Editorial Gute Arbeitskräfte – verzweifelt gesucht

Liebe stern-Leser!

Wir erleben gegenwärtig ein kleines Wirtschaftswunder: 2007 werden in Deutschland mehr Menschen erwerbstätig sein als je zuvor – fast 40 Millionen, so eine Prognose des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung.

Das Überraschende an diesem neuen Boom ist: Nicht nur IT-Spezialisten werden gesucht wie zur Blütezeit der New Economy. Der Aufschwung auf dem Job-Markt ist sehr breit: Es werden auch einfache Qualifikationen gebraucht, vom Schlosser bis zum Lkw-Fahrer. Wer hätte das gedacht?Der deutsche Arbeitnehmer zählt wieder was. Die Unternehmen wollen ihn nicht mehr loswerden, sondern machen immer häufiger regelrecht Jagd auf ihn, berichten die stern-Redakteurinnen Doris Schneyink und Silke Gronwald. Statt über den Fachkräftemangel zu jammern und billige Arbeitskräfte aus dem Osten zu fordern, gehen die Chefs neue Wege bei der Suche nach Mitarbeitern: Sie zahlen mehr Geld, schulen Arbeitslose um und kümmern sich darum, dass Ältere fit bleiben. Und das ist erst der Anfang im Kampf um Talente. Experten prophezeien, dass es so weitergeht. Damit steigen auch die Chancen, dass die Zahl der Arbeitslosen nächstes Jahr zumindest zeitweise unter die Drei-Millionen-Grenze sinkt. Der Bericht aus dem Job-Wunder- Land Deutschland beginnt auf Seite 28.

Schreck in der Morgenstunde: Kollegen von TV-Sendern und Presseagenturen riefen am Mittwoch vergangener Woche an und fragten, ob es stimme, dass stern-Reporter Christoph Reuter in Afghanistan entführt worden sei. Wir wussten von nichts, hatten jedoch allen Grund zur Sorge: Reuter war zwar im Urlaub. Wie sich herausstellte, machte er aber von Indien aus einen Abstecher nach Afghanistan. Dort war er mehrfach für den stern gewesen, kennt sich gut aus und hat Freunde gefunden. Zusammen mit drei Vertrauten und einem lokalen Mullah, der ihm Schutz garantierte, besuchte er die abgelegene Bergwelt von Nuristan. Bis zum vorigen Jahrhundert wurden dort noch lokale Gottheiten verehrt. Weder die Sowjetarmee noch die Taliban haben das Gebiet je erobert. Eine atemberaubend schöne und weitgehend friedliche Gegend. Als er am späten Mittwochnachmittag nach Asadabad zurückkehrte und sein Handy wieder Empfang hatte, erfuhr Reuter per SMS erstmals von der Aufregung. "War nie entführt. Sitze im Garten", antwortete er. Kurz darauf bestätigten die Behörden: Der Entführte war ein dänischer Radioreporter, der rasch wieder freikam. Urlaub in Afghanistan? Das versteht nur, wer Christoph Reuter kennt. Der Islam-Experte sagt: "Wenn man sich für mehr interessiert als nur für Nachrichten aus den Regionen, über die man schreibt, fährt man auch mal im Urlaub dorthin." Er hat sogar schon Ferien im Nordirak gemacht, um einheimische Kollegen an einer Journalistenschule in Erbil zu unterrichten. Inzwischen ist Reuter wieder in Indien und hat versprochen, unsere Nerven zu schonen.

Herzlichst Ihr

Thomas Osterkorn

print