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C. Tauzher: Die Pubertäterin Meine Tochter findet, ich sei reif für die Klapse

Junge Frau zerwuschelt schreiend ihre Haare
Mit bestimmten Sätzen können uns unsere Eltern in den Wahnsinn treiben
© Fly_dragonfly / Getty Images
"Wir hatten damals nur ...". "Früher war das ..." Christiane Tauzher hat jede Menge dieser Sätze parat. Sie sei doch irre, findet ihre Tochter, immer diese alten Geschichte aufzuwärmen. Doch es ist gar nicht so einfach, darauf zu verzichten.

Es ist total uncool, einen Satz mit "früher war das ..." oder "als ich in deinem Alter war ..." oder "wir hatten damals nur ..." zu beginnen. Dann sagt die Wombi mit Mitleid in der Stimme, dass sie wisse, was ich alles durchgemacht habe:

  • ein Festnetztelefon, das an der Wand befestigt war,
  • Ballerinas mit Goldschnalle,
  • einen Walkman mit unglaublich peinlichen, mit Schaumstoff überzogenen Kopfhörern,
  • Karottenhosen,
  • Umlege-Krägen aus weißer Spitze,
  • ein geblümtes Dirndl für Festtage
  • und ein Mal in der Woche "Bonanza" oder "Knight Rider".

Christiane Tauzher: Die Pubertäterin

Seit die Pubertät unsere Tochter, die Wombi, kurz nach ihrem 13. Geburtstag in ihre Gewalt bekommen hat, halten wir die Fenster geschlossen, damit die Nachbarn nicht die Polizei rufen. Die Pubertäterin ist laut und unberechenbar, wenn sie nicht gerade wie ein Wombat schläft oder isst – was sie zum Glück oft tut.

Die Geschichten, die ich – Journalistin, 41, aus Wien, verheiratet mit Olaf, 46 – hier erzähle, handeln natürlich nicht von der Pubertäterin in meiner Familie. Nein. Sie entspringen meiner blühenden Fantasie oder stammen aus anderen Familien. Dort geht es nämlich arg zu – in den anderen Familien ...

Ich sei, so analysiert die Wombi, ein psychisch gestörter, armer älterer Mensch, und sie wolle versuchen, darauf Rücksicht zu nehmen. Ich solle meinen Teil dazu beitragen und so wenig wie möglich "von früher" erzählen.

An den Therapieplan der Wombi halte ich mich so gut es geht.

Neulich morgens, als sie sich mit meinem schwarzen Theaterrock und meinem besten Kaschmirpullover in die Schule aufmachen wollte, wurde ich rückfällig. "Wenn ich früher einfach so die Sachen meiner Mutter genommen hätte", schnaubte ich,  "dann wäre Feuer am Dach gewesen." Die Wombi sah mit gerunzelter Stirn suchend an die Decke. "Kein Feuer am Dach", sagte sie, "du kannst dich wieder beruhigen." Mit diesen Worten war sie bei der Türe draußen.

"Wenn ich so mit meiner Mutter geredet hätte", sagte ich zum Olaf, der gerade den Teebeutel in Zeitlupe aus der Kanne zog und sich nach einer Ablagemöglichkeit umschaute - "du wirst aufstehen müssen", sagte ich und deutete auf den Mülleimer. Der Olaf ließ den Beutel wieder ins Teewasser gleiten . "Nein, du hast nie so mit deiner Mutter geredet", seufzte er und sah dem Beutel hinterher, bis er auf den Grund der Kanne gesunken war. "Aber wenn", legte ich nach, "dann hätte ich ein blaues Wunder erlebt."

"Sieh es als Kompliment ..."

"Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, dass du an den Kleiderschrank deiner Mutter gegangen bist", sagte er. Ich musste überlegen. Doch, da gab es eine blaue Weste mit einem applizierten Kirschbaum am Rücken und Schulterpolstern - die hat mir immer gut gefallen. "Die Weste hat sie doch noch", glaubte der Olaf zu wissen, "vielleicht darfst du sie jetzt mal ausborgen."  Er lachte. Ich rollte die Augen. Hätte ich ihm den Teebeutel vorhin abgenommen, hätte er das nicht gesagt. "Sieh es als Kompliment", sagte der Olaf, "du hast coole Sachen, sonst würde sich die Wombi nichts bei dir ausborgen."

Ach, ja. So betrachtet, war es natürlich großartig, seiner Lieblingsteile sukzessive beraubt zu werden. Ich würde mit der Wombi einkaufen gehen. Das war der Plan. Naturgemäß war die Wombi vom Plan begeistert. "Du musst aber auch etwas von deinem Geld beisteuern", sagte ich. Die Wombi nickte. Zwei Stunden später, als sie ihre neue Garderobe auf den Kassentisch kippte, zückte sie einen Fünf-Euro-Schein. "Mein Beitrag, bitte sehr", sagte sie. Ich machte "Pfffffffffffffffffff" und war stolz auf mich, denn eigentlich hätte ich der Wombi gern erzählt, dass ich früher immer die Hälfte zu allem dazuzahlen musste. Außer zu neuen Unterhosen und Socken.

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"Ich sage es jetzt zum allerallerletzten Mal! Storys aus dem fast perfekten Alltag einer Mutter", von Christiane Tauzher, Goldegg Verlag, 14,95 Euro

Aber ich sagte nichts. Zuhause riss die Wombi die Etiketten von der neuen Kleidung und ließ die Zettelchen auf den Badezimmerboden fallen. Ich sagte wieder nichts.  Es war fast schon gespenstisch, wie gut ich mich im Griff hatte.

In den nächsten Tagen herrschte in der Früh Friede, Freude, Eierkuchen. Die Wombi führte ihre neuen Sachen aus, und ich verbiss es mir ihr zu sagen, dass es früher unmöglich gewesen wäre, Turnschuhe zu Minirock mit Strumpfhose zu tragen.

Doch es kam der Tag, an dem alle neuen Teile schmutzig waren. Da die Wombi den Wäschekorb in ihrem Zimmer als Sitzmöbel benützt und die Schmutzwäsche fallenlässt wie Hänsel und Gretel die Brotkrumen, fiel es ihr erst spät auf, dass die saubere Wäsche aufgebraucht war.

Auf leisen Sohlen stahl sie sich in mein Zimmer und fischte sich Theaterrock und Kaschmirpullover aus der Lade. Beim Frühstück saß sie unter dem Vorwand, ihr wäre kalt, im Mantel da. Ich sah ihn trotzdem hervorblitzen, meinen Pullover.

"Willst du mir nicht etwas sagen?", fragte ich die Wombi, die es plötzlich wahnsinnig eilig hatte. "Doch!", sagte sie, "ich glaube, jetzt ist doch Feuer am Dach." Und dann rannte sie.

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