Hallo Frau Peirano,
ich bin 34 und arbeite im Finanzbereich. Ich war drei Jahre lang mit meiner Freundin (Sarah), einer Lehrerin, zusammen und wir haben auch zusammen gewohnt. Sie ist ein sehr warmherziger und lustiger Mensch und hatte einen guten Freundeskreis und eine sehr nette Familie. Wir haben ziemlich viel mit ihren Freunden und ihren Geschwistern unternommen.
Vor einem Jahr hat sie ein paarmal gesagt, dass sie mit der Beziehung nicht zufrieden ist und sich nicht gesehen fühlt. Ich muss sagen, dass ich da nicht so richtig hingehört habe oder es nicht verstanden habe. Vielleicht war ich auch egoistisch, denn sie hat immer Interesse an mir gehabt und mich verstanden. Sie hat mir irgendwann gesagt, ich solle mal über eine Therapie für mich nachdenken, weil ich so gestresst und auf mich bezogen bin, und sie hat auch eine Paartherapie vorgeschlagen. Ich dachte ehrlich gesagt, dass ich das überhaupt nicht will und es keinen Grund dafür gibt.
Vor vier Monaten bat sie mich um ein Gespräch und hat mir klipp und klar gesagt, dass sie sich so keine Zukunft mit mir vorstellt, sich in der Beziehung einsam fühlt und sich trennen will.
Da die Wohnung ihren Eltern gehört, musste ich ausziehen. Und seitdem komme ich nicht wirklich klar. Es war am Anfang hart, mir das einzugestehen.
Ich bin erst einmal in eine kleine, unpersönliche Wohnung gezogen und fühle mich da überhaupt nicht wohl. Es ist laut und deprimierend. Ihre Freunde haben kein Interesse an mir und lassen mich höflich abblitzen oder melden sich nicht zurück. Ihre Eltern und Geschwister haben mir unterschwellig vorgeworfen, dass sie erst mal Sarah aufbauen und wieder glücklich machen wollen. Ich sehe auf Instagram, dass sie dauernd mit ihrer Familie und ihren Freundinnen zusammen ist. Die Freundinnen haben sie wohl als Trost auf ein Wellness-Wochenende eingeladen, machen Radtouren, gehen picknicken und vieles mehr.
Mir ist aufgefallen, dass ich wirklich kaum jemanden habe. Meine Mutter ist mir ihren eigenen Problemen beschäftigt und wohnt weit weg, mit meinem Bruder habe ich mir nicht viel zu sagen und mein Vater ist nur am Arbeiten. Meine Freunde haben zum Teil schon Kinder und stehen etwas unter der Knute ihrer Frauen. Die müssen immer erst fragen, ob sie mal ausgehen können, und wenn ein Kindergeburtstag oder irgendwas anliegt, oder die Frau selbst weg ist oder dagegen ist, können sie nicht ausgehen. Oder höchstens bis 22 Uhr.
Einmal habe ich mit Mühe und Not meine alten Freunde für einen Abend in der Bar zusammengekriegt, und keiner hat sich groß dafür interessiert, wie es mir geht und dass meine Freundin sich getrennt hat. Es kamen so halbherzige Sprüche wie: "Ja, dann bist du wieder frei. Findest eine andere. Kannst dich ausleben." Oder: "Wird schon wieder." Und um 23 Uhr haben sie auf die Uhr geguckt und sind abgezogen zu ihren Familien oder Partnerinnen.
Leider habe ich angefangen, recht viel zu trinken. Ich gehe alleine in Bars, spreche Frauen an, hatte ein paarmal Sex, aber denke dann an meine Freundin. Ich weiß nicht, wohin mit mir – und wie es weitergehen soll. Mein Chef hat neulich angedeutet, dass er mit meiner Performance gerade nicht zufrieden ist und Kürzungen anstehen. Das fehlt mir gerade noch. Ich mache also Überstunden, um mich abzulenken.
Ich denke oft darüber nach, mich bei Sarah zu melden und sie zu fragen, ob wir es noch mal miteinander versuchen, auch mit Paartherapie und allem. Ich habe sie mal in einer betrunkenen Nacht angeschrieben, und sie hat sehr abweisend reagiert und gesagt, sie sei gerade dabei, alles zu verarbeiten und Abstand zu gewinnen und sie hoffe, dass ich das auch tue und das Beste daraus mache.
Ich weiß gerade wirklich nicht weiter. Haben Sie einen Rat für mich?
Viele Grüße
Max E.

Dr. Julia Peirano: Der geheime Code der Liebe
Ich arbeite als Verhaltenstherapeutin und Liebescoach in freier Praxis in Hamburg-Blankenese und St. Pauli. In meiner Promotion habe ich zum Zusammenhang zwischen der Beziehungspersönlichkeit und dem Glück in der Liebe geforscht, anschließend habe ich zwei Bücher über die Liebe geschrieben.
