In Leipzig, lange berüchtigt für Leerstand bei Wohnungen, werden die unsanierten Bruchbuden nun auch langsam knapp und teuer. Das hängt nicht nur mit dem seltsamen Medien-Hype um das angeblich "bessere Berlin" zusammen, mit Kultur und Bumsfallera, sondern auch mit Studenten, denen hier mehr Ellbogenfreiheit in Hörsälen vorgegaukelt wird, entspanntes Lernen und Forschen, Koryphäen am Pult...
Das Meiste davon ist gelogen und man kann Erstsemest-Westler - selbst wenn man es grundsätzlich nicht gut mit ihnen meint – nur vor überhasteten Entscheidungen warnen: Bitte denkt nicht allein an die angeblich billigeren Studentenbuden oder die tatsächlich hübscheren Mädchen. Es gibt hier auch Neonazis und raffgiere Vermieter aus dem Westen. Euch werden jede Menge Vorurteile entgegenschlagen. Die sprichwörtliche Fremdenfeindlichkeit im Osten trifft nicht nur "Neger und Fidschis", wie man hier immer noch ungeniert sagt, sondern auch Klugscheißer, die Einheimische darüber belehren wollen, dass Vietnam nicht zu den Fidschi-Inseln zählt. Zudem wird auch in den ostdeutschen Kolonien an Bildung gespart. Und auf den meisten Lehrstühlen sitzen Professoren, die im Westen keinen bekamen.
Seltsame Studien in exotischen Orten
Eine arglistige Werbe-Kampagne verschleiert das alles. Schon ihr Name verrät, auf wessen Mist sie gewachsen ist. Hinter "Studieren in Fernost" steckt eine Werbe-Agentur aus Düsseldorf, die sonst für Cornflakes, Politiker und sich selbst PR macht. Nun lockt sie im Auftrag ostdeutscher Wissenschaftsministerien und gefördert mit Bundesmitteln naive Westler in schwer vermittelbare Studiengänge an exotischen Orten: Wie wäre es zum Beispiel mit "Angewandter Kunststofftechnik" an der renommierten Fachhochschule Schmalkalden? Oder "Bioprodukttechnologie" in Neubrandenburg? Studentenleben und Prestige von Lehranstalten wie der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde (FH), so vermittelt das die Kampagne, unterscheiden sich kaum von Berlin, Yale oder Clausthal-Zellerfeld. Dafür wird neben den angeblich "niedrigen Lebenshaltungskosten" mit "moderner Ausstattung", "hoher Lehrqualität" und – da wird es je nach Humor ironisch oder zynisch - mit "guten Karrierechancen" geködert.
Crystal Meth statt Kaffee am Morgen
Deshalb noch mal zum Mitschreiben: Wann immer Euch etwas von Fachkräftemangel erzählt wird - vergesst nicht, dass es Gründe gibt, warum junge Menschen im Osten nicht mehr leben wollen! Wenn Zeitgeistmagazine zum 100. Mal von der hippen Stimmung auf der Leipziger Sachsenbrücke oder von den "Freiräumen" in Plagwitzer Fabriketagen schwärmen: Erkundigt Euch doch auch mal nach den nächtlichen Schlägereien dort. Messerstecher, Kampfhunde, kickboxende Teenie-Mütter - wer nachmittags in asozialen Westsendern auftritt, läuft hier frei herum. Und, liebe Eltern: Schon mal von Crystal Meth gehört, der Teufelsdroge aus dem Osten?! Es ist überall, vor der Mensa, statt Kaffee am morgen. Angeblich hilft es auch bei Prüfungsstress. Kurzum: Ein Studium in Leipzig ist wie Sexualerziehung an der Odenwaldschule - wer sein Kind liebt, schickt es da besser nicht hin!
Vor ein paar Wochen habe ich mich an dieser Stelle mit den bedauerlichen Bildungsdefiziten an westdeutschen Schulen beschäftigt und darin auch die Idee der innerdeutschen Inklusion von lernbehinderten Gymnasiasten an ostdeutschen Universitäten gelobt. Das muss ich leider korrigieren, seit offen zum Missbrauch damit aufgerufen wird. "So bleiben Numerus-clausus-Opfern zwei Optionen", empfiehlt etwa die #link;www.sueddeutsche.de/bildung/numerus-clausus-in-der-bildungsbaeckerei-1.1735972 ;"Süddeutsche Zeitung"# frech: "Man kann die Provinz entdecken lernen, oder die neuen Länder."
Mehr als Tanzen und Googlen
Man könnte auch fragen: Warum holen sie sich den Bachelor nicht gleich bei RTL? Warum müssen sich westdeutsche Klippschüler nach neuesten Zahlen massenhaft an ostdeutschen Universitäten quälen? Wieso gilt der "Numerus clausus" – im Gegensatz zu Schulstoff und Anforderungen an die Hochschulreife - überhaupt flächendeckend? Müsste man bei Abiturienten aus Hamburg nicht grundsätzlich zwei oder drei Zähler vor dem Komma dazu addieren?
So gucken sie zwar doof, wenn in Jena plötzlich mehr als Tanzen und Googeln verlangt wird. Leider aber verbietet es die europäische Gleichbehandlungspolitik, Studienbewerber wegen ihrer bildungsfernen Herkunft zu benachteiligen. Bereits 2005 scheiterte Belgien mit einer entsprechenden Klage vor dem Europäischen Gerichtshof. Damals wollte man sich per Zulassungsbeschränkung gegen den Andrang französischer Schulversager wehren. Das Niveau sinkt offenbar auch international von Ost nach West. Und weil an ostdeutschen Hochschulen – wie überall - fast nur noch ehemalige West-Abiturienten vorlesen und lehren, wird es sich eines Tages auch auf deren Level einpegeln, vergleichbar etwa mit dem an einer Thüringer Grundschule.
Das läppische Westabitur
"In Ilmenau", so berichtet die "Deutsche Universitätszeitung", "studieren schon jetzt mehr West- als Ostdeutsche." Es sei deshalb – warum eigentlich? - die "erste echte gesamtdeutsche Universität". Zudem wird das nicht etwa als Alarmsignal gemeldet, sondern wie einen Grund zum Durchfeiern auf Crystal. Und wenn auch früher nicht alles besser war und ich mir diese Floskel sonst nach Kräften verbiete: So leicht wie heute war das mit einem läppischen Westabitur im Osten bis 1989 nicht.
Als Arnold Sch. -inzwischen Chefredakteur der alten "Jungen Welt" - 1967 vor der Bundeswehr in die DDR desertierte, musste er seine Hochschulreife selbstverständlich noch einmal unter Beweis stellen. Obwohl sein Schulabschluss in Bremen auch Abitur hieß, war es im Osten keinen Alugroschen wert. Da half nicht mal, dass er sich sofort der Staatssicherheit als Inoffizieller Mitarbeiter zur Verfügung stellte. Also Obacht, Leute: Die schrecken vor nichts zurück, wenn sie im Westen keine Chance haben. Auch die NSA braucht neue Spione im Osten. Und Ihr, Weststudenten: Heult doch - und nennt es von mir aus Heimweh!
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