Italien gilt als das kinderfreundlichste Land der Welt. Doch hier Kind zu sein ist kein leichtes Los. Ein Widerspruch? Ganz recht. Erziehung all'italiana ist ein ständiger Widerspruch, Inkonsequenz das allein gültige Prinzip.
Ihre Schwangerschaft erlebt die Italienerin als Ausnahmezustand, den sie mit der Würde einer Märtyrerin erleidet, die weiß, dass sie eine gesellschaftliche Großtat leistet: Nirgendwo sonst werden weniger Kinder geboren, statistisch 1,2 pro Frau.
Kaum ist die Nabelschnur ab, beginnt für den "Pupo" die erste Lebenslektion: "Bella figura" soll er machen, in gestärkten Markenhemdchen und Designerschühchen. Schon mit sechs Monaten hievt Papa den Kleinen unnachgiebig auf die einknickenden Beinchen, doch Fünfjährige werden oft noch von der Mamma gefüttert. Nicht nur, weil sie groß und stark werden sollen. Italienische Mütter sind Vollstreckerinnen eines gnadenlosen Sauberkeitskults, die der anal-oralen Phase als ständig wischende Maestre Proper den Garaus machen. Dafür sind die Kleinen nahezu so ausgebucht wie Topmanager: Reiten, Malkurs, Ballett, Klavierstunde. Sonntags sind die Ragazzi unausstehlich, weil nichts läuft außer dem Fernseher, weshalb bei Tisch alle durcheinander schreien. Zuhören lernt man nicht in italienischen Familien.
Kinder sind der absolute Lebensmittelpunkt ihres Clans, doch sie zahlen dafür mit einem Dasein in Geiselhaft. Bambini werden überall mit hingeschleppt und dürfen in rauchigen Kneipen toben, bis sie unter den Tisch kippen. Und natürlich ist Mamma schon beim kleinsten Windhauch mit dem Pullöverchen zur Hand, bei leicht erhöhter Temperatur mit Antibiotika. Ablösung fällt solchen Müttern schwer - und den Söhnen ebenso. Dass Mittdreißiger noch in der "Pensione Mamma" wohnen, ist hier Tradition, die in Resteuropa erst neuerdings kopiert wird.
Töchter werden eisern aufs Gefallen getrimmt. Wenn Po und Busen sprießen, kauft Mamma ihr die schärfsten Teile von Miss Sixty und freut sich über anerkennende Pfiffe. Die Väter aber drehen durch, wenn der erste Kerl um die Kleine buhlt: Sie wird weggeschlossen und mit der Strenge katholischer Kreuzfahrer vor dem Absturz als "piccola puttana" - kleine Hure - bewahrt.
Die Inkonsequenz der Eltern fördert beim Nachwuchs Überlebenstechniken. Wer nicht weiß, ob es Ohrfeigen oder Küsse hagelt, lernt, sich blitzschnell zu arrangieren, bildet jene diplomatische Elastizität, jene Meisterschaft im Erfinden von Ausflüchten und Halbwahrheiten, die man hierzulande "furbizia" nennt. Nur "Schlaumeier" nämlich kommen voran. In Italien kann man es damit bis zum Regierungschef bringen.