Informationen zu meiner therapeutischen Arbeit finden Sie unter www.julia-peirano.info.
Haben Sie Fragen, Probleme oder Liebeskummer? Schreiben Sie mir bitte (maximal eine DIN-A4-Seite). Ich weise darauf hin, dass Anfragen samt Antwort anonymisiert auf stern.de veröffentlicht werden können.
Lieber Max E.,
Trennungen von einer geliebten Person können sehr hart sein und sehr viel Schmerz verursachen. Ich würde sogar sagen, dass Trennungen den schlimmstmöglichen Schmerz verursachen können und einen unter Umständen sogar seelisch krank machen.
Bei Ihnen hört es sich so an, als wenn Sie fast alles auf eine Karte gesetzt haben, nämlich auf Ihre Beziehung, und Ihre weiteren Beziehungen vernachlässigt haben.
Sie haben jetzt, nach der Trennung von Sarah, sehr viel verloren. Den einzigen Menschen, der sich für Sie interessiert hat und der versucht hat, Sie zu verstehen und voranzubringen (auch so verstehe ich Sarahs Rat, dass Sie sich einen Therapeuten suchen). Und Sie haben Ihr Zuhause verloren, mit der Geborgenheit, die Sarah durch ihre warmherzige Art geschaffen hat.
Das ist erst einmal ein ziemlich großer Verlust. Wir Therapeutinnen sprechen auch von den Säulen der Existenz, auf denen wir stehen. Eine Säule ist die eigene Gesundheit und Vitalität, eine andere Säule ist Partnerschaft und Familie, die nächste Säule der Beruf und die materielle Sicherheit, wieder eine andere Säule sind Freunde, eine andere sind Leidenschaften und Hobbys, und es könnte auch so etwas wie ein Wertesystem oder eine Religion eine Säule sein.
Wir fühlen uns im Leben eingebettet, zufrieden und sicher, wenn wir auf möglichst vielen Säulen stehen, die auch noch schön gepflegt und nicht marode sind. Einige Menschen stehen nur auf einer höchstens zwei Säulen, und natürlich fühlen sie sich fragiler und auch abhängiger, denn wenn diese letzten Säulen wegbrechen, fällt man hart auf den Boden.
Es hört sich so an, als wenn Sarah auf recht vielen Säulen steht: Sie hat einen guten Kontakt zu ihrer Familie und zu ihren Freunden, sie hat eine Wohnung, einen sicheren Beruf und scheint auch soweit im Reinen mit sich zu sein, dass sie weiß, was sie will und was nicht.
Anscheinend war es Ihnen während der Beziehung mit Sarah nicht so bewusst, dass sie sich emotional auch ein Stück von ihr abhängig gemacht haben: Sie wohnten in ihrer Wohnung, trafen sich mit ihren Freunden und ihrer Familie, und Sarah war anscheinend mit Abstand der wichtigste Mensch in Ihrem Leben und vielleicht die einzige wirkliche Bezugsperson.
Kann es sein, dass Sie sich in der Beziehung auch emotional von ihr haben versorgen lassen? Es klingt durch, dass Sarah viel gegeben hat, sich für Sie interessiert und versucht hat, Sie voranzubringen, und dabei selbst zu kurz gekommen ist. Würden Sie das auch so einschätzen? Gab es von Sarah auch einen Wunsch, die Beziehung zu festigen, also z.B. Kinder zu bekommen, zu heiraten oder gemeinsame Ziele zu verfolgen? Und kann es sein, dass Sie diese Wünsche nicht gehört oder weggewischt haben? Ich könnte mir vorstellen, dass sie frustriert und unzufrieden war und zum Schluss resigniert aufgegeben hat.
Es hört sich so an, als wenn Sie aus einer Familie kommen, in der auch Ihre Eltern Sie nicht so wirklich emotional versorgt haben und vielleicht auch wenig den Kopf für Sie frei haben. War das in Ihrer Kindheit auch so? Ihr Vater arbeitet viel, Ihre Mutter hat eigene Probleme. Mit Ihrem Bruder haben Sie ein distanziertes Verhältnis. Sie haben also leider keinen Rückhalt in dieser Notsituation, in der Sie sich gerade befinden. Das ist traurig.
Offensichtlich haben Sie auch in Ihren anderen Beziehungen wie Freundschaften noch nicht gelernt, wie man Tiefe und Verständnis hineinbringt, sich gegenseitig unterstützt und ehrliche Gespräche führt.
