75 Jahre stern Hinschauen und Helfen – so arbeitet die Stiftung stern

Zwei Mädchen sitzen an einem Tisch
Mit der Arche arbeitet die Stiftung stern seit Jahren zusammen. Bedürftige Kinder erhalten in ihren Häusern etwa ein Mittagessen
© Katrin Streicher
Seit 20 Jahren unterstützt die Stiftung stern Menschen in Not – in einem Dorf in Kenia genauso wie im Flutgebiet an der Ahr.

Noch haben nicht alle Klassen in der Schule die neuen Tische und Bänke. Noch sind nicht alle Computer angeschlossen. Doch die Solarpaneele wurden schon installiert, hier auf dem Dach der grundsanierten Primary School von Kinakoni. Am anderen Ende des Dorfes leuchtet der Fortschritt in vielen Farben. Auf einem fußballfeldgroßen Feld wachsen rote Tomaten, gelbe Butternut-Kürbisse, grüne Mangos. Ein Acker der Hoffnung. Mitten in der verheerendsten Dürre Ostafrikas seit vielen Jahren.

Hinter Schule und Acker steckt ein Experiment: Die etwa 5000 Einwohner von Kinakoni, einem Dorf 250 Kilometer östlich von Kenias Hauptstadt Nairobi, haben vor gut eineinhalb Jahren begonnen, gemeinsam mit dem stern und der Welthungerhilfe nach neuen Mitteln gegen die Nahrungsknappheit zu suchen, die später auch in anderen Dörfern angewendet werden sollen.

Es ist eines der aufwendigsten Projekte, die die Stiftung stern in ihrer Geschichte auf den Weg gebracht hat. Gegründet wurde die Stiftung 2003. Immer wieder hatten sich Leserinnen und Leser gemeldet, die von Schicksalen, über die der stern berichtete, berührt waren. Sie wollten helfen. Die Stiftung schuf dafür einen rechtlichen Rahmen. Und baute auf dem auf, was den stern immer ausgezeichnet hat: soziales Engagement, ein Eintreten für Menschen in Not.

Als etwa in Äthiopien 1973 mehr als eine halbe Million Menschen hungerten, hatte der stern-Gründer Henri Nannen aufs Titelblatt geschrieben: "Hilfe! Hunderttausende verhungern, wenn wir nichts tun". Zehntausende Leser und zahlreiche Unternehmer spendeten daraufhin. 20 Millionen D-Mark kamen so zusammen.

Hilfe zur Selbsthilfe

Mit der formellen Gründung der Stiftung wurde nun ein Schwerpunkt auf Projekte gelegt, auf die Reporterinnen und Reporter bei ihren Recherchen stießen – und die von Menschen vor Ort organisiert werden. Auch das Projekt in Kinakoni folgt diesem Ansatz: Es geht um Lösungen, die von Kenianern selbst entwickelt werden.

Die Idee für den Versuchsacker zum Beispiel stammt von Forschern aus einem Agrar-Start-up bei Nairobi. Die Wissenschaftler untersuchten den Boden, brachten Pflanzen mit, die sich besser an den Klimawandel anpassen. Es wurde geharkt und gesät, eine Tröpfchenbewässerung gelegt – und inzwischen mehrmals geerntet.

Bewirtschaftet wird der Acker von 16 jungen Menschen aus Kinakoni. Sie haben in den vergangenen Monaten gelernt, welche Pflanzen gute Erträge bringen, welche Techniken besser funktionieren, und sie tragen das Wissen ins Dorf hinein. "Manchmal muss man etwas Überzeugungsarbeit leisten", sagt Mohammed Ndolo, einer von ihnen, "aber wenn die Leute sehen, dass eine Veränderung etwas bringt, dann machen sie mit." Ndolo hat das in seiner eigenen Familie erlebt. Noch wächst auf ihrem Feld viel Mais, doch eigentlich braucht der zu viel Wasser. Deswegen hat Ndolo eine Ecke mit Hirse und den hitzeresistenteren Mungobohnen bepflanzt.

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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Viele junge Kinder stehen vor einer Schule in Kenia
Die Schüler der Primary School von Kinakoni in Kenia vor ihrer grundsanierten Schule
© Marc Georgen/stern

Neue Ideen gegen den Hunger werden dringend benötigt. Weltweit gibt es mehr als 800 Millionen Menschen, die zu wenig zu essen haben. Hilfe aus dem Ausland kann akute Not lindern. Langfristig, das ist der Gedanke des Projekts, müssen Innovationen aus den Regionen selbst kommen.

