Die Ankündigung des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy Anfang Juli, dass ein neuer Atomreaktor gebaut und 2017 in Betrieb genommen werden würde, hat bei Frankreichs Bürgern nicht für Aufruhr gesorgt. Denn: Diese haben schon vor langer Zeit verstanden, dass Atomenergie - in der Gegenwart wie in der Zukunft - der Hauptpfeiler der französischen Energieversorgung ist. 58 Atomkraftwerke gibt es derzeit in Frankreich, sie produzieren 80 Prozent von Frankreichs Stromaufkommen. Zwei neue Kraftwerke wird es bis 2010 geben. Ihr Bau ist ein Schritt hin zu einer Modernisierung der französischen Atomtechnik, sie werden das Energieangebot an die Nachfrage anpassen.
Die Entscheidung Frankreichs für die Atomenergie liegt in einer simplen geographischen Begebenheit begründet: Im Gegensatz zu vielen seiner Nachbarn - unter anderem Deutschland - verfügt Frankreich nicht über ausreichend Bodenschätze zur Energieversorgung. Um diesen Nachteil auszugleichen, hat unser Land - nach dem Ölpreisschock von 1973 - beschlossen, sich in seiner Energieversorgung maßgeblich auf Atomkraft zu stützen.
Dank des Urans, dessen Vorkommen Frankreich sich in verschiedenen Regionen der Welt gesichert hat, und ergänzend der Wasserkraft ist es Frankreich möglich, eigenständig die nötigen Energiemengen zu produzieren, ohne von anderen abhängig zu sein. In einer Welt, in der fossile Brennstoffe deutlich knapper und teurer werden, verschafft die Nuklearenergie dem Land einen entscheidenden Vorteil: Sie schützt es vor den Preisschocks und Krisen der internationalen Energiemärkte und garantiert ihm Unabhängigkeit bei der so lebenswichtigen Energieversorgung.
Zur Person
Francis Sorin ist Direktor der Société Française d’Energie Nucléaire, einer Forschungsorganisation mit 4000 Mitarbeitern, die sich für die Weiterentwicklung der Kernenergie einsetzt. Außerdem ist Sorin Chefredakteur der Zeitschrift "Revue Générale Nucléaire".
Neben diesem entscheidenden strategischen Vorteil hat sich die Nuklearenergie als "gutes Geschäft" für Frankreich erwiesen. Da die Selbstkosten der französischen Energieproduktion im internationalen Vergleich so niedrig sind, kommen die Franzosen in den Genuss eines der niedrigsten Strompreise Europas.(Dieser Preis enthält bereits zukünftige Kosten der Stilllegung von Atomkraftwerken und der Zwischen- und Endlagerung). Überdies ist das Land für sein Fachwissen im Bereich der Atomenergie international anerkannt. Jedes Jahr exportiert Frankreich Atomtechnik, -dienstleistungen und -strom im Wert von sechs Milliarden Euro. Diese Exporte sichern Tausende Arbeitsplätze und stellen einen der wichtigsten Aktivposten der Handelsbilanz unseres Landes dar.
Atomkraft hat einen ökologischen Vorteil
Jenseits dessen hat sich über die Jahre hinweg gezeigt, dass Atomkraft die Umwelt vor jeglicher Verschmutzung schützt - sei es radioaktive oder chemische. So konnte der Ausstoß an Schwefeldioxid und Stickoxid in Frankreich um 70 Prozent reduziert werden, denn fossile Energie wurde durch atomare Energie ersetzt. Und einen weiteren ökologischen Vorteil hat die Atomenergie: Sie setzt praktisch kein CO² frei - das ja hauptsächlich für den Treibhauseffekt verantwortlich ist. Als Alternative zu fossiler Energie verhindert die französische Nuklearenergie jährlich einen Ausstoß von insgesamt 380 Millionen Tonnen CO² - das ist ein nicht zu vernachlässigender Beitrag zum Schutze des Klimas.
