entmündigung beäugt wird, ist nach Ansicht des Darmstädter Elektronik-Professors Rolf Isermann nicht mehr aufzuhalten. Vorangetrieben wird sie vor allem von einem Wissenschaftszweig, der unter dem Kunstnamen "Mechatronik" von sich reden macht.
Der 64 Jahre alte Isermann gehört zu den Pionieren, die vor 20 Jahren begonnen haben, Mechanik und Elektronik zusammenzuführen. Bis dahin waren sich die Experten beider Disziplinen eher aus dem Weg gegangen, sowohl in der Lehre als auch in der Praxis. "Beim Autobau etwa bestimmten vor allem die Mechaniker", erklärt Isermann. "Die Elektronik musste mit dem Platz vorlieb nehmen, der noch übrig war."
Das ABS-Bremssystem beinhaltet Elektronik und Software
Diese Hierarchie hat sich grundlegend verändert. Heute bestimmen mechatronische Systeme den Maschinenbau. Am bekanntesten ist wohl das Bremssystem ABS. Dabei ist die mechanische Bremse direkt mit Elektronik und Software verbunden, um ein Blockieren der Räder zu verhindern. Der Regelkreislauf kontrolliert sich selbst und handelt selbstständig. "In gewisser Weise haben wir es mit intelligenten Einheiten zu tun", sagt der Professor. Der Autofahrer kann keinen Einfluss auf sie nehmen, profitiert aber von der größeren Sicherheit.
Der nächste Schritt ist für Isermann die Entwicklung elektromagnetischer Bremsen, die eine noch feinere Abstimmung zulassen. Demnächst wird sein Team sich ebenfalls mit dem "drive by wire"-Konzept befassen, bei dem die mechanische Lenkung durch Kabel und Computer ersetzt wird. In diesen Rechnern sitzt dann der virtuelle Beifahrer und steuert mit. "Er gleicht zum Beispiel Seitenwind aus oder unebene Fahrbahnoberflächen. Das merken die Fahrer gar nicht", erklärt der Professor.
Stichwort "Fehlertoleranz"
Je mehr die Elektronik eingreift, desto wichtiger ist ihre Sicherheit. "Fehlertoleranz" heißt das entscheidende Stichwort. "Das System muss so gebaut sein, dass ein Fehler sofort registriert und ausgebügelt wird", sagt Isermann. Dabei kann es keine Lösung sein, für jeden Motor und Rechner einen Ersatz einzubauen: "Das wäre nicht praktikabel." Die Bestandteile müssen vielmehr so miteinander vernetzt werden, dass sie sich gegenseitig kontrollieren und im Störfall Teilaufgaben übernehmen können.
Mechatronik ist jedoch nicht nur auf den Fahrzeugbau beschränkt, wenngleich diese Sparte als Zugpferd dient. Die Nähe zur Auto-Industrie hat Isermann auch in die erste Riege der internationalen Mechatronik-Fachleute geführt. Alle deutschen Automobilhersteller und viele Zulieferfirmen gehören zu seinen Kunden. Rund die Hälfte seiner 20 Institutsmitarbeiter wird direkt oder indirekt von der Industrie finanziert. Mehrere Autos und Motoren stehen für Forschungszwecke bereit, und viele Entwicklungen finden sofort den Weg in die Anwendung.
Auf vielen Gebieten kommt Mechatronik nur langsam voran
Auf anderen Gebieten kommt die Mechatronik langsamer voran, obwohl sie in jeder Maschine zur Optimierung beitragen und neue Einsatzfelder erschließen könnte: "Wir haben einige Projekte in der Medizintechnik - etwa ein Entlüftungssystem für Wasserköpfe bei Kindern. Aber dafür fehlt uns Geld und Personal", erläutert Isermann. Eine erhoffte Stiftungsprofessur für diese Thematik konnte er noch nicht umsetzen.
Der Nachwuchsmangel erweist sich zurzeit als größtes Problem für den neuen Wissenschaftszweig. In den vergangenen Jahren wurden zu wenige Fachkräfte ausgebildet, so dass einige Dozentenstellen nicht besetzt werden können. Die Zahl der Neueinschreibungen steigt nur langsam. Auch Industrie und Handwerk reagieren noch zögerlich. Isermann ist sich jedoch sicher, dass der Nachholbedarf bald behoben wird. Denn die Mechatronik wird früher oder später alle Techniksparten grundlegend verändern.