Biografie einer Liebe The Ballad of John & Yoko

Er hatte es ja gleich gewusst: "They're gonna cruzify me", sang er in seiner Ballade von John und Yoko. Nachdem sie sich gefunden hatten, ernteten sie zunächst Hass, Hohn und Spott. Dem setzten sie ihre große Liebe entgegen.

Liebe ist nämlich nur ein Wort. Einen Zettel reichte sie ihm und darauf stand: "Atme." Er folgte und hechelte. Sie reichte ihm noch einen: "Denke." Er war verwirrt. War das Kunst, oder verarschte ihn da jemand? Er erreichte, scharf beobachtet, das begehbare Kunstwerk "Deckengemälde". Ein weiß gestrichener Raum war es, eine Leiter stand darin, Luft, weiter nichts. Von der Decke baumelte eine Lupe, und als er die Leiter emporstieg, konnte er durch diese Lupe eine winzige Schrift an der Decke entziffern. Es war nur ein Wort, es hieß: "Ja".

Er war begeistert.

Es musste Liebe, es konnte aber auch das Schicksal sein.

Der

Musiker John Lennon hatte drei Tage nicht geschlafen und sich ansonsten von einer wohl abgewogenen Diät aus Marihuana und LSD ernährt, als er am 7. November 1966 abends in der Indica Gallery in London ankam und sich durch die Auslagen einer japanischen Schaustellerin führen ließ. Es gab noch mehr zu sehen: einen Apfel zum Beispiel, dem man beim Verfaulen zusehen konnte. Auch der Heimwerker im Galerienbesucher war angesprochen: Für fünf Schilling durfte man einen imaginären Nagel in die Wand hauen. "Ich verstand sofort den Witz bei der Sache" , erklärte Lennon später. Er bot Yoko Ono fünf imaginäre Schilling, um den imaginären Nagel in die Wand hauen zu dürfen. Kunst oder nicht: Die Frau Konzeptkünstlerin erlaubte sich immerhin die Andeutung eines Lächelns.

London war Mitte der 60er die unbestrittene Pop-Hauptstadt, sodass der internationalen Kunst-Avantgarde gar nichts anderes übrig blieb, als ihrerseits nach London zu gravitieren. Allen Ginsberg trat auf einem Lyrikfestival auf, zog sich für den Fotografen nackt aus, las, feierte, sang. Im September 1966 traf sich die New Yorker Fluxus-bewegung ebenfalls in London, feierte eins der beliebten "Destruction in Art"-Festivals und lud neben bewährten Zerstörungskräften wie Otto Mühl und Wolf Vostell auch noch diese japanische Künstlerin ein, die in New York angeblich mit John Cage zusammengearbeitet hatte.

Später

hat Lennon dieses Zusammentreffen angemessen literarisiert: zwei Künstler, die sich gesucht und gefunden haben, sich gegenseitig erkennen und befruchten. Andererseits brauchten sie einander, sie waren - wer wollte es bestreiten? - füreinander bestimmt. "Man muss sich zwei Wagen desselben Fabrikats vorstellen, die aufeinander zurasen und frontal aufeinander prallen werden. Es ist wie eine dieser Filmszenen - sie fahren mit hundert Meilen in der Stunde, beide treten die Bremse durch, und im letzten Moment kommen sie zum Stehen, wenn sich die Stoßstangen schon fast, aber noch nicht ganz berühren. So war es vom ersten Moment an."

Das stimmt natürlich nicht.

Angeblich

wusste Yoko Ono gar nicht, wer der unbedingt amüsierwillige Kunstliebhaber war. Im Auftrag ihres Mannes hatte sie es auf einen potenten Mäzen abgesehen, und der berühmte Beatle kam gerade recht. Zuvor hatte sie es bei McCartney versucht und war abgeblitzt. Sie bombardierte den zwar interessierten, aber zunächst noch sehr mit sich beschäftigten Lennon mit Briefen und Postkarten, schickte ihm ein Buch, das er vor dem Einschlafen brav im Ehebett las, wartete halbe Tage lang vor seinem Haus, drängte sich in sein Auto, hoffte, flehte, bettelte. Dazwischen vergaß sie nicht die Kunst. Packte eine Studentin in einen Kleidersack und ließ sie gegen Entgelt mit ihrer Schere Fetzen für Fetzen freischneiden. Saß gefesselt und ganz in Weiß auf einem Stuhl auf der Bühne und kreischte sich fürs Publikum so lange die Seele aus dem Leib, bis die Polizei kam.

