Wenn die Wombi auf Krawall gebürstet ist, hilft nur Ohropax. Besser gesagt, es würde helfen, hätte man Zeit die Stöpsel einzusetzen, bevor es los geht. Hat man aber nicht. Das Ohropax liegt bei uns irgendwo zwischen Pflastern, Bepanthen, Desinfektionsspray, Anti-Mückenstich-Stift und Aspirin vergraben, und es würde einer längeren Suche bedürfen, um es aufzuspüren. Oft schon habe ich mir vorgenommen, es für Ernstfälle neben den Salzstreuer zu legen. Genauso oft wie ich im Winter vorhatte, einen Eisschaber zu kaufen, um nicht immer mit der CD-Hülle die Scheiben freikratzen zu müssen. Weder Ohropax, noch Eisschaber haben es dorthin geschafft, wo sie das Leben erleichtert hätten.
Erst neulich starrte ich mit Wehmut auf den Salzstreuer, an dessen rechter Seite ein hübsches Plätzchen für zwei kleine Ohrstöpsel gewesen wäre. Seufzend schloss ich den Küchenschrank. Die Wombi war schon voll in Fahrt. Es begann damit, dass sie ankündigte, eine neue Frisur haben zu wollen. "Du warst doch erst vor ein paar Wochen Spitzen schneiden", gab ich zu bedenken. "Eben", sagte die Wombi, "ich rede ja auch nicht vom Spitzenschneiden, sondern von einer Frisur. Das ist etwas ganz anderes." Wombis Haare ähneln einer Mähne. Herrliches, kräftiges, glänzendes, gelocktes Haar, das wie eine dunkelblonde Feuerkrone um ihren Kopf lodert und bei jedem Schritt mitwippt. Das einzige, was diese Art von Haarstruktur nicht verträgt, ist eine Frisur, für die eine Schere von Nöten ist. Zopf, ja. Pferdeschwanz, ja. Hochgesteckt, ja. Stufenschnitt, nein. Kurzhaarschnitt, nein. Undercut, NEIIIIIIIIIN.
"Und was hast du dir für eine Frisur vorgestellt?", fragte ich vorsichtig. Es entstand eine kleine Pause, wie bei einer Opernsängerin, die sich sammelt, bevor sie das hohe C ausstößt. "Lass dich überraschen", schmetterte sie mir entgegen, "du wirst staunen. So etwas hast du überhaupt noch nie gesehen." Die Wombi kannte mich gut genug, um zu wissen, dass ich nicht so antworten würde: "Hey, voll cool, bin echt gespannt" und auch nicht so: "Boah, das klingt ja interessant. Ich bin schon total neugierig." Sondern so: "Was soll das heißen? Was habe ich noch nie gesehen? Was hast du vor?"
"Meine Haare gehen dich gar nichts an"
Lächelnd lehnte sich die Wombi in ihrem Stuhl zurück und sagte "Entspanne dich. Es sind meine Haare. Die gehen dich gar nichts an." Sie hatte keine Ahnung, wie sehr sie sich irrte. Ich hielt einen langen und lauten Vortrag über schlechte Frisuren, schwenkte dann über zu unangemessener Kleidung und landete schließlich bei Tätowierungen und Piercings.
"Ich will mich nicht tätowieren lassen - also jetzt noch nicht - ich will nur eine neue Frisur", sagte die Wombi lässig und blies mir eine Kaugummiblase entgegen. "WAS SOLL DAS FÜR EINE FRISUR SEIN?", fragte ich in einer Lautstärke, die darauf schließen lassen hätte können, dass ich doch das Ohropax eingesetzt hatte. "Ich bin nicht verpflichtet dir das zu sagen", antwortete die Wombi. Ich spürte, wie sich Schaum vor meinem Mund bildete. "Welche Frisur?", stieß ich kurzatmig hervor. Seufzend rang die Wombi die Hände und gab sich theatralisch geschlagen. Dann wischte sie auf ihrem Smartphone herum und hielt mir ein Foto eines bis zur Hälfte geschorenen Hinterkopfs entgegen, von dem sich keltische Muster abhoben, die zusätzlich einrasiert worden waren. Ich konnte mich nicht bewegen. Die Wombi versicherte mir, dass man "eh nichts davon sehen würde", weil die anderen Haare "eh die kahle gemusterte Stelle überdecken würde." Ich verstand nicht, warum man sich so eine Scheußlichkeit antun sollte, wenn man sie dann eh nicht herzeigen würde. "Ich weiß", sagte die Wombi, "du bist viel zu konservativ, um so etwas cool zu finden. Du wärst für so eine Frisur viel zu feige."
"Stimmt nicht", sagte ich, "wenn jemand deinen Bruder und dich bedrohen würde und ich euch nur retten könnte, wenn ich mir den halben Hinterkopf rasiere, würde ich es tun." Wortlos nahm die Wombi ihr Smartphone und ging ab.
Abends erzählte mir der Olaf, dass die Wombi ihn gefragt habe, ob er am Donnerstag mit ihr zum Friseur gehe. Dass er aber leider keine Zeit unter der Woche habe und dass sie deshalb alleine gehen müsse. Er lade sie dafür auf den Friseurbesuch ein, weil sie so traurig gewesen sei, dass er nicht mitkomme. Luder!
"Lass sie", sagte meine beste Freundin abends am Telefon, "ich war auch so blöd in dem Alter. Und ich habe sehr unter den grünen Haaren gelitten, die ich mir eingebildet hatte."
Seither warte ich. Die Ohropax liegen jetzt auf jeden Fall neben dem Salzstreuer und morgen besorge ich mir im Kostümladen noch zwei Augenklappen. Zur Sicherheit.