Nach den Attacken vom 7. Oktober vermuteten viele, dass Benjamin Netanjahu rasch zurücktreten werde. Sechs Monate später ist er noch immer im Amt – trotz vieler Proteste, auch in diesen Tagen wieder. Warum?
Jeder, der Netanjahus Rücktritt erwartete, war naiv. Er ist ein "Political Animal", absolut darauf bedacht, an der Macht zu bleiben. Das ist nicht unbedingt etwas Schlechtes, solange die Rechtsstaatlichkeit beachtet wird. Aber Netanjahu hat bereits viele der Grenzen überschritten, die in einer demokratischen Gesellschaft eigentlich gelten.
Er wurde mehrmals wiedergewählt. Offenbar hat er viele Unterstützer.
Es gibt Gründe, warum einige ihn für einen guten Premierminister hielten, manche noch jetzt. Er hat die Allianzen Israels ausgeweitet, wenn auch mit zunehmend autoritären Staaten wie Indien oder Ungarn. Er hat die Normalisierung der Beziehungen zu Saudi-Arabien angestoßen. Aus Perspektive seiner Befürworter hat er Israel damit unabhängiger von klassischen Verbündeten wie den USA gemacht. Er hat für den Konflikt um die Palästinenser allerdings keine echte Lösung gesucht, hat über ihre Köpfe agiert. Und der 7. Oktober hat gezeigt: Dieser Plan ging tatsächlich nicht auf.
Sie beobachten Netanjahu seit Langem. Was ist für ihn charakteristisch?
Er ist sehr gut darin, zwischen den unterschiedlichsten Akteuren im israelischen Politiksystem zu manövrieren. Er war mit zahlreichen Koalitionskrisen konfrontiert und hat es immer wieder geschafft, sehr unterschiedliche politische Partner zu finden. Doch Netanjahus Image des meisterhaften Schachspielers zerbröckelt.