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C. Tauzher: Die Pubertäterin "Kind, wann liest du mal wieder etwas?" "Wie meinst du das, Mama?"

Mädchen mit Buch auf dem Gesicht
Der Buchgeschmack von Teenagern trifft nicht unbedingt den ihrer Eltern
© portishead1 / Getty Images
Beim Thema Lesen gehen die Meinungen zwischen Kindern und Eltern sehr auseinander, muss Christiane Tauzher feststellen. Vielleicht kann Karl Lagerfeld mit seiner riesigen Bibliothek als Vorbild dienen?

Würde sich die Wombi heute für einen Job bewerben, stünde beim Punkt "meine Hobbys": Schlafen, Shoppen, Schminken. Ja, theoretisch hat sie irgendwann in einem früheren Leben Schwimmen, Bogenschießen, Malen, Radfahren, Schach, Yoga, Klettern, Klavierspielen und Eislaufen gelernt. Aber daran erinnern wir uns alle nur noch schemenhaft.

Christiane Tauzher: Die Pubertäterin

Seit die Pubertät unsere Tochter, die Wombi, kurz nach ihrem 13. Geburtstag in ihre Gewalt bekommen hat, halten wir die Fenster geschlossen, damit die Nachbarn nicht die Polizei rufen. Die Pubertäterin ist laut und unberechenbar, wenn sie nicht gerade wie ein Wombat schläft oder isst – was sie zum Glück oft tut.

Die Geschichten, die ich – Journalistin, 41, aus Wien, verheiratet mit Olaf, 46 – hier erzähle, handeln natürlich nicht von der Pubertäterin in meiner Familie. Nein. Sie entspringen meiner blühenden Fantasie oder stammen aus anderen Familien. Dort geht es nämlich arg zu – in den anderen Familien ...

"Wieso liest du nichts", fragte ich sie neulich, als ich sie am helllichten Tag beim Dösen in ihrer Schlafnische überraschte. "Später", grunzte sie und hängte noch ein "vielleicht" hinten an, was soviel bedeutete wie "sicher heute nicht mehr."

Ich stand noch eine Weile am Fuße des Bettes und betrachtete das große schlafende Kind, in der Hoffnung, es würde mir noch etwa zum Thema Lesen sagen wollen. Leise Schnarchlaute rasselten aus ihrem Mund, und ich sah ein, dass es sinnlos war.

Später kam sie zu mir in die Küche, um mir mitzuteilen, dass sie sich jetzt die Haare waschen werde. "Wann liest du mal wieder etwas?", fragte ich erneut. "Wie meinst du das?", fragte sie zurück. "Ein Buch", sagte ich, "so ein Ding aus Papier mit Seiten und Buchstaben. Wir haben ganz viele davon. Im Arbeitszimmer gibt es eine ganze Wand voller Bücher." Die Wombi verdrehte die Augen. "Karl Lagerfeld hatte 300.000 Bücher ", sagte sie, "das habe ich in der 'Gala' GELESEN."

"Ja, Karl Lagerfeld war ein sehr gebildeter Mann", sagte ich, "Und weißt du auch, warum?" Die Wombi wusste über Herrn Lagerfeld zu berichten, dass er sich alles selbst beigebracht hatte und nie auf einer Universität gewesen war. "Hast du das auch aus der 'Gala'", fragte ich. Die Wombi zuckte die Achseln, als täte das nichts zur Sache. Ich nahm den Faden wieder auf: "Herr Lagerfeld hat jedes Buch, das er besessen hat, auch gelesen."

"Glaubst du das wirklich?", fragte die Wombi, "das stand aber nicht in der 'Gala'." Sie zog ihr Smartphone aus der Tasche und rechnete aus, dass Karl Lagerfeld in 80 Jahren (mit fünf lernte er lesen) höchstens 4200 Bücher gelesen haben konnte, wenn man davon ausgeht, dass er pro Woche eines gelesen hatte. "Man kann auch mehr als ein Buch in der Woche lesen", sagte ich, "wenn man keine Kinder, keinen Mann, keine Hunde und keinen Haushalt an der Backe hat, schafft man hunderte – nein: tausende – Bücher in kürzester Zeit." Die Wombi sah mich mit einem "Armer schwarzer Kater"-Blick an.

"Ich bin nicht Karl Lagerfeld", sagte sie, "ich werde nicht 300.000 Bücher lesen."  So, das war einmal klar ausgesprochen. Die Wombi wird nicht der nächste Karl Lagerfeld - obwohl ich prinzipiell nichts dagegen gehabt hätte. Allein schon wegen der Chanel-Taschen.

Mamas Roman gilt nicht

"Gut", sagte ich, "lassen wir Karl einmal bei Seite. Es würde dir gut tun, deine Nase in echte Literatur zu stecken." Die Wombi konterte, dass sie den von mir verfassten Roman bis zu Ende gelesen habe und ihn "ganz okay" fand. "Das gilt nicht", sagte ich. "Ich rede von Hermann Hesse oder Thomas Mann oder Oscar Wilde. Bücher, die zu einer Erkenntnis führen, die sprachlich brillant sind, die zeitlos sind wie Musik von Mozart oder Beethoven."  

Inzwischen war der Olaf nach Hause gekommen und schmetterte "Nicht zu vergessen: Italo Calvino" in die Küche. "Ich habe am Ende von 'Der Baron auf den Bäumen' geweint, weil ich so traurig war, dass es keine Fortsetzung gab", sagte der Olaf. "Mir ging es so beim 'Bildnis des Dorian Gray'", sagte ich. Wir sahen uns verliebt an und fühlten uns verbunden. Bis die Wombi anmerkte, dass wir "halt 'Harry Potter' hätten lesen sollen. Da gibt es sieben Bände."

"Lies Oscar Wilde", sagte ich.

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"Ich sage es jetzt zum allerallerletzten Mal! Storys aus dem fast perfekten Alltag einer Mutter", von Christiane Tauzher, Goldegg Verlag, 14,95 Euro

"Fang mit Italo Calvino an", sagte der Olaf. Wir standen da wie zwei Marktschreier, die ihre Tonkrüge anbringen wollten. "Hermann Hesse ist auch packend", sagte ich. "Ich will nicht gepackt werden", antwortete die Wombi. Als wir ihr die Bücher vorlegten, blätterte sie gelangweilt darin herum und stellte fest, "dass die Schrift urklein" sei. "Deine Augen sind noch jung", sagte der Olaf, "daran wird es wohl nicht scheitern."

"Ich nehme den Oscar Wilde", sagte sie, nachdem sie die Seitenzahl verglichen hatte. "Gute Wahl", sagte ich. Der Olaf nahm den "Baron auf den Bäumen", zärtlich und behutsam wie ein weggelegtes Kind. "Fang heute gleich an", rief ich der Wombi nach, die mit dem Oscar Wilde den Schauplatz verließ, "und bleib dran. Man muss sich erst an die Sprache gewöhnen." "Ja", antwortete sie entnervt, "ich habe es verstanden" und war schon fast um die Ecke. "Karl Lagerfeld", rief ich ihr nach, "hat seine Mutter übrigens verehrt wie eine Heilige."

Da blieb die Wombi stehen, drehte den Kopf in meine Richtung und lächelte: "Du solltest nicht alles glauben, was in der 'Gala' steht."

P.S.: Gelesene Seiten seit Buchübergabe vor zwei Wochen: acht.

Olaf: "Ich habe es ja gleich gesagt: Sie hätte mit dem 'Baron auf den Bäumen' beginnen sollen."

Ich: "Tja, jetzt ist es dafür zu spät."

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