Herr Büscher, im Sommer haben Sie mit Ihrer Forderung nach einem Aufnahmestopp für weitere Flüchtlinge für Aufsehen gesorgt. Wie waren die Reaktionen bisher?
Wer mich und die Arbeit der Arche kennt, der weiß, dass mir nichts ferner liegt, als gegen Menschen zu polemisieren, die bei uns Zuflucht suchen. Ich wollte mit meiner Forderung provozieren und wachrütteln. Denn so wie es jetzt ist, kann es in der deutschen Migrationspolitik nicht weitergehen. Wenn wir die Menschen in unser Land lassen, dann müssen wir uns auch um sie kümmern.
Haben Sie keine Angst vor Beifall von der falschen Seite?
Ich werde gerne missverstanden, auch bewusst von interessierter Seite. Dann verbreitet die AfD ausländerfeindliche Parolen und sagt: Das hat nicht Adolf Hitler gesagt, das hat Wolfgang Büscher gesagt. Das ist alles Quatsch. Ich bin nicht gegen Migration, ich bin nicht gegen Zuwanderung. Ich bin nur dafür, dass wir uns endlich ehrlich machen.
Was heißt das für Sie: uns "ehrlich machen"?
Wir betreuen hier in Berlin-Marzahn und an zahlreichen anderen Standorten deutschlandweit mit der Arche Kinder und Jugendliche aus benachteiligten Familien. Die kommen sehr oft aus geflüchteten Familien. Wenn wir Zuwanderung in dem Umfang wie bisher wollen, dann müssen wir auch die Infrastruktur dafür bereitstellen, um all diese Menschen aufzunehmen und vernünftig zu integrieren. Es geht um Perspektive und Würde für diese Menschen. Das kostet sehr viel Geld und braucht enorm viel Personal. Was aber nicht geht: Einerseits die Menschen ins Land lassen, anderseits aber die Infrastruktur nicht bereitstellen. Das führt irgendwann zum Kollaps unseres Gemeinwesens. Entweder man hat die Zeit und das Personal, um sich um die Menschen, die zu uns kommen, zu kümmern. Oder man muss sagen: Es geht nicht mehr. Wir können keine weiteren Menschen aufnehmen. An diesem Punkt sind wir jetzt.
Deutschland braucht aber Zuwanderung, nicht zuletzt für den Arbeitsmarkt.
Das ist mein Lieblingsargument! Ja, wir haben Arbeitskräftemangel. Also lassen wir noch mehr Leute ins Land, um die wir uns nicht richtig kümmern können? Was ist das für eine Logik? Warum bilden wir nicht erst mal die Leute aus, die schon hier sind? Schon das kriegen wir doch nicht auf die Reihe.
"Es fehlt an allem: Kitas, Schulen, Wohnungen, Sozialarbeiterinnen"
Woran fehlt es?
Die Schulen sind maßlos überfüllt. Förder-Schulplätze für benachteiligte Kinder sind Mangelware. Kitaplätze ebenfalls. Die Jugendämter sind total überlastet. Es werden dort nur noch die akutesten Fälle bearbeitet. Die gesamte soziale Infrastruktur passt überhaupt nicht zu einer Einwanderungsgesellschaft. Es fehlt an allem: Kitas, Schulen, Wohnungen, Sozialarbeiterinnen, Quartiersmanager, Gesundheitsversorgung, Sprachkurse, qualifiziertes Personal in den Jugendämtern. Fahren Sie nach Tegel, schauen Sie sich das an. Die Zustände dort sind eine Verletzung der Menschenwürde.
Warum?