Manche lokal angestoßene Neuerung kommt eher unspektakulär daher, hat aber eine große Wirkung: Die "VacciBox", entwickelt von einer Firma in Nairobi, steht bei Dorfkrankenschwester Lilian Kisulu im Gesundheitszentrum von Kinakoni und sieht aus wie ein kleiner Kühlschrank. Darin lagern Vakzine, etwa gegen Polio oder Covid. Das Besondere: Die Stromversorgung erfolgt über ein Solarpaneel; dank einer Batterie hält die Box die Temperatur für bis zu zwölf Stunden stabil. Und die Box kann Kisulu hinten auf ihr Motorrad schnallen. "Früher musste ich immer hetzen, um die Impfstoffe in die Dörfer zu bringen", sagt sie, "und ich konnte überhaupt nicht sagen, ob die dann noch gut waren."

Die VacciBox funktioniert, weil sie an die Gegebenheiten des Dorfes angepasst ist. Genauso wie die großen Tanks, die das am zentralen Felsen ablaufende Wasser des Dorfes speichern. Oder die solarbetriebene Mühle für Hirse, die beim Versuchsfeld zum Einsatz kommt – auch sie wurde von einer Firma aus Nairobi gebaut.

In den vergangenen eineinhalb Jahren musste das Projektteam allerdings auch feststellen, dass die Idee, Lösungen aus der Stadt aufs Land zu bringen, nicht in allen Fällen funktioniert. Manche Ansätze wurden nicht weiterverfolgt, etwa die Zusammenarbeit mit einem Drohnen-Start-up. Denn so hilfreich es auf Großfarmen sein kann, mit Drohnen Pestizide auszubringen – im dörflichen Kinakoni stehen Aufwand und Nutzen dafür in keinem Verhältnis.

Silicon Savannah

Seit einigen Jahren schon gilt Nairobi als "Silicon Savannah", als einer der wichtigsten Standorte für Start-ups auf dem afrikanischen Kontinent. Inkubatoren, Acceleratoren, Co-Working-Spaces, all die Zutaten der modernen Businesswelt gibt es auch hier. Doch je mehr Kapital in die Szene fließt, desto größer wird die Gefahr, dass Firmen gefördert werden, deren Geschäftsideen nicht tragen. Umso wichtiger ist es für das Team in Kinakoni, auch im kommenden Jahr – das Projekt ist bis Herbst 2024 geplant – Ideen zu finden, die unter den Bedingungen eines abgelegenen Dorfs funktionieren.

Nachzuvollziehen, was mit dem Geld tatsächlich vor Ort geschieht, ist eines der Ziele der Stiftung stern. Im Ausland arbeitet sie dafür mit langjährigen Partnern zusammen, so eng wie möglich verfolgt ein Team auch die Arbeit vor Ort. Als etwa ein lokaler Mitstreiter eines Hilfsprojekts bei Kapstadt Ende 2021 angeschossen wurde, organisierte die Stiftung stern in einem Township einen Tanzwettbewerb. Denn genau damit, mit Tanz und ausgefallenen Anzügen, versucht der Brotherhood Social Club, Jugendliche vor dem Weg in die Gangkriminalität zu bewahren.

Auch in Deutschland ist die Stiftung um solche langjährigen Partnerschaften bemüht. Seit vielen Jahren ist etwa die Arche ein Partner beim Kampf gegen Kinderarmut. Das Kinder- und Jugendhilfswerk betreibt 28 Häuser, in denen Kinder bei den Hausaufgaben unterstützt werden und ein Mittagessen bekommen. Unterstützt auch von der Stiftung RTL konnten Stellen für sogenannte Lerncoaches an mehreren Schulen finanziert werden. Dabei können Kinder einzeln oder in Gruppen Lernstoff nachholen, den sie während der Coronapandemie versäumt haben.

Auch die mehr als 750.000 Euro, die Leserinnen und Lesern nach der Flutkatastrophe im Ahrtal gespendet haben, gingen an Initiativen, die von Menschen aus der Region initiiert wurden und langfristig angelegt sind.

Fünf Helfende sitzen auf einem Bagger
Aufräumen nach der Flut: Projekte an der Ahr erhielten mehr als 750.000 Euro
© C.Hardt/SZ Photo

Und Kinakoni: Was wird dort geschehen, wenn die drei Jahre des Projektzeitraums vorbei sind? Gerade in Afrika ist es wichtig, selbsttragende Lösungen zu finden. Honig könnte in Kinakoni eine langfristige Einkommensquelle sein. Seit je produzieren Familien in Kinakoni Akazienhonig. Jetzt haben 30 Imker eine Genossenschaft gegründet. Auch ein Vertrag mit einem Start-up aus Nairobi, das den Honig vertreiben wird, ist schon unterschrieben, in ein paar Wochen könnte die Produktion starten.

Bei der sanierten Grundschule ist man sogar schon weiter – sie wird in wenigen Tagen übergeben.

Stiftung stern

Mit Ihrer Spende helfen Sie uns, Menschen in Not auch weiterhin zu helfen. Einfach per Überweisung:

Stiftung stern e. V.

IBAN DE90 2007 0000 0469 9500 01
Stichwort "Menschen in Not" 
www.stiftungstern.de

Erschienen in stern 38/2023