Deutschland hat die Schwindsucht. Heute gibt es rund 82 Millionen Bundesbürger. Im Jahr 2050 dürften es voraussichtlich nur noch 75 Millionen sein. Und sie werden zugleich immer älter. Die über 80-Jährigen werden dann zwölf Prozent der Bevölkerung ausmachen. Heute sind es vier Prozent. Deutschland - ein Häuflein kinderloser Greise? Diese beklemmende Tatsache und mögliche Folgen treffen zunehmend auch den Immobilienmarkt.
Was ist Wohnraum in einigen Jahren noch wert? Muss künftig alles altengerecht sein, um dafür noch Abnehmer zu finden? Ist man mit dem Häuschen oder der Eigentumswohnung auf Gedeih und Verderb bis ans Lebensende an einen Ort gebunden - schon allein mangels späterer Kaufinteressenten? Solche Fragen sind neu. Bislang zählte die eigene Immobilie zur beliebtesten Altersvorsorge der Deutschen. Ein Lebenstraum vieler Menschen, ein Wert schlechthin. Die Bundesbank schätzt, dass heute annähernd vier Billionen Euro in Wohnimmobilien angelegt sind - rund die Hälfte des privaten Gesamtvermögens der Bundesrepublik. Alles auf Sand gebaut? Alles vom Wertverfall bedroht? Wohl nicht ganz.
Axel Börsch-Supan, Bevölkerungswissenschaftler an der Universität Mannheim, hält weitgehend stabile Wohnimmobilienwerte bis ins Jahr 2030 für das "wahrscheinlichste Szenario". Im Durchschnitt also plus/minus null. Die Illusion großer Wertsteigerung von Wohnimmobilien nimmt er damit. Im schlimmsten Fall errechnet der Ökonomieprofessor sogar durchschnittliche Minderungen der heutigen Werte von rund fünf Prozent. Das klingt trotzdem noch verschmerzbar. Auch, weil Börsch-Supan bis zum Jahr 2020 von steigenden Preisen ausgeht für gute und sehr gute Lagen in Wachstumsregionen. Denn der definitiv schrumpfenden und alternden Bevölkerung stehen Trends entgegen wie die wachsende Zahl der Single-Haushalte und der zunehmende Flächenanspruch pro Kopf. Effekte, die nicht zu unterschätzen sind. "Ich rechne bis 2012 mit einer Verdoppelung der durchschnittlichen Wohnfläche pro Kopf: von jetzt 40 auf 80 Quadratmeter", sagt Peter Hettenbach, Chef des Instituts für Innovatives Bauen (IIB) im badischen Plankstadt.
Mittelfristig bleibt hochwertiger Wohnraum also gefragt. Und die Marktsituation für Investoren ist nicht allzu schlecht. In Deutschland hat sich - im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern - keine erkennbare Preisblase am Wohnimmobilienmarkt gebildet. Im Gegenteil: In vielen Regionen sind die Preise in den vergangenen Jahren gesunken, in Spitzenlagen allenfalls konstant geblieben. Folgerichtig ist die Neubautätigkeit zurückgegangen - tendenziell gut für den Wert bereits gebauter Häuser. Prognosen von Forschern wie Börsch-Supan und Hettenbach decken sich mit Ergebnissen einer Umfrage des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim. Die 247 im Auftrag des Allianz-Konzerns befragten Finanzmarktexperten rechnen in den nächsten 15 Jahren mit einer leicht steigenden Nachfrage nach selbst genutztem Wohneigentum. Neben dem Single- und Mehr-Fläche-Trend stützt auch die Umwälzung der Altersvorsorge den heimischen Wohnimmobilienmarkt. Nach Aktienkrise und Zinstalfahrt steht das Eigenheim zur privaten Vorsorge bei den Bundesbürgern weiter hoch im Kurs. Dabei besteht Nachholbedarf: Die Wohneigentumsquote rangiert mit 43 Prozent im europäischen Vergleich weit abgeschlagen. Für zusätzlichen Rückenwind soll künftig sogar die neue Hartz-IV-Gesetzgebung sorgen. Da selbst genutztes Wohneigentum auch im Fall längerer Arbeitslosigkeit weitestgehend vor der Zwangsauflösung geschützt sein wird, erwarten Immobilien-Lobbyisten "steigende Nachfrage". Von völliger Entwarnung für den Wohnungsimmobilienmarkt kann trotzdem keine Rede sein.