Und

John Lennon, das andere rasende Auto? Im Sommer 1966 waren die Beatles populärer als Jesus. Jedenfalls hatte Lennon das großmäulig verkündet. Als sich die frohe Botschaft in den USA herumsprach, wurden Beatles-Puppen und -Poster verbrannt, und ein Bulldozer überfuhr die Plattensammlungen herbeigekarrter Teenager. Schnell musste sich der Manager Brian Epstein entschuldigen, und die Beatles gingen ein letztes Mal auf Tournee. Wie in den anstrengenden Jahren zuvor spielten sie in vollen Stadien, wurden frenetisch gefeiert, aber die Hysterie war kaum mehr zu kontrollieren, und, noch schlimmer: Es machte keinen Spaß mehr. Lennon versuchte sich als Schauspieler und nahm immer mehr Drogen. Er kam nach Hause und sollte plötzlich etwas sein, was er nie gelernt hatte: der Ehemann.

Cynthia

Lennon stand eines Abends tapfer an der Spüle, als der Heimkehrer sie von hinten umfing und der Ahnungslosen gestand: "Es hat Hunderte von anderen Frauen gegeben." Ehefrauen verstehen das. Noch aber waren sie zusammen, und fuhren 1968 sogar noch gemeinsam nach Indien, um sich beim Maharishi etwas Erleuchtung zu erbeten. (Es war eine fromme Zeit, damals, Ende der 60er.) Dabei hatte der ausgelaugte Ehemann das Licht längst gesehen. In Zukunft würde ihm Yoko heimleuchten, und die übrige Welt sollte es sehen, hören und büßen.

Yoko Ono wurde 1933 in eine ziemlich aristokratische japanische Familie hineingeboren. Ihr Vater hatte eine Laufbahn als Pianist aufgeben und Bankier werden müssen. Die Tochter heiratete, ließ sich scheiden, heiratete erneut, bekam ein Kind und begriff sich fortan als Künstlerin. Das hatte seinen Preis. Bei aller Liebe konnte es selbst Lennon nicht schöner sagen: "Für Yoko waren Männer nur Assistenten." Yoko Ono, John Lennons neue Frau, zerstörte nicht bloß eine, sondern gleich zwei Ehen, und nach landläufiger Überlieferung gleich auch noch die Beatles. Eine schönere Hassfigur kann man sich kaum zusammenträumen: eine Frau, natürlich, Ausländerin dazu, rabenschwarze Haare, eine Hexe. Geholfen hat sie den Beatles mit ihren stimmlichen Dreingaben bestimmt nicht, aber schließlich kann auch Madonna nicht singen. Allerdings wollte Yoko nie der Popstar sein, sondern nur immer Künstlerin oder vielmehr Kunstdarstellerin.

Liebe

ist schon für normale Menschen eine Kunst. Die beiden wollten aber noch mehr, machten aus der Not eine Tugend und erhoben ihre Liebe zum Kunstwerk. Jeder sollte sehen, dass sie glücklich waren, selbstbestimmt, frei. Die ganze Welt sollte an ihrem Glück teilhaben. Die Karte, die sie allen schickten, war "Unfinished Music No. 1 - Two Virgins", eine Platte mit selbst gemachten Geräuschen, weniger Liebesgeflüster oder so was, sondern reine Avantgarde. Vorn und hinten standen die beiden nackert herum, mit Selbstauslöser fotografiert, Kunst eben. Die Popkolumnistin Julie Burchill, der noch immer der richtige Kommentar einfiel, fiel darauf jedenfalls nicht herein: "Neben Altamont war der Anblick der nackten Ono-Lennons auf dem Cover ihres gemeinsamen Albums das grausigste Schauspiel der 60er." Der Mann von der Plattenfirma dachte praktischer und fragte: Hätte man nicht Paul nehmen können, den Hübscheren? Der Mann hatte Recht, die Platte verkaufte sich nicht. Aber das war doch Concept-Art, Dummerchen, und zog sich nicht auch Allen Ginsberg bei jeder Gelegenheit aus und zeigte seinen wildumwucherten Schniedel?

