Deutschlands Haltung Die Kritik an Israel ist berechtigt – mit der Verurteilung sollten wir aber vorsichtig sein

Bundeskanzler Olaf Scholz neben Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu
Trotz aller Kritik steht Kanzler Olaf Scholz zu Israel – und damit irgendwie auch zur Regierung von Benjamin Netanjahu
© Michael Kappeler/ / Picture Alliance / DPA
Das Leid in Gaza ist offenkundig, die Fehler von Premier Netanjahu sind es auch. Doch wir schulden Israel die Mühe, auch Argumente für den Krieg zu suchen.

Nach Israel bin ich das erste Mal im Herbst 1990 gereist, nach dem Überfall Saddam Husseins auf Kuwait und vor der Befreiung des Emirats durch eine internationale Koalition. Der ARD-Korrespondent Friedrich Schreiber zeigte mir eine Schutzmaske, wie sie israelische Haushalte für den Fall eines irakischen Angriffs mit Scud-Raketen und Giftgas vorrätig hielten. Und eine Spritze für das Gegengift. Da habe ich erfahren, was Alarmbereitschaft in Israel heißt.

Später habe ich mit einem Kriegsveteranen die Golanhöhen besucht. Ich habe gelernt, wie nahe beieinander der Jordan und das Mittelmeer liegen, in das Feinde Israels ein ganzes Volk jagen möchten, weil das Land ihres sei – from the river to the sea, vom Fluss bis ans Meer. Da habe ich ein wenig davon begriffen, was es heißt, sich ständig bedroht zu fühlen. 

Ich habe die israelische Armee erlebt, ihre Integration in der Gesellschaft. Ich habe gesehen, was der unbedingte Wille zur Selbstverteidigung ausmacht. Die Israelis sind stolz auf ihre Armee, wissen dabei um ihre Abhängigkeit von äußerer Hilfe und ironisieren beides zugleich. Ein Witz geht so: Die notorisch klamme Regierung verfällt auf die Idee, Amerika anzugreifen, um den Krieg zu verlieren und 51. US-Bundesstaat zu werden. Alle Minister finden die Idee gut, bis einer fragt: "Und was ist, wenn wir gewinnen?"

Ich bin nicht naiv, was dieses Land angeht: rechtsextreme Regierung, Siedlungspolitik. Trotzdem habe ich Respekt vor Israel.

Dieser Text ist typisch deutsch

Auch jetzt noch? Seit einem halben Jahr geht die Armee gegen die Hamas in Gaza vor. Mehr als 30.000 Palästinenser sollen getötet worden sein, Terroristen und Zivilisten. Es ist der längste Krieg, den Israel je geführt hat, und der mit der höchsten Opferzahl. Vergangene Woche haben die israelischen Streitkräfte mit drei Raketen aus einer Drohne sieben Mitarbeiter einer internationalen Hilfsorganisation getötet, eine weitere Eskalation in einem Krieg, über den die Armee selbst die Kontrolle zu verlieren scheint. Gibt es daraus auch wieder etwas zu lernen? Oder ist das nur noch zum Verzweifeln?

Erschienen in stern 16/2024