Auf dem ehemaligen Flughafengelände dort sind inzwischen 5.000 bis 6.000 Geflüchtete untergebracht, demnächst sollen es 8.000 sein. Es gibt kaum Sozialarbeiter, aber hunderte von Security-Mitarbeitern. Man pfercht die Menschen dort ein, man hält sie in diesen Verhältnissen, auch weil dahinter ein gewaltiges Business steckt, mit handfesten geschäftlichen Interessen. Die Security-Firmen verdienen sehr gut an diesen Missständen, das Deutsche Rote Kreuz kassiert für die Unterbringung Unsummen. Aber was dort auf dem Gelände abläuft, ist ein Verbrechen, vor allem an den Kindern. Das ist unwürdig für ein Land wie Deutschland. Anfangs wurden die Kinder auf dem Gelände in behelfsmäßigen Flüchtlingsklassen unterrichtet. Was ist das für eine "Integration"? Jetzt werden sie auf die umliegenden Schulen verteilt. Tausende Kinder aus Migrationsfamilien! Damit züchtet man das heran, was besorgte Politiker dann gerne "Brennpunktschulen" nennen.
"Man zeigt sich gerne weltoffen, will aber mit den Menschen möglichst wenig zu tun haben"
Was wäre die Alternative?
Der Regierende Bürgermeister sagt gern: Wir müssen Brennpunktschulen besser fördern. Was ist das für eine Logik? Wir müssen Brennpunktschulen nicht besser fördern – wir müssen dafür sorgen, dass sie gar nicht erst entstehen! Die Kinder müssen verteilt werden, auch auf die sogenannten "guten Schulen", da wo die Gutverdiener leben. Wenn sie in der Schule wieder nur auf ihresgleichen treffen, werden sie nie den Anschluss finden an unsere Sprache, an unsere Kultur. Aber vielleicht ist das ja genau die Absicht: Man zeigt sich gerne weltoffen, will aber in Wahrheit mit den Menschen, die man ins Land lässt, möglichst wenig zu tun haben. Die Lasten und die Arbeit, die damit verbunden sind, die überlässt man gerne anderen.
Spüren Sie das auch?
Hier im Stadtteil wurden neue Wohnungen gebaut für 800 Migrationsfamilien. Die gehen jetzt alle auf dieselben Schulen. Die Mozart-Schule gleich nebenan hat einen Migrationsanteil von 70 bis 80 Prozent. Das ist keine Integration, das ist Segregation, Trennung in Parallelwelten.

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Wie ist es in der Arche?
Der Migrationsanteil unter unseren Jugendlichen liegt bei 60 bis 70 Prozent. Viele deutsche Eltern sagen, wir schicken unsere Kinder nicht mehr in die Arche – zu viele Migranten.
"Syrische Ärzte arbeiten bei uns als Reinigungskraft. Kann mir das jemand erklären?"
Über die Kinder und Jugendlichen, die zu Ihnen kommen, erhalten Sie auch Einblick in die Familien. Wie ist die Situation dort?
Sehr unterschiedlich. Es gibt Leute, die wollen sich rauskämpfen, nach oben, sie wollen wirklich ankommen in Deutschland und für ihre Kinder nur das Beste. Aber selbst die halten wir in der sozialen Elendsfalle. Wir haben hier Ärzte aus Syrien, die sind hochqualifiziert, aber ihre Abschlüsse werden in Deutschland nicht anerkannt. Die arbeiten bei uns als Reinigungskraft. Kann mir das jemand erklären?
Welche Probleme gibt es in den Familien in Ihrem Umfeld?
Häusliche Gewalt, sexueller Missbrauch. Zwangsheiraten sind ein großes Thema. Es gibt Mädchen, die kriegen mit 14 ihr erstes Kind. Die Kinder wachsen in zwei Welten auf, in der deutschen und in der ihrer Heimat. Wenn ich sage: Wir müssen sie da rausholen, zumindest über einen Kitaplatz, dann höre ich von den Ämtern: Wieso brauchen die einen Kitaplatz? Die Eltern haben doch keine Arbeit, also sind sie zu Hause, da braucht das Kind doch keine Betreuung. Wenn ich sowas höre, bin ich fassungslos.
Müssten bei problematischen Familien nicht die Jugendämter intervenieren?
Die sind völlig überlastet. Die sagen: Es geht nix mehr, wir können nicht mehr. Wir können uns nur noch um die akutesten Fälle kümmern. Bei Problemen ist für uns der Kontakt zum Jugendamt ohnehin schwierig: Die Kinder wollen ihre Eltern ja nicht verpetzen. Generell muss man sagen, die Jugendämter gehen bei Migranten-Familien weniger konsequent vor als bei deutschen Eltern. Da höre ich auch gerne mal das Wort "kultursensibel".
