442.600 neue Erstsemester Studenten-Welle überfordert deutsche Unis

Die Zahl der Studienanfänger in Deutschland ist auf ein neues Rekordhoch gestiegen. In diesem Jahr nahmen rund 442.600 Erstsemester ein Studium auf. Die Hochschulen befürchten, diesem Ansturm nicht mehr gewachsen zu sein und fordern nun neue Finanzmittel.

Der Ansturm auf die Hochschulen in Deutschland nimmt zu. Allein im vergangenen Jahr starteten rund 442.600 Erstsemester ein Studium, wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch in Wiesbaden mitteilte. Dies waren vier Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Die Gesamtzahl der Studenten erreicht damit einen neuen Rekordwert von 2,2 Millionen. Die doppelten Abiturjahrgänge und die Aussetzung der Wehrpflicht werden im kommenden Jahr einen weiteren Andrang an den Unis verursachen. Die Hochschulen fordern deshalb Milliardenhilfe von Bund und Ländern.

Der Anstieg der Erstsemesterzahl fiel 2009 im Saarland und in Bayern besonders groß aus. Den Statistikern zufolge wuchs die Zahl der Studienanfänger dort um 13 beziehungsweise 9 Prozent. Einen deutlichen Rückgang der Studienanfänger verbuchten dagegen Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen mit einem Minus von jeweils neun Prozent. Eine Ursache sei hier der Geburtenrückgang im Osten Deutschlands Anfang der 1990er Jahre. Bundesweit bleibt jedoch ein sattes Plus. Auch die Studienanfängerquote, also der Anteil der Studienanfänger an der gleichaltrigen Bevölkerung, stieg 2010 laut Statistik auf 46 Prozent - drei Prozentpunkte mehr als ein Jahr zuvor.

Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) wertete die Zahlen als Erfolg des Hochschulpaktes und der jüngsten Bafög-Erhöhungen. "Dieses Ergebnis zeigt, dass die Bildungsrepublik auf dem richtigen Weg ist", sagte sie.

Im Hochschulpakt hatten Bund und Länder vereinbart, die Zahl der Studienplätze auszubauen. In einem ersten Schwung von 2007 bis 2010 sollten Plätze für 91.000 zusätzliche Hochschüler entstehen, in einem zweiten Schwung bis 2015 insgesamt 275.000 weitere Studienplätze.

Hochschulen fühlen sich überfordert

Die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz, Margret Wintermantel, sagte, die Universitäten und Fachhochschulen hätten ihren Anteil am Hochschulpakt bereits deutlich übererfüllt und seien "massiv in Vorleistung gegangen". Statt um 91.000 sei die Zahl der Studienanfänger in den vergangenen Jahren um 156.000 gestiegen. Die aktuellen Zahlen zeigten nun, dass auch die Zahlen für die zweite Phase des Paktes bis 2015 zu niedrig angesetzt seien. "Länder und Bund müssen beide Hochschulpakte deutlich aufstocken", forderte Wintermantel.

Das Problem sei umso dringlicher, weil die Aussetzung der Wehrpflicht neue Studienanfänger an die Unis bringe, mahnte sie. Die Hochschulrektoren rechnen mit einem Plus von 30.000 bis 40.000 Studienanfängern durch die Wehrreform. Auch die doppelten Abiturjahrgänge durch das achtjährige Gymnasium in einigen Bundesländern stellen die Hochschulen vor neue Herausforderungen. Wintermantel sagte, sie sehe nicht, wie die Hochschulen ohne finanzielle Hilfe weitere Studienanfänger aufnehmen könnten.

"Unis auf Ansturm nicht vorbereitet"

Auch die Opposition forderte die Bundesregierung zum Handeln auf. Der SPD-Bildungspolitiker Swen Schulz forderte, es müssten ausreichend Plätze für die kommenden Studieninteressenten geschaffen werden. Auch das Bafög müsse die Koalition weiter aufstocken. Die Linke-Hochschulexpertin Nicole Gohlke warnte, die Unis seien auf den Ansturm nicht vorbereitet. Während die Zahl der Studenten steige, stagnierten die Mittel für die Hochschulen. Viele Studierwillige kämen schon jetzt nicht an die Unis, weil schlicht Plätze fehlten oder es an ausreichender finanzieller Unterstützung mangele.

Der Grünen-Bildungspolitiker Kai Gehring kritisierte, der Hochschulpakt reiche "hinten und vorne" nicht aus. "Schwarz-Gelb lamentiert über Fachkräftemangel, während Schavans Studienplatzmangel den Bildungsaufstieg einer ganzen Generation vermasselt", beklagte er.

Schavan räumte ein, der Hochschulpakt müsse "weiterentwickelt" werden. Die Ministerin kündigte außerdem an, gemeinsam mit dem Verteidigungsressort Vorschläge zu machen, um die Folgen der Wehrreform zu bewältigen. "Wichtig ist, dass wir Studienbewerber nicht in die Warteschleife schicken", sagte sie. Details nannte Schavan bislang aber nicht.

Christiane Jacke, APN (mit AFP)

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