Die

beiden Jungfrauen ließen nicht locker. Ein Kunstwerk muss unters Volk, muss ausgestellt und begafft werden. Yoko Ono, die schwarze Hexe, ist ein dämonischer Blickfang. Bei den Filmaufnahmen zu "Let It Be" sitzt sie stumm und ergeben im Studio, macht keinen Mucks, starrt ins Leere, aber der arme mutterlose John Lennon scheint nicht mehr ohne sie sein zu können. Mochten die Fans murren, Lennon trotzte. Er versteckte seine neue Liebe nicht, sondern nahm sie überall mit hin, folgte ihr bis aufs Klo. Er verließ seine Ehefrau Cynthia, verließ seinen erst fünf Jahre alten Sohn Julian und zog mit der Japanerin zusammen. Waren sie nicht Heilige und größer als Jesus?

Die

Zeit war auch so, sie förderte den Exhibitionismus und fühlte sich noch gut dabei. Peinlich ist das einzig richtige Wort für diese Auftritte, aber die beiden komischen Heiligen waren unbedingt auf der Höhe der neuesten Mode: Das Private war nicht nur öffentlich zu machen, sondern Politik. Also pflanzten sie in Coventry Eichenschößlinge; plakatierten in den westlichen Hauptstädten, dass der Krieg vorbei sei, wenn man es nur wollte; heirateten in Gibraltar; legten sich in Amsterdam eine Woche lang ganz in Weiß ins weiße Hotelbett; pflanzten dann Ahorn an; ließen sich für den Frieden (oder doch die Kunst?) die Haare schneiden; legten sich zusammen ins Krankenhaus, weil Yoko schwanger war; nahmen die Herztöne des noch Ungeborenen auf, das dann vor der Zeit starb; und nahmen in einem weiteren Hotelzimmer mit Freunden das immer noch gern gespielte Schunkellied "Give Peace A Chance" auf. Manchmal (gnädig selten) hört man die hohe Stimme Yokos durch, fremd, wie von einem ganz anderen Stern, fräst sie sich hinein. "Just a boy and a little girl/Trying to change the whole wide world", sang der selige Lennon.

Aber

es stimmt ja, diesen Trubel hält kein Mensch aus, nicht mal der Kunstenthusiast John Winston Lennon, der sich in "John Ono Lennon" hat umtaufen lassen. Sogar Popmusik, die unschuldige, müllige, nichtssagende, die gute, schöne, reine Popmusik musste plötzlich etwas bedeuten. Pop und Kunst vertrugen sich noch nie, wie sollten es ausgerechnet diese Eheleute können?

Als

Paul McCartney im April 1970 die Trennung der Beatles bekannt gab, bedurfte es keiner Männer verschlingenden Yoko-Japanerin; der Bruch war längst vollzogen. Die Bandmitglieder drehten getrennt voneinander Filme, nahmen eigene Platten auf und begannen gegeneinander um Manager und Tantiemen zu prozessieren. John Lennon gelang die Ablösung mit der Urschrei-Therapie des kalifornischen Psychologen Arthur Janov. Zumindest half ihm die Behandlung als Kur gegen die immer heftiger werdende Heroinsucht. Goodbye Heroin und LSD, hello Kräutertee!

Die Sitzungen müssen schmerzhaft gewesen sein: "Ich hatte mich gegen meine Gefühle gewehrt. Wenn sie doch hochkommen, bricht man in Tränen aus." Lennon schrieb anschließend einige seiner besten Lieder. "Mother" zum Beispiel, über seine Mutter, die ihn auf die Welt brachte, die er aber nie haben durfte. Julia reichte ihn zur Pflege an ihre Schwester Mimi weiter, und als sich Sohn und Mutter endlich wieder anzunähern begannen, wurde Julia von einem Auto totgefahren. Sein Vater verließ ihn, "aber ich hab dich nie verlassen". Es soll alles anders werden, alles besser. Die Realität hält nämlich ihre ganz kunstlosen Tröstungen bereit, und bis zum Ende seiner Tage nannte John seine Yoko "Mother".