"Wenn ich Jugendliche nach ihren Berufswünschen frage, höre ich oft: Erstens Influencer. Zweitens Bürgergeld"
Heißt, man müsse Rücksicht nehmen auf andere Kulturen und Traditionen?
So in etwa. Ich fände es ganz gut, wenn man sich nicht vorrangig darauf konzentriert, "kultursensibel" zu sein, sondern sensibel für die Nöte der Kinder und Jugendlichen, die in diesen Familien aufwachsen müssen und nie eine faire Chance im Leben bekommen werden. Sie wachsen ohne Perspektive auf. Es gibt junge Frauen, die sagen mir: "Ich bekam mein erstes Kind mit 15, weil ich keinen Bock mehr auf die Schule hatte." Das höre ich oft. Wenn ich Jugendliche nach ihren Berufswünschen frage, höre ich oft: Erstens: Influencer. Zweitens: Bürgergeld. Drittens: Arche-Mitarbeiter.
Wie kann man sich das Leben in diesen Familien vorstellen?
Wenn das System die Menschen vergisst, vergessen die Menschen irgendwann das System. Hier im Umkreis leben 70 Prozent der Menschen von Transferleistungen. Man steht morgens nicht auf. Man bringt sein Kind nicht zur Schule. Man pflegt sich nicht. Die Wohnungen, die wir bei unseren Hausbesuchen sehen, sind ein Spiegelbild der Seele. Zum Teil sind es völlig leere Wohnungen. Da steht nur das absolute Minimum drin: Couch, Fernseher. Zum Teil sind sie aber auch total vermüllt. In 90 Prozent der Familien kümmern sich Alleinerziehende um die Kinder, mit wechselnden Partnern. Oft sind sie völlig überfordert. Das ist kein "Patchwork", das ist tragisch. Ich finde: Alle müssen am Erfolg einer Gesellschaft teilhaben können. Aber in Wahrheit haben wir eine Zwei-Klassen-Gesellschaft: Das Bildungsbürgertum – und die anderen. Und die anderen, das sind eben oft Migranten.
"Diese Kinder bräuchten so viel Aufmerksamkeit, so viel Liebe, so viel Zuwendung"
Die Zustände, die Sie schildern, gibt es aber auch in deutschen Familien.
Natürlich. Ich spreche hier von der sozialen Realität, die ich erlebe. Und die ist nun mal sehr stark von zugewanderten Familien geprägt, die viele Probleme im Gepäck haben, wenn sie zu uns kommen. Wir wollen der Armut ein Gesicht geben. Armut ist keine Schande. Viele der Betroffenen können nichts dafür. Und viele bemühen sich auch. Wir bieten in der Arche auch Sprachkurse an. Der Andrang ist groß, wir können nicht allen, die lernen wollen, einen Platz anbieten. Das muss man sich mal klarmachen: Da sind Leute, die wollen raus aus diesen Verhältnissen. Und wir müssen die wieder wegschicken.
Wie erleben Sie die Kinder und Jugendlichen aus migrantischen Familien, wenn sie zu Ihnen in die Arche kommen?
Wenn wir Feriencamps machen, gibt es dreimal mehr Anmeldungen als Plätze. Viele sind noch nie hier aus dem Stadtviertel rausgekommen, sie kennen praktisch nichts anderes. Ich sage immer: Was wir ihnen nicht zeigen, werden sie nie sehen. Wir haben Ausflüge in die Berliner Innenstadt gemacht, da sind wir am Fernsehturm vorbeigefahren und ein Kind fragte mich: "Sag mal, ist das jetzt der Eiffelturm?" Wenn wir nach Brandenburg fahren, fragen manche bei der Rückkehr an der Stadtgrenze, wenn sie das gelbe Schild "Berlin“ sehen: "Sind wir jetzt wieder in Deutschland?" Wir waren mal an der Ostsee, viele Kinder hatten noch nie in ihrem Leben das Meer gesehen, manche wussten nicht mal, was das überhaupt ist: ein "Meer". Dann gibt es andere, die wissen das sehr genau, weil sie übers Mittelmeer kamen. Über das, was sie dort erlebt haben, sprechen sie nicht gerne. Viele schleppen schlimme Traumatisierungen mit sich herum. Diese Kinder bräuchten so viel Aufmerksamkeit, so viele Liebe, so viel Zuwendung – das dreifache an Ressourcen, die ein Kind aus intakten Verhältnissen braucht.
