Editorial Parteitaktik in Zeiten der Krise

Liebe stern-Leser!

Kaum gehören die prasselnden Krisennachrichten zum Alltag, gewinnt die Parteitaktik in Deutschland wieder die Oberhand. Die Führungscrew der großen Parteien, eben noch gemeinsam im Ausguck, um das Land vorausschauend zu steuern, steigt wieder in die Maschinenräume. Zurück zum Klein-Klein, obwohl es jetzt darum geht, den heftigsten Konjunktureinbruch der Nachkriegsgeschichte abzufedern. Hier eine vermurkste Steuerentlastung für Neuwagenkäufer, die bei einer Kaufentscheidung kaum eine Rolle spielen dürfte. Dort ein paar absetzbare Handwerkerrechnungen. Dann das Gewürge um eine Steuerreform für mittlere und untere Einkommen. Die will Frau Merkel erst ab 2010. Wen wundert's: Als Sofortmaßnahme würde sich die Kanzlerin ihren vermutlich einzigen Wahlkampfschlager abdrehen. Über die Idee, nach britischem Vorbild die Mehrwertsteuer vorübergehend zu senken, wird gar nicht erst geredet.

Derweil tönt Parteichef Müntefering, dass seine SPD eigentlich die bessere Retter-Partei als die CDU sei. Vorbei die Tage, als die Große Koalition als Krisen-Interventionsteam schnell und klug agierte, auch wenn nicht alles handwerklich glattlief. Zu besichtigen ist dies auch am Beispiel Opel. Ursprünglich wollten die Opel-Chefs im Kanzleramt nur mal anfragen, wie es mit einer - vergleichsweise überschaubaren - Bürgschaft aussähe, wenn die Mutter GM in Detroit insolvent wäre ... Noch sieht es gut aus, Geld ist da, es gibt tolle neue Modelle (siehe Seite 54), also alles streng vertraulich, bitte schön. Denn Opel hat natürlich kein Interesse an Schlagzeilen, die Käufer und Kreditgeber verunsichern. Dennoch sickerte die Anfrage in die Öffentlichkeit. Aus interessierten politischen Kreisen?

Am 18. Januar wird in Hessen gewählt. Roland Koch sprang sogleich PR-wirksam ans Rednerpult im Landtag und sagte 500 Millionen Euro zu. Angela Merkel lud die Opel- Riege ins Kanzleramt, man ließ das Treffen zwischen Kaffee, Keksen und Tischblümchen für die Abendnachrichten filmen. Unterm Strich blieb Unverbindliches. Aber die gewünschte Botschaft rauschte wählerwirksam durchs Land: Merkel und Koch, das Krisen-Interventionsteam greift ein. Man weiß zwar noch nicht, wie, aber irgendwie. Man weiß aber auch, dass den Opelianern, vom Chef bis zum Bandarbeiter, Gespräche im Verborgenen lieber gewesen wären. Lesen Sie dazu auch den Bericht von stern-Reporter Axel Vornbäumen über Angela Merkel, die Klempnerin der Macht (Seite 46).

Nur wenige Journalisten kommen noch nach Somalia. Die Fotografin Véronique de Viguerie, 30, und die Reporterin Manon Quérouil, 28, kennen das Land von einem Aufenthalt in Mogadischu im Dezember 2006. Damals hatten islamische Extremisten für ein paar Monate die Macht übernommen und mit ihrem drakonischen Regime für Ruhe gesorgt. Als die beiden Frauen im Auftrag des stern vor drei Wochen erneut nach Somalia reisten, um in der Küstenbasis der Piraten zu recherchieren, herrschten wieder Chaos und Gesetzlosigkeit. Um nicht als Ausländerinnen erkannt zu werden, trugen sie stets die Abaja, das mantelartige Gewand mit Schleier, und verhüllten ihr Gesicht bis auf einen Sehschlitz. Sie heuerten 20 bewaffnete Männer als Geleitschutz an, die am Ende verblüfft waren, dass sie zwei blonde Journalistinnen eskortiert hatten. Während der zehnstündigen Fahrt vom Flughafen in Galcayo in den Seeräuber-Schlupfwinkel Hobyo hielten sie nicht an, damit ihre Tarnung nicht aufflog. Ihr Aktionsradius war begrenzt auf das Küstenstädtchen, sie bekamen die kleinen Boote der Piraten zu sehen, aber nicht deren Mutterschiffe. Ein somalischer Kollege, der in Eyl recherchierte, der Hauptstadt der Freibeuter, berichtete, dass die Arbeit dort selbst für einheimische Reporter ein Albtraum sei. Ihre Reportage lesen Sie ab Seite 30.

Herzlichst Ihr
Andreas Petzold

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