Liebe

gut und schön, aber auf Dauer wird so viel Realität jedem zu viel. Im Oktober 1973 trennen sich John und Yoko in aller Stille. Sechs Monate zuvor war Yokos Aufenthaltserlaubnis in den USA verlängert worden, während sie ihrem Mann zum wiederholten Mal verweigert wurde. "Wir haben gerade unseren vierten Hochzeitstag gefeiert und sind nicht darauf vorbereitet, in getrennten Betten zu schlafen", hatte das Hohe Paar da verlautbaren lassen, aber jetzt war es aus. Schon länger hatten ihn die US-Behörden loswerden wollen. Vorwand war ein Rauschgiftfund in England fünf Jahre zuvor, aber heute ist längst belegt, was Lennon immer wieder behauptet hatte: Er wurde vom FBI überwacht, weil er mit seiner Bekanntheit einen gar zu verderblichen Einfluss auf die amerikanische Jugend ausüben könnte. Die Lennons waren nach New York gezogen und engagierten sich für die IRA und gegen den Vietnamkrieg, interessierten sich für die Watergate-Anhörungen, gaben Geld für die Black Panther und die Abtreibungsbewegung. Sie traten auf der Bühne und im Fernsehen auf, und so kam es endlich, wie es gehen musste, nämlich immer weiter bergab.

Am

Ende war die Liebe dann nicht mehr peinlich, sondern wieder nur ein Wort, nämlich: vorbei. Mutter Yoko Vernünftig schickte ihren großen Jungen auf die Piste. Er durfte sich ein langes Wochenende freinehmen, mit den anderen Jungs rumziehen, saufen und sich ganz, ganz schlecht benehmen. Er war doch immer nur weltberühmt gewesen und konnte nicht mal selbst einkaufen, der Arme. Damit es ihm auch gewiss an nichts fehle, gab sie ihm ihre Assistentin May Pang mit, immerhin Chinesin und allzeit dienstbar. Und so holte John Lennon im fernen Los Angeles eine Jugend nach, die für ihn schon zu Ende gewesen war, als er 1957 auf einem Gemeindefest Paul McCartney kennen lernte. Ein Traum.

Soll

man seine eigene Mutter zur Frau haben? John Lennon hielt es für das Beste. Jedenfalls kam er nach seiner 15-monatigen Jugendfreizeit wieder zur großen Mama zurück. Die Behörden hatten ihn nicht vergessen, aber die Appelle Prominenter halfen, man gewährte ihm endlich den Daueraufenthalt in den USA. Und Yoko? Yoko wurde schwanger. An Lennons 35. Geburtstag wurde ihr gemeinsamer Sohn Sean geboren. Jetzt wollte der Vater sein Leben wirklich ändern.

Musik

interessierte ihn nicht mehr. Jahrelang fasste er seine Gitarre nicht an, schob Paul McCartney, der einmal unangemeldet bei ihm vor der Tür stand, schnell wieder hinaus. Es sollte alles neu werden; sogar die Ehe schlossen John & Yoko noch einmal neu, diesmal, schließlich war Lennon irischer Kelte, als druidische Zeremonie. Yoko wollte sich um die Geschäfte kümmern, er nur Hausmann sein, kochen, backen, braten, den Sohn aufziehen. Zum Glück und wenn man reich ist, gibt's Personal. Ob er sich mehr als andere Väter um sein Kind gekümmert hat, ist zweifelhaft: Nach allem, was Albert Goldman in seiner hasserfüllten Biografie herausgefunden hat, verbrachte Lennon die Tage im Dakota am Central Park eher im Stupor vor dem Fernseher. Vielleicht ging es ihm auch endlich gut.

Yoko

jedenfalls entsagte der Kunst und kümmerte sich um seine Finanzen. Sie kauften sich Häuser und Boote, investierten sogar, reiche Leute sind wohl so, in Zuchtrinder. Für beide lag die Pop- ebenso wie die Konzept-Welt plötzlich Lichtjahre entfernt. Es ist wenig bekannt über diese luxuriöse Eremitage am New Yorker Central Park. John Lennon trank viel Cappuccino, versuchte eine Diät, wurde wohl wieder ein bisschen süchtig, diätierte wieder, lernte segeln. Offensichtlich eine schöne Zeit für alle Beteiligten.