"'Wir schaffen das' war ein blödsinniger Satz. Wer ist denn 'wir'? Frau Merkel?"
Wie reagieren Politiker auf Ihre Forderungen?
Der Lindner von der FDP war mal hier. Er hat einen Tischtennisschläger mitgebracht. Die Politiker kommen, hören sich alles an, hinterlassen ein paar warme Worte – und dann sind sie wieder weg. Und es geht weiter wie bisher. Wir bekommen keine öffentlichen Gelder. Die Arche finanziert sich ausschließlich durch Spenden.
2015 sagte Angela Merkel: "Wir schaffen das". Der Satz ist in die Geschichtsbücher eingegangen. Wie finden Sie ihn?
Bei allem Respekt für die ehemalige Kanzlerin: Das war ein blödsinniger Satz. Es ist einfach zu sagen: "Wir schaffen das." Wer ist denn "wir", Frau Merkel? Die Politik schmückt sich mit schönen Sätzen. Und wir spüren hier die Auswirkungen. Das ist die Arbeitsteilung. Wenn wir nicht genug Kita-Plätze, Schulplätze, Wohnungen, Sprachkurse auf die Beine stellen, wenn wir nicht die Infrastruktur bereitstellen, die zu dieser massiven Form von Einwanderung passt – dann schaffen wir es eben nicht. Den Menschen wird von den Schleppern erklärt: "Wenn Ihr nach Deutschland kommt, bekommt Ihr ein Haus und einen Arbeitsplatz." Also machen sie sich auf den Weg und werden hier mit einer ganz anderen Realität konfrontiert. Das kann nicht gut gehen.
"Fragen Sie mal einen arabischen Jugendlichen, ob er schwul ist. Der dreht Ihnen den Hals um"
Was meinen Sie damit: "Das kann nicht gut gehen"?
Es ist fatal, wenn ich Menschen aus anderen Kulturkreisen aufnehme und sie nicht integrieren kann. Wenn Integration nicht gelingt, führt dies eher zu einer noch stärkeren Abgrenzung. Die Menschen suchen dann ihre Identität eben in den Werten ihrer alten Heimat. Konflikte werden importiert, das erleben wir hier zum Beispiel zwischen Muslimen und Jesiden. Fragen Sie mal einen arabischen Jugendlichen, ob er schwul ist. Der dreht Ihnen den Hals um. Die Arche in Friedrichshain hat lange überlegt, ob sie die Regenbogenfahne aufhängt, das kann nämlich richtig Ärger geben. Gut, sie hat es dann doch gemacht.
Ich trage öfter mal einen Anstecker an der Jacke, mit den Fahnen von Deutschland und Israel. Einmal kam ein Junge zu mir und sagte: "Ich hasse Dich! Mein Opa kommt aus Palästina." Die Arche in Rostock wurde belagert von einem wütenden, aggressiven arabischen Familienclan, weil die Mitarbeiter dort eine Wohnung besorgt hatten für ein Mädchen, das zwangsverheiratet werden sollte. Bei uns im Viertel laufen schon Elfjährige mit Messern rum. Ich erlebe Kinder und Jugendliche, die sagen: "Ich gehe doch nicht in eine Weichei-Moschee!" Die gucken sich lieber radikale islamistische Prediger bei Tiktok an.
Es gibt große, kriminelle Clans, die werben die Kids regelrecht an: "Kommt zu uns, wenn es Euch bei den Deutschen nicht gefällt. Bei uns ist es besser." Hier wächst eine verlorene Generation an Kindern und Jugendlichen aus Einwandererfamilien heran. Wenn wir uns um die nicht kümmern, werden es andere tun.