Ich gehe noch einen Schritt weiter: In der wichtigsten Beziehung Ihres Lebens, nämlich der mit sich selbst, haben Sie anscheinend auch keine liebevolle, versorgende, tröstende und strukturierende Beziehung zu Ihrem inneren Kind. Sondern es kommt mir so vor, als wenn es in Ihrem inneren System einen inneren Vater gibt, der mit seinem Job und sich beschäftigt ist und das innere Kind ein Stück weit vernachlässigt. Denn genau so fühlen Sie sich ja: verloren und wie auf dem Abstellgleis des Lebens.
Ende der Beziehung – in der Krise liegt eine Chance
Das klingt zuerst einmal ernüchternd. Aber gleichzeitig kann man auch sagen, dass eine Krise eine Chance in Arbeitskleidung ist. Sie könnten jetzt das Problem an den Wurzeln angehen und sich darum kümmern, mit sich selbst beziehungsweise Ihrem inneren Kind eine liebevolle Beziehung aufzubauen, was dann dazu führen würde, dass auch alle anderen Beziehungen liebevoller und wärmer werden.
Ansonsten befürchte ich, dass Ihnen das passiert, was vielen Männern passiert, die sich von Frauen emotional versorgen lassen: Die Beziehungen scheitern nach einer Weile, weil die Frauen erschöpft sind und selbst emotional verhungern. Und dann führen Sie eine Beziehung nach der anderen, aber es ist immer das gleiche.
Ich kann Ihnen drei Bücher empfehlen:
Mein Buch "SOS in der Liebe – und wie man trotzdem glücklich wird" zielt genau darauf ab, sich selbst Halt zu geben, unabhängig von einer Beziehung
M. Scott Peck: "Der wunderbare Weg. Eine neue spirituelle Psychologie"
"Die 7 Geheimnisse der glücklichen Ehe" von John M. Gottman und Susanne Dahlmann
Ich würde Ihnen raten, bildlich gesprochen die Arbeitskleidung anzuziehen, um die Krise in eine Chance zu verwandeln und sich an den Wurzeln mit dem Problem zu beschäftigen, das sich an Ihrer Trennung von Sarah zeigt.
Dafür wäre eine Psychotherapie der beste Weg, denn es hört sich so an, als wenn Ihre Selbstliebe, Selbstfürsorge, Selbstmitgefühl viel tragfähiger werden könnten und sollten, damit Sie Beziehungen führen können, die liebevoller werden.
Manchmal ist eine Trennung erst einmal eine starke Erschütterung und Verunsicherung, aber gerade durch den Leidensdruck kann man sich verändern und entwickeln.
Wenn Sie nicht gleich einen Therapieplatz finden, kann ich Ihnen in der Zwischenzeit zwei Dinge raten:
- Machen Sie einen MBSR-Kurs (Mindfullness Based Stress Reduction), also achtsamkeitszentrierte Stressreduktion. Dabei lernen Sie ganz praktisch einen guten Zugang zu sich selbst, z.B. durch Bodyscans, Gehmeditation und Wahrnehmungsübungen. Und vielleicht treffen Sie in dem Kurs andere Menschen, die auf der Suche sind und mit denen Sie sich austauschen können. Also bitte den Kurs in Präsenz machen und nicht online!
- Nehmen Sie sich täglich Zeit zum Schreiben und schreiben Sie ausführlich, wie es ihnen geht. Antworten Sie sich dann selbst mit der ehrlichsten und hilfreichsten Antwort, die Ihnen gerade einfällt. Wenn Sie das sorgfältig machen, lernt das "innere Kind" sich zu öffnen, und der "gute innere Vater" lernt, sich um das Kind zu kümmern. Es ist oft ein sehr simpler, aber hilfreicher Weg, Halt und Trost nicht im Außen zu suchen (Freundschaften, Alkohol, Ablenkung, Arbeit), sondern sich einfach in aller Seelenruhe und Akzeptanz anzuschauen, was man fühlt und das mit dem "inneren Kind" liebevoll auszusitzen. Ihm immer wieder über den Kopf zu streichen und zu sagen: Erzähl mir alles, ich bin da und stehe das mit dir durch.
Ich wünsche Ihnen, dass Sie diese Chance nutzen und erst einmal anfangen, sich selbst lieben zu lernen und sich selbst emotional zu versorgen. Das wird sicher etwas dauern, mindestens zwei Jahre, wenn man am Ball bleibt, aber es wird Ihr Leben verändern.
Herzliche Grüße
Julia Peirano
*Dieser Artikel enthält sogenannte Affiliate-Links zu Produkten in Online-Shops. Klickt ein Nutzer darauf und kauft etwas, erhält der Verlag eine Provision vom Händler, nicht vom Hersteller. Wo und wann Sie ein Produkt kaufen, bleibt natürlich Ihnen überlassen.