Erst

nach fünf Jahren entstand eine neue Platte, "Double Fantasy", wieder ein Gemeinschaftswerk, konventioneller als früher, gereift und (unvorstellbar für den früheren John Lennon) glücklich: "I'm just sitting here watching the wheels go round and round." Warum auch nicht: Sollten sich die anderen um ein anderes Leben bemühen, er war zufrieden mit seinem und vor allem mit sich. Die Beatles lagen hinter ihm, der alte Ruhm, die hektischen Performances mit Yoko in allen Kontinenten.

Blieben die Fans, die so konservativ sind, die ihr Idol irgendwann nicht mehr wiedererkennen. Wahrscheinlich wurde selten jemand so geliebt wie die Beatles und von diesen keiner so angehimmelt wie der ewig launische, der unberechenbare John Lennon. Einer dieser Fans wollte ihm nichts durchgehen lassen, konnte nicht verstehen, was der Star alles anstellte. In seinem unendlichen Hass auf den Star hatte er alles versucht, sogar die Imitatio: Mark David Chapman heiratete eine Halbjapanerin, die ein paar Jahre älter war als er, trug sich im Hotel als "John Lennon" ein und erschoss schließlich am 8. Dezember 1980 sein gefallenes Idol, um es nicht mehr verehren zu müssen.

Yoko

Ono war jetzt nicht mehr die rabenschwarze Hexe, sondern die Witwe, die die Welt um den Frieden bat, der ihrem Mann nicht gegönnt wurde. Doch einmal Kunst bleibt immer Kunst: Die Hinterbliebene, nun ganz und gar im Besitz ihres Mannes, packte die blutbespritzte Brille John Lennons auf das Cover der Platte "Season of Glass", die sie nach seinem Tod herausbrachte.

Ihre

war eine der gewagtesten Symbiosen in der Kunstgeschichte, vergleichbar nur mit Camille Claudel und Auguste Rodin oder Gala und Salvador Dalì. In diesem Fall aber musste die Frau nicht das Opfer sein. Die Verbindung Lennon-Ono war nicht die größte Liebe aller Zeiten, eher eine Zugewinngemeinschaft mit sehr beschränkter Haftung. Aber so ist das mit der Kunst: Wen die Muse küsst, der ist gestraft fürs Leben.

Und

was bleibt von unseren beiden Heiligen? Die Songs natürlich. Zusammen haben John und Yoko Platten aufgenommen, die zu den erhabenen Grässlichkeiten des 20. Jahrhunderts gehören, allerlei Ur-, Brunst- und Kunstgeschrei, ein Heulen wie nicht von dieser Welt, aus einem Sack dringt es, am Fuß eines Mikrofons kauert es, von der Rille wimmert es, schlimmschlimmschlimm! Aber John Lennon hat auch "Oh Yoko!" geschrieben, ein ganz einfaches Lied, einfach wie "In the middle of the night/In the middle of the night I call your name". Oder wenn er mit Paul McCartney oben auf dem Dach in der Savile Row "Two Of Us" singt und nicht den Singbruder meint oder auf der Platte "John Lennon/Plastic Ono Band" das Abschiedslied "Mother". Schließlich, und damals unterschätzt als weiteres Bulletin aus der Konzept- und Krawallfabrik Ono-Lennon: "The Ballad of John and Yoko". Die Ballade, mit McCartney am Schlagzeug aufgenommen, dazu Lennons Ausreißer der Gitarre, schlichter Erzählsound, ein rhythmischer Drei-Minuten-Song ganz wie früher, ehe die Beatles sich der Ernsthaftigkeit er- und der Popmusik den Rest gaben.

Lennon

wusste, wen er haftbar machen konnte, wusste, was zieht, und seufzt in der Ballade, die mit der Veröffentlichung im Mai 1969 keineswegs zu Ende war: "Christ! You know it ain't easy." Und für eine Weile ist es dann doch gut gegangen.

Was

er sich vorstelle für sein Rentenalter, wurde der noch immer wie frisch verliebte John Lennon 1970 gefragt, und der Interviewer konnte es sich nicht verkneifen, auf Paul McCartneys berühmtes Lied anzuspielen, "When I'm sixty-four". Nächstes Jahr wäre John Lennon genau so alt geworden, 64. "Ich hoffe", antwortete der damals 30-jährige Lennon, "wir sind dann ein nettes älteres Ehepaar, wohnen in einem Haus an der irischen Küste oder so und blättern das Skizzenbuch unseres Wahnsinns durch..." Doch, hätte schön sein können.

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