Wenn es um Israel geht, kann ich nicht einfach sachlich bleiben, nicht sachlich schreiben, ganz gleich wie sehr ich es versuche. Ich will hier nicht in die komplizierten Details des Nahostkonflikts einsteigen, sondern nur an einen mir emotional sehr wichtigen Umstand erinnern: Israel wurde vor allem deswegen Zufluchtsstätte fürJüdinnen und Juden aus aller Welt, weil wir Deutschen Juden das Leben auf dieser Erde zur Hölle machten. Immer wieder in der Vergangenheit, etwa als ich über Jahre an einer Arbeit zum grässlichen Phänomen der Holocaustleugnung saß, kam mir irgendwann ein Gedanke: Wie konnten wir nur? Und: Wie können wir heute nur? Nämlich überhaupt jüdischen Menschen irgendwelche Ermahnungen erteilen wollen, nach allem, was wir Deutschen Juden angetan haben?
Zuletzt überfiel mich diese Scham wieder, als ich den furchtbar großartigen Film "The Zone of Interest" sah, in dem Christian Friedel den Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß spielt und Sandra Hüller dessen Ehefrau Hedwig. Die beiden wollen das Beste für ihre Familie, sie bauen sich ein Gartenparadies, nur dass halt hinter der Mauer fast eine Million Menschen vergast werden, organisiert vom Hausherrn. Ganz normale Monster aus Deutschland, auch der Verdrängung. Als der Film vorbei war und der Kinosaal ganz still, schoss mir eine Frage in den Kopf: Wie wollen wir nun alle eigentlich aufstehen und einfach wieder Deutsch sprechen?
Das Israel-Dilemma der deutschen Politik
Deswegen ist mir Israel als Deutscher eine Herzenssache. Deswegen zähle ich mit, wenn die UN-Vollversammlung im vorigen Jahr gleich 15 höchst kritische Resolutionen gegen Israel diskutiert hat, immerhin die einzige wirklich funktionierende Demokratie im Nahen Osten, aber nur sieben gegen den ganzen Rest der Welt, als gäbe es dort überhaupt keine Probleme. Ich horche auf, wenn arabische Potentaten sehr laut werden mit Israelkritik, aber ganz leise, wenn es um konkrete Hilfe für Palästinenser geht. Oder wenn überall Bilder vom (furchtbaren) Leid in Gaza zu sehen sind, doch so selten Bilder von israelischen Opfern des 7. Oktober oder von den vielen Geiseln, die immer noch von der Hamas festgehalten werden. Und dennoch: Muss man einem Freund, auch einem Herzensfreund, nicht sagen können, wenn er sich verrennt – und etwa Gaza durch die Härte der Angriffe zum gefährlichsten Ort auf der Welt für Kinder verwandelt?
Unser kluger Autor Nico Fried schreibt in einem Essay zum Israel-Dilemma der deutschen Politik und der Deutschen: "Die Bundesregierung kritisiert Israel öffentlich nur wenig, aber sie drängt darauf, die humanitäre Lage der Zivilbevölkerung zu verbessern. Der Bundeskanzler und die Außenministerin legen Freundschaft nicht als unbedingte Zustimmung aus, sondern als Chance, offen zu reden. Dabei vermeiden sie Boykottdrohungen. Ich finde das vernünftig. Doch Staatsräson war immer nur ein Begriff der Politik. Sehr bequem im Übrigen, weil er ein höchst unkonkretes Solidaritätsversprechen für Israel verband mit einem expliziten Selbstlob dafür, wie ernst Deutschland seine historische Verantwortung nehme. Aber was bedeutet dieser Krieg, unterhalb des Politischen, für jeden Einzelnen, der die Verpflichtung aus der deutschen Geschichte für Israel ernst nimmt?" Auch Fried hat keine klare Antwort parat, am ehesten noch den Rat, wir dürften es uns zumindest nicht zu einfach machen. Aber schon der ist ungeheuer wertvoll.