Trotz Sprühregens haben sich Zehntausende in Berlin zu einer Demonstration gegen die AfD und gegen rechts versammelt. Die Versammlungsfläche fülle sich aus allen Richtungen, schrieb die Polizei am Samstagmittag auf der Plattform X (vormals Twitter). Die Veranstalter sprachen auf der Bühne von Zehntausenden, die gekommen seien. Nach Polizeiangaben waren am frühen Nachmittag 150.000 Menschen vor Ort, wobei noch weiterer Zustrom zu beobachten sei. Es handele sich dabei nicht um eine abschließende Zahl, sagte eine Polizeisprecherin. Die Polizei gab außerdem eine zusätzliche Versammlungsfläche frei. "Zu Ihrer Sicherheit müssen unsere Kolleg. den starken Zustrom zum Reichstag etwas einschränken", schrieb die Behörde auf X.
Angemeldet waren 100.000 Menschen. Geplant war eine Menschenkette unter dem Motto "Wir sind die Brandmauer". Hinter der Aktion gegen Hass und für Toleranz steht ein Bündnis namens Hand in Hand mit mehr als 1300 Organisationen. "Wir wollen ein Zeichen setzen für Solidarität und dass wir gegen Diskriminierung sind. Und dass wir es schön finden, wenn weiterhin eine Gesellschaft mit Vielfalt statt Einfalt in Deutschland existiert", sagte der 36-Jährige Serkan Bingöl, Berliner mit deutschem Pass und Gymnasiallehrer, der mit einer Gruppe Geflüchteter gekommen war.
Demos gegen rechts nach Treffen von Rechten und AfD
Seit gut drei Wochen gehen überall in Deutschland immer wieder Zehntausende Menschen gegen rechts auf die Straße. Auslöser der Proteste war ein Bericht des Medienhauses Correctiv über ein Treffen radikaler Rechter am 25. November in Potsdam, an dem auch AfD-Politiker sowie einzelne Mitglieder der CDU und der sehr konservativen Werteunion teilgenommen hatten. Der frühere Kopf der Identitären Bewegung in Österreich, Martin Sellner, bestätigte der Deutschen Presse-Agentur, dass er bei dem Treffen über "Remigration" gesprochen hat. Wenn Rechtsextremisten diesen Begriff verwenden, meinen sie in der Regel, dass eine große Zahl von Menschen ausländischer Herkunft das Land verlassen soll – auch unter Zwang. Laut Correctiv-Recherche nannte Sellner in Potsdam drei Zielgruppen: Asylbewerber, Ausländer mit Bleiberecht – und "nicht assimilierte Staatsbürger".
Neben Berlin werden auch in anderen deutschen Städten Tausende Demonstranten erwartet. 120 Organisationen haben in Dresden eine Demonstration mit 10.000 Menschen angemeldet. In Hannover gibt es eine ähnliche Aktion am niedersächsischen Landtag. Darüber hinaus gibt es Dutzende weitere Aktionen in kleinen und großen Städten von Brunsbüttel in Schleswig-Holstein bis Freiburg in Baden-Württemberg.
Die Großdemonstration in Berlin reihe sich in die Protestaktionen der vergangenen Wochen ein, teilten die Veranstalter mit. Zugleich sei sie gedacht als Auftakt für das Netzwerk Hand in Hand, das sich mit Blick auf die Wahlen in diesem Jahr für Demokratie und Menschenrechte einsetzen will.
"Ja, unsere Demokratie ist in Gefahr", heißt es im Aufruf des Berliner Bündnisses. "Doch wir sind entschlossen, laut und aktiv zu werden: für eine offene, demokratische, plurale und solidarische Gesellschaft, gemeinsam gegen den Rechtsruck in Deutschland und Europa."
Politische Unterstützung für Kundgebungen in Berlin und Co.
Zu den Unterstützern zählen viele kleine Initiativen, aber auch große Organisationen wie die Gewerkschaften Verdi, GEW und IG Metall, Amnesty International, Flüchtlings-Hilfsorganisationen und auch die Klimaprotestgruppen Extinction Rebellion und Letzte Generation. Auch Politikerinnen und Politiker haben sich zu der Kundgebung angekündigt, darunter die Vorsitzenden der SPD und der Linken.
Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken sagte dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (Samstag): "Viele Menschen in Deutschland sind entsetzt über die Deportationspläne rechtsextremer Netzwerke, die das Recherchenetzwerk Correctiv aufgedeckt hat." Es sei beunruhigend, "wie tief die AfD in diese Netzwerke eingebunden zu sein scheint". Gerade deshalb müsse man Initiativen stärken, die sich überall im Land für Demokratie, Vielfalt und Zusammenhalt einsetzten. Dazu müsse möglichst schnell das Demokratiefördergesetz vom Bundestag beschlossen werden.
Die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, Ferda Ataman, forderte dagegen mehr Schutz vor Diskriminierung. "Viele Menschen, die Rassismus und Diskriminierung erleben, haben gerade große Zukunftsängste. Und sie haben den Eindruck, dass die Politik nichts für sie tut und ihre Ängste und Sorgen nicht ernst nimmt." Von der Bundesregierung und den demokratischen Parteien komme fast nichts - "außer ein paar Lippenbekenntnisse". Die Bundesregierung bleibe sowohl beim Kampf gegen Diskriminierung als auch beim Thema Antisemitismus hinter dem eigenen Koalitionsvertrag zurück.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) bezeichnete es als "völlig richtig", dass die AfD Adressat der bundesweiten Proteste ist. "Sie ist eine zutiefst rechtsextreme Partei. Es schüttelt mich jedes Mal regelrecht, wenn ich diese hasserfüllten Reden höre", sagte Söder der "Rheinischen Post" (Samstag).
In das Berliner Regierungsviertel waren schon einmal am 21. Januar nach Angaben der Polizei mehr als 100.000 Demonstranten gekommen. Der Bundestag, seit 1999 mit Sitz im umgebauten historischen Reichstagsgebäude, ist zentrales Symbol der bundesdeutschen Demokratie.