Teil 20 Garantiert schmerzfrei

Süßer Wein gleich dicker Kopf? Dann würde jedes Glas Cola mit Migräne bestraft. Unser Moselwein ist schön fruchtig - und tut bestimmt nicht weh

Nirgendwo auf der Welt fällt Riesling fruchtiger aus als in unseren Breiten. Damit diese Erkenntnis nachhaltig in unsere Geschmackspapillen einsinkt, öffnen wir heute Riesling Nummer drei. Er stammt von der Mosel, unserer schönsten Weinlandschaft, und bringt das Fruchtspiel der wichtigsten Rebsorte Deutschlands herrlich zum Klingen. Die Winzer Klaus und Oliver Jüngling aus Kesten verzichten bei ihrem Riesling Kabinett darauf, den gesamten Traubenzucker des Mostes von der Hefe in Alkohol umwandeln zu lassen. Sie stoppen die Gärung durch Kühlen und Filtern und stabilisieren den Wein schließlich durch eine minimale Zugabe von Schwefel. Ihr Riesling besitzt also ein wenig Restsüße von 19 Gramm unvergorenem Zucker pro Liter. Damit liegt er über der Schwelle von neun Gramm pro Liter, die für trockenen deutschen Wein gilt. Deshalb kennzeichnen die Jünglings ihren Paraderiesling auch als "feinherb". Nicht der Alkohol gibt bei Jünglings Riesling den Ton an, sondern ein perfekt balanciertes Spiel zwischen eleganter Frucht und betörenden Aromen, harmonischer Süße und feiner Säure.

Mit ihrem 2006er bringen die Jünglings beispielhaft ins Glas, was der Riesling an der Mosel zu leisten vermag: ein saftiges Potpourri aus Mirabellenkompott, Zitrusaromen, Frühlingsblüten und weißem Pfirsich. Alle Aromakomponenten ergänzen sich und gehen fließend ineinander über, alles ist weich und duftig wie ein frisch aufgeschütteltes Daunenkissen, in das man sich mit jedem Schluck hineinfallen lassen möchte.

Und die Kopfschmerzen, die einen angeblich nach dem Genuss von restsüßem Wein unweigerlich heimsuchen? Vom Zucker kriegt keiner einen Brummschädel, sonst würde man ja nach jedem Glas Cola einen Migräneanfall bekommen. Der Grund liegt woanders: Beim Verarbeiten des Alkohols entsteht ein erhöhter Wasserbedarf im Körper, der, wenn man nicht genug Wasser trinkt, zu Kopfschmerzen führen kann. Und der Schwefel? Auch ein Vorurteil. Von geschwefelten Trockenfrüchten oder dem Frühstücksei am Sonntag (im Eiweiß steckt Schwefel) kriegt man nämlich auch keinen dicken Kopf. Schwefel wird schon seit Jahrhunderten bei der Weinbereitung verwendet, er hat nun einmal keimhemmende, stabilisierende Wirkung. Hinzu kommt, dass die Winzer durch moderne Technik wie Sterilfiltration heute nur noch einen Bruchteil des Schwefels früherer Tage einsetzen müssen, um den Wein vor Oxidation und Nachgärung zu schützen.

Der Kestener Herrenberg schmeckt am besten, wenn es warm ist, es muss nicht zwingend etwas zum Knabbern dabei sein. Ein Versuch lohnt sich trotzdem, etwa mit jungem Gemüse: Erbsen, Spargel, Karotten, Morcheln. Dazu Flusskrebse, eine delikate Wundermischung, die als Leipziger Allerlei in die Geschichte eingegangen ist. Zuletzt ein persönliches Wort zur Mosel: Dass wir Deutschen ein distanziertes Verhältnis zu diesem Weltklasse-Weinbaugebiet haben, ist uns angesichts einer Delikatesse, wie wir sie vorstellen, schleierhaft. Leute, trinkt mehr Mosel! Er hat es wirklich verdient.

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Cornelius und Fabian Lange