Metall- und Gummigeschosse Iran: Sicherheitskräfte schiessen Demonstranten absichtlich in die Augen – Hunderte erblinden

Patienten mit verletzten und blutenden Augen
Kurdistan Human Rights Network berichtet von diversen Vorfällen, bei denen Demonstrant:innen im Iran durch Geschosse irreparable Schäden am Auge erlitten
© Kurdistan Human Rights Network
Um gegen die Proteste im Landesinneren vorzugehen, schießen iranische Beamte den Demonstrant:innen in ihre Augen. Anschließend hindern sie Ärzt:innen an OPs oder nehmen die frisch Operierten fest.

Verstümmelte Netzhäute, durchtrennte Sehnerven und punktierte Iris – Ärzt:innen und medizinische Einrichtungen im Iran behandeln derzeit Hunderte Patient:innen mit schweren Augenverletzungen. Einer von ihnen ist der 30-jährige Saman aus der iranischen Hauptstadt Teheran. Er war gerade mit dem Motorrad auf dem Weg zu einer Demonstration, als ihm ein Sicherheitsbeamter ins Gesicht schoss. Aus gerade drei Metern Entfernung feuerte der Beamte ein Gummigeschoss auf Saman und traf dabei sein linkes Auge. "Wir schauten uns an und dann wurde alles dunkel", sagt Saman der "New York Times".

Dass er zufällig ins Visier des Sicherheitsbeamten geraten sei, glaubt Saman nicht. Er ist sich sicher, dass der Beamte ihn als einen jener Aktivist:innen erkannt hatte, die sich Nacht für Nacht in Teheran den Sicherheitskräften entgegenstellen und Tränengaskanister zurückwerfen, die sie in die Menge feuerten. "Er kannte mein Gesicht, und ich kannte seins", sagt Saman. Durch den Schuss aus nächster Nähe wurde sein Auge irreparabel geschädigt – er ist erblindet.

Iranisches Regime nutzt Erblindung als Abschreckungsmanöver

Saman kam in ein Krankenhaus, in dem sich allerdings die Ärzte weigerten, ihn zu behandeln. Später wurde er in eine von der iranischen Regierung betriebene Augenklinik eingeliefert, wo er fast 24 Stunden nach dem Schuss auf sein Auge operiert wurde.

Der "New York Times" zufolge nutzt die iranische Regierung das Blenden von Demonstrant:innen, um die Aufstände im Landesinneren niederzuschlagen. Das geht aus medizinischen Berichten hervor, die dem US-Medium von Ärzt:innen, Demonstrant:innen, Familienangehörigen von Patient:innen und Menschenrechtsgruppen zur Verfügung gestellt wurden. Augenärztliche Abteilungen in Krankenhäuser wären derzeit überlaufen mit verwundeten Patient:innen.

Demonstrant:innen nach OPs festgenommen

Viele Demonstrant:innen haben keine andere Wahl, als um eine Behandlung in staatlichen Einrichtungen zu bitten, die häufig von Sicherheitskräften bewacht werden. Einigen Verwundeten wurde die Behandlung verweigert, andere wurden nach der Operation festgenommen, wie Anwält:innen und Ärzt:innen berichten.

"Ich habe so etwas noch nie gesehen, es war furchtbar", sagt die Mutter von Saman. Als sie in der Augenklinik, in der ihr Sohn behandelt wurde, ankam, warteten mindestens 20 Patient:innen auf eine Augenoperation. Darunter waren ein Mann, der durch Schüsse mit 52 Geschossen teilweise erblindet war und ein vierjähriges Mädchen, das mit einem verbundenen Auge durch die Gänge lief. Samans Mutter fiel ein Sicherheitsbeamter auf, der die Patient:innenzimmer durchkämmte und sich Namen und Bettennummern notierte. Von einer Krankenschwester erfuhr sie, dass einige der Verletzten verhaftet würden. "Es war surreal", sagte sie. "Dies sollten doch eigentlich Zufluchtsorte sein". 

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Saman flüchtet im Kittel aus Krankenhaus

"Die Sicherheitskräfte in den Krankenhäusern werden durch Beamte ersetzt, die die Patienten ausspionieren und sich sogar in die Behandlung einmischen", sagt Shahram Kordasti, ein in London ansässiger Onkologe, der mit Ärzten im Iran gesprochen hat. Teilweise sollen die Beamten die Ärzt:innen daran hindern, Operationen durchzuführen oder sie zwingen, Patient:innen vorzeitig zu entlassen.

Auch Saman hörte von seinem Zimmer aus, wie ein Beamter auf seiner Station nach ihm fragte. "Da wusste ich, dass ich nur noch sehr wenig Zeit hatte, um zu entkommen", sagt der 30-Jährige. Seine Mutter schmuggelte ihn noch im Krankenhauskittel aus dem Krankenhaus und in ein Taxi zum Haus des Freundes. Als Saman zwei Tage später fit genug zum Reisen war, kaufte seine Mutter zwei Flugtickets ins Ausland – wo er sich derzeit noch aufhält.

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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