Natürlich ist die Atomenergie auch risikobehaftet. Doch die Frage dabei ist: Sind dies "akzeptable" Risiken? Was die Atomabfälle mit langer Halbwertszeit angeht, deren Menge nicht sehr hoch ist, ist man sich international einig: Lagerstätten unter der Erde stellen eine stabile Lösung dar, denn so wird radioaktives Material von der Biosphäre abgeschirmt, bis es nur noch eine geringfügige Strahlung abgibt. Das französische Lagerungssystem garantiert so, dass kommende Generationen keiner inakzeptablen Strahlung ausgesetzt werden.

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"Ein Risiko besteht immer"
Auch das Unfallrisiko scheint hinreichend unter Kontrolle. Natürlich kommt es in Atomkraftwerken trotzdem zu Zwischenfällen - genauso wie in jeder anderen industriellen Anlage auch. Ein aktuelles Beispiel ist der Zwischenfall in der südfranzösischen Atomanlage Tricastin bei Avignon. Dort ist uranhaltiges Wasser in die Umwelt ausgetreten. Dadurch wurden zwei Flüsse leicht verschmutzt - die für Strahlenschutz zuständige französische Behörde für nukleare Sicherheit hat die ausgetretene Strahlung jedoch als "zu vernachlässigend" bezeichnet. Der Ausdruck "ein Risiko besteht immer" gilt auch für die Atomenergie. Und auch wenn die Risiken dieser Energieform nicht heruntergespielt werden sollten, kann man ihr nicht absprechen, dass sie extrem sicher ist.
Selbst die Katastrophe von Tschernobyl, die eng mit den technologischen Bedingungen in der Sowjetunion zusammenhing, stellt die 50-jährige Erfahrung der weltweiten Atomenergie-Nutzung nicht infrage: Die Bilanz zeigt, dass Atomkraft die Energie ist, die am wenigstens die Sicherheit und Gesundheit der Menschen beeinträchtigt. In Frankreich etwa hat die Atomenergie kein einziges Todesopfer gefordert. Eine genau so hervorragende Bilanz lässt sich in Deutschland ziehen. Natürlich ist ein Störfall immer möglich. Doch ist die Wahrscheinlichkeit dafür ist winzig, und alles weist darauf hin, dass dessen Folgen begrenzt wären - sowohl für Menschen als auch für die Umwelt. Die Ängste gewisser Umweltaktivisten, dass französische Atomkraftwerke auch jenseits der Grenzen, zum Beispiel in deutschen Bundesländern, Mensch und Natur bedrohen könnten, sind in keiner Weise fundiert.
Eine internationale Zusammenarbeit wäre von Nutzen
Angesichts dieser Argumente kann man die Verwunderung, ja das Bedauern vieler französischer Funktionäre verstehen, dass sich Deutschland für den Atomausstieg entschieden hat. Das Land ist unter den Spitzenreitern in Sachen Atomenergie, sein Nuklearpark läuft wie ein Uhrwerk, jedes Jahr werden so Zehntausende Millionen Tonnen Co²-Ausstoß unterbunden…und nun will Deutschland im Auge der Klimaerwärmung freiwillig auf eine solche Technologie verzichten!
Das Bedauern ist umso größer, auf dieser Seite des Rheins, als Frankreich und Deutschland doch gemeinsam mit all ihrem Fachwissen den Druckwasserreaktor der dritten Generation EPR entwickelt haben - den Experten zufolge höchstentwickelten Reaktor auf dem Weltmarkt. Je nachdem, wie sich die Situation in Deutschland weiter entwickelt, könnte man auch andere Formen der Zusammenarbeit ins Auge fassen. Denn, die größte Herausforderung ist, die weltweite Energieproduktion CO²-Ausstoß frei zu machen. Allein mit alternativen Energiequellen wird dies nicht möglich sein - Atomenergie ist dafür unabdingbar. In diesem Zusammenhang ist offensichtlich, dass eine längjährige und verstärkte Zusammenarbeit weltweit von Nutzen wäre - um die Atomenergie noch sicherer, missbrauchsfrei und nachhaltig zu machen.
Übersetzung: Lisa Louis