bochum Wirtschaft für Geisteswissenschaftler?!

Über Sinn und Unsinn einer BWL-Vorlesung

Über Sinn und Unsinn einer BWL-Vorlesung

Ich studiere Publizistik. Ein kleines Fach mit etwa 50 Erstsemestern pro Jahr, in dem die Vorlesungen in größeren Seminarräumen stattfinden. Ruhig und beschaulich geht es bei uns zu. Nun ist zwar Publizistik auf dem Arbeitsmarkt schon etwas relevanter als etwa Skandinavistik - trotzdem fehlt uns angeblich das Verständnis für das, was diese Welt bewegt. Wir haben keinen Schimmer von Wirtschaft!

Man sagt, weder wir noch all die anderen Geisteswissenschaftler könnten etwas anfangen mit shareholder value und nennwertlosen Stückaktien. Genau dieser Begriff der nennwertlosen Stückaktien war es dann auch, der mich getrieben hat, diesen - in unserer Welt der Ökonomisierung völlig unhaltbaren - Zustand zu ändern. Schließlich taucht der Begriff in meiner Magisterarbeit auf. Dann sollte ich ihn doch auch verstehen, oder?

Wie gut, dass es mittlerweile an jeder Ecke Initiativen gibt, die den Unwissenden unter uns Hilfestellung aller Art anbieten. Wir lernen Fremdsprachen, polieren unsere EDV-Kenntnisse auf und können jetzt endlich auch lernen, was sich hinter besagten nennwertlosen Stückaktien verbirgt. Und zwar einfach und übersichtlich, ohne mathematische Überforderung, geisteswissenschaftsgerecht dargeboten in der ersten Bochumer »BWL für Nichtökonomen«-Vorlesung. All diejenigen, die ihren elementaren Mangel erkannt haben, werden gesegnet mit den Erkenntnissen der Betriebswirtschaftslehre. Einmal pro Woche, zwei Stunden. Und zwar nicht, so wie ich es gewohnt bin, in lauschiger Atmosphäre mit 30 Leuten. Der erstaunliche Ansturm Wissensdurstiger füllt den größten Hörsaal der drei G-Gebäude. Einige hundert Leute, alle auf der Suche nach verwertbarem Wissen, hocken im Hörsaal und auf den Treppen. Theologen, Pädagoginnen, Biologen und das ganze philologische Spektrum. Ich frage mich, ob es sich lohnen wird. Mir kommt der Gedanke, ein kritischer selbstverständlich, als Geisteswissenschaftler, ob es nicht irgendwann den Untergang der hehren Universitätsideale einläutet, wenn man all den Studis, die mit Begeisterung ein Nischenfach studieren, wegen der besseren Verwendung auf dem Arbeitsmarkt einen wirtschaftlichen Minderwertigkeitskomplex einredet.

Professor Engelhardt, seit einiger Zeit schon emeritiert, tritt energisch vor die erwartungsvollen Nichtökonomen. Er wird uns wahrscheinlich jetzt erzählen, wie sinnvoll unser Entschluss war, herzukommen, und wie wichtig all das Grundwissen auch für uns »Exoten« ist. Und dann wird er anfangen, mit dem trockenen Stoff, von dem ich genau zu wissen glaube, weshalb ich immer einen großen Bogen um ihn gemacht hatte. Er beginnt zu reden, begrüßt uns und lobt unseren Entschluss. All das Grundwissen sei auch für uns wichtig, erklärt er. Und tut dann etwas Überraschendes - er redet vom täglichen Leben. Er erklärt uns, was hinter den Zwanzigzeilern im Wirtschaftsteil der Zeitung steckt. Er redet von den Menschen, die hinter Zahlen und Börsenwerten stehen. Und er fesselt seine Zuhörer. Ich bin gespannt, warte auf den Moment, an dem das Verständnis wieder dem großen Unwissen weicht. An dem es trocken wird, und ich wieder weiß, weshalb ich diesen Stoff immer vermieden habe. Er kommt nicht.

Die genaue Definition der nennwertlosen Stückaktien kenne ich noch nicht. Aber Wirtschaft ist ein Teil unseres Lebens, ob wir wollen oder nicht. Man kann sie kritisieren, beschimpfen und als zügellosen Kapitalismus verdammen. Aber vorher sollte man sie verstehen. Es hilft. (ts)

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