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stern-Gründer Henri Nannen und wir

Henri Nannen an einem Tisch voll stern-Ausgaben
Blattmacher: Nannen schuf mit dem stern ein linksliberales Magazin 
© Heinz Wedewardt/bpk
Der Norddeutsche Rundfunk veröffentlichte vorige Woche einen Beitrag zu der Rolle des stern-Gründers im Zweiten Weltkrieg. Als Magazin, das Henri Nannen geprägt hat, wollen wir uns der Debatte stellen. Chefredakteur Gregor Peter Schmitz über Vergangenes, das nicht vergeht.

Henri Nannen – der Gründer dieses Magazins – hat einmal gesagt: "Ich wäre wahrscheinlich ein ganz guter Nazi geworden", und er hat die Gründe angeführt: "Ich war einigermaßen gerade gewachsen. Ich war jung, und ich eignete mich nicht unbedingt zum Beiseitestehen." Dann fügte er hinzu: "Aber ich bin anders erzogen worden. Ich bin also ohne jedes eigene Verdienst kein Nazi geworden. Darauf kann ich mir nichts einbilden."

Wenn er aber kein Nazi gewesen sein mag, wer war er dann? Es ist schon viel darüber bekannt geworden, wie Nannen, geboren 1913, als junger Mann zu den Nazis stand – über seine Rolle etwa in Leni Riefenstahls berühmtem "Olympia"-Film von 1938, als Verfasser von Jubelartikeln auf Adolf Hitler oder als Mitglied einer Propagandaeinheit der SS in Italien namens "Südstern".

Viele Medien, auch der stern, haben darüber immer wieder berichtet. Psychologische Kriegsführung habe er betrieben, sagte Nannen selbst über die letzten Kriegsjahre: Artikel schreiben, eine Zeitung herausgeben, den Kampfgeist der heranrückenden Gegner schwächen, all das klang so vage, dass man sich schwer ein Bild machen konnte.

"Diese Bilder sind eklig, sie sind widerlich"

In der vorigen Woche hat der Norddeutsche Rundfunk einen Beitrag zu Nannens Rolle im Krieg veröffentlicht. Grundsätzlich neue Erkenntnisse liefert dieser, auch nach Einschätzung etwa der renommierten Historikerin Christina von Hodenberg, nicht, wie sie dem Deutschlandfunk sagte. Aber er liefert Bilder, nämlich antisemitische, sexistische und rassistische Flugblätter, welche die Abteilung "Südstern" mit Nannen in leitender Position veröffentlicht hat, wohl um den Kampfgeist der Alliierten zu unterminieren und auch bei ihnen Hass auf Juden zu schüren.

Antisemitisches Pamphlete
Kurz vor Kriegsende war Nannen wohl für Pamphlete wie dieses mitverantwortlich

Diese Bilder sind eklig, sie sind widerlich, sie bedienen vor allem viele antisemitische Klischees: der feige Jude, der das Kämpfen anderen überlässt. Der gierige Jude, der Menschen durch den Fleischwolf dreht, um sie zu Geld zu machen. Der lüsterne Jude, der Frauen an den Leib will.

Diese Flugblätter wurden über Jahrzehnte akribisch gesammelt und in der Staatsbibliothek Berlin verwahrt, seit den 2000ern wurden sie verschiedentlich veröffentlicht – nur eben leider nicht vom stern selbst. Es ist ein Verdienst der NDR- Rechercheure, dass sie nun zu sehen sind und so Geschichte anschaulich machen. Als Magazin, das Henri Nannen geprägt hat, wollen wir uns der Debatte stellen, ob wir noch kritischer als bisher auf den (komplizierten) Menschen Nannen schauen müssen und wie sehr die oft angeführten Argumente zu seinen Gunsten noch taugen: dass so viele andere Deutsche auch oder schlimmer schuldig geworden sind, dass er nach dem Krieg die deutsche Demokratie durchlüftet hat. Dass er die eigene Schuld durchaus thematisierte, auch als Auftrag, nie wieder so ein Regime zuzulassen, etwa 1979 in einem offenen Brief im stern.

Darin schrieb Nannen, gewusst zu haben, dass damals im Namen Deutschlands wehrlose Menschen vernichtet wurden, wie man Ungeziefer vernichtet, und er trotzdem ohne Scham die Uniform eines Offiziers der deutschen Luftwaffe trug: "Ja, ich wusste es, und ich war zu feige, mich dagegen aufzulehnen."

Fall Henri Nannen: Wir werden der Sache auf den Grund gehen

Das Vergangene ist nie tot, es ist nicht einmal vergangen, hat der amerikanische Schriftsteller und Literatur-Nobelpreisträger William Faulkner geschrieben. In vielen Ländern sehen wir heute, wie Denkmäler für Rassisten oder Kolonialisten hinterfragt, Stücke sexistischer Autoren nicht mehr aufgeführt werden sollen. Für die deutsche Geschichte, zu der mit dem Holocaust das größte Menschheitsverbrechen der Geschichte gehört, gilt Faulkners Satz aber noch einmal ganz besonders. Die Auseinandersetzung mit dieser Geschichte endet nie.

Jede neue Erkenntnis, jedes neue Detail müssen dazu führen, bisherige Bewertungen wieder und wieder infrage zu stellen. Deshalb werden wir in den kommenden Wochen im stern offen um die Frage ringen, wie wir die Person Nannen bewerten, ob er weiter Namensgeber einer Schule sein kann, in der junge Journalistinnen und Journalisten ausgebildet werden, ob einer der renommiertesten Medienpreise seinen Namen tragen und ob Henri Nannen im Impressum unser Gründungsherausgeber bleiben soll.

Und wir werden, wie schon länger geplant, anlässlich des 75. Geburtstags des stern alle Facetten seiner Tätigkeit in den Nazijahren von Fachleuten untersuchen lassen – und auch eine mögliche Einflussnahme Nannens auf die spätere Berichterstattung im stern. Das ist keine Demontage und erst recht keine Kampagne. Es ist das, was der Journalist Henri Nannen Generationen von Journalistinnen und Journalisten aufgetragen hat: den Dingen auf den Grund zu gehen.

Erschienen in stern 21/2022

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