Nachbarschaftsstreit Auch Ärger mit den Nachbarn?

Musik zu laut, Müll nicht sortiert, zu viel Besuch - Streitschlichter Heinz Winkler über den täglichen Wahnsinn im Treppenhaus.

Herr Winkler, was sorgt für Ärger zwischen Nachbarn?

Oft sind die Gründe banal. Am häufigsten geht es um Lärm: Wenn jemand bei mir über "Rumsmusik" klagt, dann weiß ich schon, das ist ein Konflikt zwischen Alt und Jung, und der Ältere mag die Beats nicht. Über Oper oder Walzer hat sich jedenfalls noch niemand beschwert. Oft werden solche Konflikte jahrelang totgeschwiegen, bis doch jemand explodiert. Das geschieht meistens am Mülleimer, dort trifft man sich, der eine regt sich auf, weil der andere die Gläser schon wieder falsch sortiert, ein Wort gibt das andere. Als Schlichter muss man dann wühlen, um an die wahren Ursachen für Konflikte zu kommen. Es gab mal einen Streit zwischen zwei Witwern, da hatte der eine Nachbar den anderen jahrelang bei der Grabpflege beobachtet und war überzeugt, dass der das ganz falsch macht.

Was ist, wenn ein Nachbar den Hausflur grässlich dekoriert?

Schlechter Geschmack ist kein Straftatbestand. Es sei denn, es kommt Beleidigung hinzu wie im berühmten Gartenzwerg-Fall: Da hatte ein Mann seine selbst gemachten Gartenzwerge so gestaltet, dass sie seinem Nachbarn ähnlich sahen. Diese Zwerge hat er dann mit offener Hose oder nacktem Hintern aufgestellt. Die Zwerge mussten weg.

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Bei der Suche nach Schlichtern hilft die örtliche Gemeindeverwaltung. Recherchieren kann man auch auf den Webseiten des Schiedsamts

Kommen mehr ältere Leute zu Ihnen?

Nein, es sind auch junge dabei, die cool und locker aussehen, aber einiges dann doch nicht so locker sehen. Ich hatte einen Fall in einer WG, da beschuldigte der eine den anderen, er würde ständig seine Post lesen. Sein Mitbewohner hat das abgestritten - aber er wusste Dinge, die er nur aus den Briefen haben konnte.

Mit einem bloßen Vorwurf kann keiner zu Ihnen kommen?

Nein, Sie brauchen Beweise. Manche Leute legen sich auf die Lauer, um den Hausbewohner, der immer die Zeitung klaut oder die Luft aus dem Fahrrad lässt, auf frischer Tat zu ertappen. Andere fotografieren den Hausflur, um zu beweisen, dass der Nachbar, der mit Putzen an der Reihe war, keinen Finger gerührt hat. Am besten ist es, wenn Sie Zeugen haben, gerade bei Beschimpfungen oder Ohrfeigen ist das wichtig.

Wie versöhnen Sie verfeindete Nachbarn?

Ich lade sie in mein Wohnzimmer ein, auf neutralen Boden. Und ich versuche, beide Parteien zu beruhigen und ihnen zu erklären, dass nicht jeder, der sich angegriffen fühlt, automatisch im Recht ist. Jede Gemeinsamkeit zwischen beiden notiere ich, um daraus später einen Kompromiss zu basteln. Dann gibt es einen Satz, der fast immer wirkt: "Wollen Sie das denn unbedingt vor Gericht austragen?" Wenn es zur Anklage kommt, kann ja einer von beiden hinterher vorbestraft sein. Außerdem kostet eine Schlichtung nur um die 30 Euro, aber ein Prozess kann teuer werden.

Um wie viel geht es denn da so?

Einer war mal bei mir, der wollte 2500 Euro Schmerzensgeld für eine Ohrfeige. Der andere hat da nur gelacht - für so viel Geld hätte er ja noch ganz anders zuschlagen können. Ich habe den Antragsteller dann auf 200 Euro runtergehandelt. In einem anderen Fall wollte jemand, der von seinem Nachbarn beleidigt worden war, dass der Pöbler seine Entschuldigung öffentlich aushängt - schließlich hätten auch andere im Haus die Demütigung mitbekommen. Wir haben einen Vergleich formuliert, beide haben ihn unterschrieben, später hing die Entschuldigung im Hausflur.

Und wenn die Schlichtung scheitert?

Dann bekommt der Kläger eine "Sühnebescheinigung" von mir und kann vor Gericht Privatklage erheben. Das passiert in knapp der Hälfte der Fälle.

Hat sich Ihr Menschenbild verändert, seit Sie als Schlichter arbeiten?

Nein. Ich bin durch die Arbeit als Schlichter eher verständnisvoller geworden: Wenn ich jetzt in meiner Wohnung The Doors oder Deep Purple auflege, muss es nicht immer ganz so laut sein - schließlich weiß ich, wie sehr manche Menschen unter dieser Musik leiden.

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Interview: Nikola Sellmair

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