Die ZEW-Studie offenbart auch die Kehrseiten: So glauben die befragten Fachleute, dass vermietete Immobilien als Altersvorsorge an Bedeutung verlieren. Auch für diese Vorhersage gibt es schlüssige Argumente. Wohnimmobilien als reine Kapitalanlage werden zusehends unattraktiver: Weil die Steuervorteile schwinden, weil der Wertzuwachs mager ist und das Mietrecht kompliziert. Zudem diskutieren Politiker immer häufiger, Mieteinnahmen bei der Bemessung staatlicher Leistungen anzurechnen. Aktuell fordert die Grüne Christine Scheel, Vorsitzende des Finanzausschusses im Bundestag, weitere Kürzungen von Immobilien-Steuerabschreibungen. Ob sich Vermieten noch lohnt, wird eine immer kniffligere Rechnung. Aber auch für die Wertbeständigkeit selbst genutzter Immobilien zeigen Experten Grenzen auf. "Bauten auf der grünen Wiese haben keine Zukunft. In strukturschwächeren Regionen schon gar nicht", sagt Peter Hettenbach. Der Trend bewege sich schon heute wieder in Richtung Stadtlagen. Und hin zu Ballungsräumen mit guten wirtschaftlichen Perspektiven - also tendenziell weg aus dem Osten und Teilen des Nordens, ab nach Süden und in manche Gebiete des Westens. "Wohnraum bleibt nur dort wertvoll, wo es Menschen gibt, die ihn bezahlen wollen und können. Also exakt dort, wo es nachhaltig Jobs gibt", sagt Thomas Beyerle, Chefanalyst der Allianz-Dresdner-Immobiliengruppe. Das Fatale daran: Je mehr sich dies in den Köpfen von Bau- und Kaufinteressenten festsetzt, umso mehr verstärkt sich der Trend. Längst ist unter Marktkennern von "Verödung" ganzer Landstriche die Rede.
Mittlerweile fallen die Preise sogar in den vor einigen Jahren noch hochgepriesenen "Speckgürteln" mancher Großstädte. Hauptgrund: Immer weniger Arbeitnehmer scheinen bereit, täglich 30 Kilometer und mehr bis in die Großstadt zurückzulegen. Außerdem beklagen sie mangelnde Vielfalt von Erziehungs- und Schulstätten. Der Abstieg der Randlagen hat auch mit der demografischen Entwicklung zu tun: Ungenügende Verkehrsanbindungen, gepaart mit lieb- und leblosen Einkaufs- und Freizeitangeboten aus der Retorte, äußerst bescheidene, vielerorts gar fehlende Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen. All das, was in einer alternden Gesellschaft den Wert von Immobilien mehr denn je bestimmen wird, wird zum Problem der Wiesen-Standorte. Wo also investieren? "Stadt-Reihenhäuser, wie wir sie in Deutschland bislang nur wenig haben, könnten ein Mega-Markt der Zukunft sein", sagt Peter Hettenbach. Auch großzügig angelegte, seniorengerechte Wohnungen in Citylagen hätten Zukunft, so der Trendanalyst. Joachim Schmidt, Präsident des Deutschen Immobilienverwalter-Dachverbandes, hält es für möglich, dass demnächst sogar leer stehende Büroflächen in Großstädten zu Alten-Appartements umfunktioniert werden. "Mit Freunden in eine große Stadt-Wohnung ziehen, sich selbst versorgen und dabei nicht allein sein", so Schmidt über den Reiz von Senioren-WGs.
Wo wollen Sie leben?
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Grundsätzlich gilt: Mehr denn je wird die wirtschaftliche Perspektive einer Region die Güteklasse einer Wohnimmobilienlage bestimmen. Und neben der Lagebeurteilung wird verstärkt der Gedanke an finanzkräftige Senioren als spätere Mieter oder Käufer hinzukommen. Sparen kann sich all diese Kalkulationen nur derjenige, der (tod)sicher auf seiner "Scholle kleben" bleiben oder sie vererben will. Demografisch bedingte Immobilien-Schnäppchen wird es indes auf dem "platten Land" geben: für Aussteiger oder die wenigen, die es sich leisten können - etwa fürs Wochenende.